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Abstraktion

Zu dem gleichen Ergebnisse kommt zunächst auch die psychologische Betrachtung. Locke dachte sich die Sache noch so, dass der menschliche Verstand die Namen ähnlicher Dinge durch bewußte Vergleichung der Ähnlichkeit abstrahiert habe. Mit dieser Tätigkeit der Abstraktion wissen wir nichts mehr anzufangen. Wir glauben vielmehr, dass wir beim jedesmaligen Anwenden eines Wortes auf einen neuen Gegenstand mehr oder weniger unbewußt handeln, dass wir das gleiche Wort eigentlich auf die gleiche Sache auszudehnen vermeinen. So lange eine Metapher (wie bei dem Dichter) bewußt als eine bloße Vergleichung gebraucht wird, so lange gehört sie noch nicht der Sprache an; der Bedeutungswandel, die Bereicherung des Sprachschatzes beginnt mit dem Unbewußtwerden der Metapher. Es ist begreiflich, dass die unendlich weiteren Worte uralter Sprachzeiten diese unbewußte Aufnahme ähnlicher Objekte noch leichter vornehmen konnten, wie denn auch die Kinder gleichsetzen, was wir nur ähnlich finden.

Wenden wir diese Erkenntnis auf eine Zeit des Sprachursprungs an, so wird uns die Frage nach der historischen Stellung der Eigennamen wieder einmal zu einem bloßen Wortstreit. Stellen wir uns die sprachschöpfenden Menschen einer Urzeit, wie es sich gehört, in der umgebenden Natur wie in einer Kinderstube vor. Bricht nun der hundertjährige Großvater, nach jahrzehntelangem Sinnen über die Erscheinung, eines Abends beim Aufgehen des Mondes in den genialen Ruf aus: "da", so hat er vielleicht mit diesem Genus generalissimum einen Eigennamen gemeint, den als lebende Person vorgestellten Lichtträger am Himmel. Vielleicht. Vielleicht hat er bereits eine Ähnlichkeit mit der Sonne und mit anderen Sternen wahrgenommen und nur sagen wollen, dass "da" etwas Leuchtendes sei. Hat nun sein begabter, wenn auch nicht so genialer Sohn in dieser urweltlichen Kinderstube den Kuf gelernt und aufgefaßt, nennt er am nächsten Abend das brennende Feuer vor der Höhle "da", so hat der Sohn doch nicht einen Eigennamen generalisiert, sondern in der gleichstellenden Vergleichung zwischen Mond und Feuer bloß einen Irrtum begangen. Einen der unzähligen Irrtümer der Vergleichung, durch welche die Sprachen gewachsen sind. Hat nun aber umgekehrt der sprachschöpferische Geist zuerst das Feuer "da" genannt und hat der Sohn dieses Wort am nächsten Abend auf den Mond angewandt, so könnte doch nur ein Pedant darin die entgegengesetzte Entwicklung sehen: den Übergang vom Gattungsnamen zum Eigennamen. In beiden Fällen war es doch nur die Eigenschaft des Leuchtens, die mit dem Rufe "da" gemeint war. Noch am Tage vor der Sprachschöpfung hat der Greis vielleicht nur mit dem Finger auf das Licht gewiesen, und dieses Weisen war doch weder ein Eigenname noch ein Gattungsname. Wir können den Vorgang am besten so begreifen, wenn wir es der psychologischen Situation bei Sprecher und Hörer überlassen, ob ein Individualbegriff oder ein Gattungsbegriff vorgestellt war. Klarheit darüber gab es in dieser urweltlichen Kinderstube nicht. Hätte der Greis nach langem Sinnen ungefähr sagen wollen, dass da eine und dieselbe individuelle leuchtende Scheibe aufsteige, so wäre es nach unserer Sprache mehr ein Eigenname gewesen; hätte er mehr andeuten wollen, dass da schon wieder etwas leuchte, so wäre es nach unserem Sprachgebrauch mehr ein Gattungsname gewesen. Ebenso wäre bei dem hörenden und lernenden Sohn die Frage entscheidend, welcher Gruppe von bereits vorhandenen Vorstellungen er die neue Beobachtung des leuchtenden Mondes oder Feuers assimilierte. Für die Zeiten des Sprachursprungs muß es von der psychologischen Stimmung abgehangen haben, ob so ein Hinweis oder so ein Ruf mehr oder weniger individuelle Bedeutung hatte; nicht als Lösung der Frage, sondern nur als ein sehr allgemeines Beispiel aller psychologischen Möglichkeiten möchte ich den Satz aufstellen: die zusammenhanglose Beobachtung hat mehr den Charakter des Eigennamens, die Apperzeption derselben Beobachtung, ihre Assimilierung macht sie mehr zum Gattungsnamen. Man könnte da sehr scharfsinnig tun und sagen: Eigennamen seien außersprachlich, weil sie vor der Apperzeption liegen und Apperzeption erst Erweiterung des Denkens oder der Sprache ist. Aber im Grunde können wir mit unserer Psychologie an die Psychologie der urweltlichen Kinderstube nicht heran, wie wir eben auch nicht wissen, ob das Kind das Wort Papa individuell oder generell verstehe.

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