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Wachstum der Sprache

Was das Wachstum (Erhaltung und Fortpflanzung) der Organismen ausmacht, das wird wohl ihre Entstehung veranlaßt haben. Bildlich gesprochen: Nahrung ist Wachstum. Und ich kann mir lustig ausdenken, dass die Abzweigung des Tierreichs vom Pflanzenreich damals erfolgte, als so ein parasitischer Organismus (Pflanze) sich vor Hunger und Neid umstülpte, die Nahrung umschließend festhielt, also einen Magen bildete und dann gezwungen war, Gliedmaßen aus sich herauszusenden, um diesem Magen die Nahrung zuzuführen, die er nicht mehr parasitisch saugen konnte. Und noch früher mag sich das Leben vom leblosen Stoff abgegrenzt haben, als an ein fähigeres Molekül Nahrung herantrat. Ich weiß, dass diese Fiktion nichts erklärt; die "Fähigkeit" des Moleküls enthält schon wieder die Frage nach dem Ursprung des Lebens. Aber die Frage wird durch das Bild wohl vereinfacht.

Was ist es nun, was das Wachstum der Sprache ausmacht? Was ist die geistige Nahrung der Sprache?

Wenn ich ganz genau unterscheide zwischen dem sprunghaften Wachstum unserer Wirklichkeitskenntnisse (welche Sachbeobachtungen sind und immer der Sprache, ihrem Wort, vorangehen) und dem organischen Wachstum der Sprache selbst, das heißt dem der Naturgesetze, der Begriffe, der Schlüsse, kurz des menschlichen Geschwätzes, dann komme ich zu der Wahrnehmung, dass die Sprache seit Menschengedenken (und Menschengedenken ist wieder nur Sprache) allein gewachsen ist und noch heute wächst durch Übertragen (metapherein) eines fertigen Wortes durch auf einen unfertigen Eindruck, durch Vergleichung also, durch diesen ewigen Akt des à-peu-près, durch dieses ewige Umschreiben und Bildlichreden, das die künstlerische Kraft und die logische Schwäche der Sprache ausmacht. Die zwei oder die hundert "Bedeutungen" eines Wortes oder Begriffes sind ebenso viele Metaphern oder Bilder, und da wir heute durchaus von keinem Worte eine Urbedeutung kennen, da die erste Etymologie unendliche Jahre hinter unserer Kenntnis von ihr zurückliegt, so hat kein Wort jemals andere als metaphorische Bedeutungen.

Wir sind an diesen Gebrauch so gewöhnt, dass wir es nicht einmal als einen Mangel empfinden, wenn wir sogar die allerdringendsten Begriffe, solche, die auch Tiere haben dürften, mit widerstreitenden Worten aus fast entgegengesetzten Sphären bildlich benennen. Wenn wir in einer fremden Sprache nur ein seltenes Wort umschreiben müssen, schämen wir uns und empfinden das als Unvermögen. Wir empfinden es aber nicht als Metapher, wir sind ganz unverschämt, wenn wir die Zeit mit räumlichen Ausdrücken (lang, kurz), wenn wir die Tonhöhe mit Raum- oder Farbenbegriffen (tief, hell) umschreiben; dies ist noch in unseren gealterten Sprachen nachweisbar.

Unsere Sprache wächst durch Metaphern. Und zwar kann man sagen, dass jede Metapher zuerst bewußt gebraucht wird und in den Organismus der Sprache, als Zuwachs, erst dann eingetreten ist, wenn man sie nicht mehr als Metapher fühlt.

So wäre es also eine bloße Annahme, dass die Metapher, die das Wachstum der Sprache ausmacht, auch ihren Ursprung veranlaßt hat. Dabei kann ich mir aber für jetzt noch nichts denken. Es klingt nach etwas, ist aber noch Geschwätz. Der Satz, dass die Metapher die Sprache geschaffen habe, wird aber denkbar, faßbar, ja aufklärend, wenn ich nun wiederhole, dass die Metapher auch zwischen Raum-, Zeit- und Schallbegriffen vermittelt.