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Kindersprache

Innerhalb der lebendigen Sprache könnten wir den metaphorischen Bedeutungswandel der Worte am besten da beobachten, wo auch die Lebhaftigkeit und Heiterkeit am größten ist: bei den Kindern. Nur dass wir uns bemühen müssen, auf den wirklichen Seelenvorgang zu achten. Denn das Kind lernt sprechen, nicht wie die Erwachsenen eine fremde Sprache erlernen, sondern vielmehr ähnlich so wie die Menschheit sprechen gelernt hat, seitdem sie nicht bloß wahrnimmt, seitdem sie spricht. Es wird uns dabei nicht überraschen, dass das Kind in zwei bis fünf Jahren den Weg zurücklegt, zu dem die Menschheit ungezählte Jahrtausende gebraucht hat. Nimmt doch die Entwicklungslehre auch an, dass das Kind in den neun Monaten vor der Geburt ebenso die Entwicklungsgeschichte der Menschheit durchmacht.

Der erwachsene Mensch lernt die Worte einer fremden Sprache falsch und abstrakt aus dem Wörterbuche. Er lernt z. B., dass im Französischen der Klang arbre denselben Vorstellungsinhalt bezeichne wie das deutsche Baum. Hat er sich das fremde Wort erst eingeprägt, so wird er es — richtig oder falsch — immer da anwenden, wo er im Zusammenhang seiner deutschen Rede Baum gesagt hätte. Erst ganz zuletzt, wenn er den lebendigen Gebrauch der fremden Sprache lebendig anzuwenden versteht, kann er sich von dieser Abstraktion befreien und das fremde Wort jedesmal mit dem etwas veränderten Vorstellungsinhalt des fremden Volkes benutzen. Das Kind aber geht beim Sprechenlernen immer vom konkretesten Gebrauch aus. Wenn es zum erstenmal der Mutter das Wort Nadel nachspricht, so kann es gar nicht auf den Gedanken kommen, das Wort sei ein Gattungsbegriff und umfasse Nähnadeln, Stecknadeln, Stricknadeln, Tannennadeln usw. Es versteht unter Nadel etwa beim ersten Begreifen nur die Stricknadeln, die augenblicklich in der Hand der Mutter sind. Nadel ist ihm also ein Eigenname, genau so wie ihm Wauwau ein Eigenname ist für den Haushund, Papa ein Eigenname für seinen Hausvater. Also ähnlich wie Kaiser ein Eigenname ist für die Bürger eines bestimmten Staates, Stadt ein Eigenname für einen bestimmten Landbezirk. Nun ist es Sache der kindlichen Phantasie — die allerdings durch den unaufhörlichen Umgang mit seiner Umgebung in den Sprachgebrauch hineingelenkt wird —, das neu gelernte Wort metaphorisch auf ähnliche Gegenstände anzuwenden. Nadel hört auf, ein Eigenname zu sein, und bedeutet bald jede Stricknadel, später andere Nadeln und vielleicht auch durch kühne, den allgemeinen Sprachgebrauch verlassende Bedeutungswandel andere spitze Gegenstände. Ich hörte einmal ein Kind sagen, es wolle nicht mit der Nadel essen. Es meinte die Gabel. Der Unterschied zwischen falsch sprechen und richtig sprechen beruht nur darauf, dass das Kind bald die gewohnten Metaphern seiner Umgebung nachahmt, bald seine eigene Phantasie arbeiten läßt. Dasselbe Dorchen, das einmal die Hühner, die es zum erstenmal sah, als etwas Zappelndes von der bewegungslosen Natur unterschied und darum Wauwau nannte, hatte den Namen meiner Tochter sprechen gelernt: Deta. Das war dem Kinde natürlich ein Eigenname wie Wauwau und Nadel. Eines Tages führte sie die Phantasie zu der Eingebung, dass Deta zu mir gehöre und sofort wurde Deta zum Familiennamen. Ich selbst hieß Deta; aber auch mein Haus hieß Deta, mein Hund hieß Deta-Wauwau. Das Kind sprach falsch vom Standpunkt des Schulmeisters der Sprache, aber es vollzog sich in ihm einfach der regelmäßige Übergang vom Eigennamen zum Gattungsnamen. Derselbe Vorgang führt zum Falschsprechen, wenn das Kind jeden bärtigen Menschen auf der Straße mit Papa anruft; unaufmerksame Mütter und Ammen meinen dann, es verwechsle den fremden Herrn mit seinem Papa, das Kind aber dichtete bloß, es erfand sich eine Metapher. Ebenso nennt man es falsch gesprochen, wenn das Kind das Wort Hut gelernt hat und nun die Haube der Großmutter einen Hut nennt. Ein Schriftsteller aber oder das Volk, wenn es die Wolke auf einem Berggipfel seine Kappe nennt, wird gelobt. Die Metapher ist da und dort die gleiche. Sie ist die gleiche beim sogenannten Eichtigsprechen, wenn das Kind den Eigennamen Wauwau plötzlich mit jubelnder Phantasietätigkeit auf fremde Hunde anwendet und so sich — jedesmal zu seinem Privatgebrauch — den Eigennamen zum Gattungsnamen umschafft. Wie weit im frühesten Kindesalter ein wirkliches Verwechseln im Geiste mitspielt, wird sich nicht immer ausmachen lassen; es ist aber auch gleichgültig, denn das Verwechseln ist doch nur eine Übertreibung des Vergleichens. Auch der Dichter in seiner leidenschaftlichsten Geistestätigkeit kann das metaphorische Vergleichen so weit treiben, dass sich ihm das Bild an die Stelle des verglichenen Gegenstandes schiebt. Die besten Homerischen Gleichnisse vergessen oft für mehrere Verse den Anlaß der Vergleichung, den bloß vergleichenden Zweck des Bildes.