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Eulen nach Athen

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Eulen nach Athen. — Die Regierungen der großen Staaten haben zwei Mittel in den Händen, das Volk von sich abhängig zu erhalten, in Furcht und Gehorsam: ein gröberes, das Heer, ein feineres, die Schule. Mit Hilfe des ersteren bringen sie den Ehrgeiz der höheren und die Kraft der niederen Schichten, soweit beide tätigen und rüstigen Männern mittlerer und minderer Begabung zu eigen zu sein pflegen, auf ihre Seite; mit Hilfe des andern Mittels gewinnen sie die begabte Armut, namentlich die geistig-anspruchsvolle Halbarmut der mittleren Stände für sich. Sie machen vor allem aus den Lehrern allen Grades einen unwillkürlich nach „oben“ hin blickenden geistigen Hofstaat: indem sie der Privatschule und gar der ganz und gar missliebigen Einzelerziehung Stein über Stein in den Weg legen, sichern sie sich die Verfügung über eine sehr bedeutende Anzahl von Lehrstellen, auf welche sich nun fortwährend eine gewiss fünfmal größere Anzahl von hungrig und unterwürfig blickenden Augen richten, als je Befriedigung finden können. Diese Stellungen dürfen ihren Mann aber nur kärglich nähren: dann unterhält sich in ihm der Fieberdurst nach Beförderung und schließt ihn noch enger an die Absichten der Regierung an. Denn eine mäßige Unzufriedenheit zu pflegen ist immer vorteilhafter als Zufriedenheit, die Mutter des Mutes, die Großmutter des Freisinns und des Übermutes. Vermittels dieses leiblich und geistig im Zaume gehaltenen Lehrertums wird nun, so gut es gehen will, alle Jugend des Landes auf eine gewisse, dem Staate nützliche und zweckmäßig abgestufte Bildungshöhe gehoben: vor allem aber wird jene Gesinnung fast unvermerkt auf die unreifen und ehrsüchtigen Geister aller Stände übertragen, dass nur eine vom Staate anerkannte und; abgestempelte Lebensrichtung sofort gesellschaftliche Auszeichnung mit sich führt. Die Wirkung dieses Glaubens an Staats-Prüfungen und -Titel geht so weit, dass selbst unabhängig gebliebenen, durch Handel oder Handwerk emporgestiegenen Männern so lange ein Stachel der Unbefriedigung in der Brust bleibt, bis auch ihre Stellung durch eine begnadigende Verleihung von Rang und Orden von oben her bemerkt und anerkannt ist, — bis man „sich sehen lassen kann“. Endlich verknüpft der Staat alle jene hundert und aber hundert ihm zugehörigen Beamtungen und Erwerbsposten mit der Verpflichtung, durch die Staatsschulen sich bilden und abzeichnen zu lassen, wenn man je in diese Pforten eingehen wolle: Ehre bei der Gesellschaft, Brot für sich, Ermöglichung einer Familie, Schutz von oben her, Gemeingefühl der gemeinsam Gebildeten — dies alles bildet ein Netz von Hoffnungen, in welches jeder junge Mann hineinläuft: woher sollte ihm denn das Misstrauen angeweht sein! Ist zu guter Letzt gar noch bei jedermann die Verpflichtung, einige Jahre Soldat zu sein, nach Ablauf weniger Generationen, zu einer gedankenlosen Gewohnheit und Voraussetzung geworden, auf welche hin man frühzeitig den Plan seines Lebens zurechtschneidet: so kann der Staat auch noch den Meistergriff wagen, Schule und Heer, Begabung, Ehrgeiz und Kraft durch Vorteile ineinander zu flechten, das heißt den höher Begabten und Gebildeten durch günstigere Bedingungen zum Heere zu locken und mit dem Soldatengeiste des freudigen Gehorsams zu erfüllen: so dass er vielleicht dauernd zur Fahne schwört und durch seine Begabung ihr einen neuen, immer glänzenderen Ruf verschafft. — Dann fehlt nichts weiter als Gelegenheit zu großen Kriegen: und dafür sorgen, von Berufs wegen, also in aller Unschuld, die Diplomaten, samt Zeitungen und Börsen: denn das „Volk“, als Soldatenvolk, hat bei Kriegen immer ein gutes Gewissen, man braucht es ihm nicht erst zu machen.