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Schmerz

Schmerz heißt die qualitativ bestimmte mit Unlust verbundene Empfindung in welche jede Empfindung übergeht, sobald sie eine bestimmte Stärke erreicht. Jeder Schmerz ist zunächst körperlich und kann aus der Gemeinempfindung oder aus der einzelnen Sinnesempfindung hervorgehn. Es gibt schmerzhafte Tasteindrücke, Geräusche, Gesichtsreize, Schmerzen der inneren Organe usw. Die einzelnen Arten derselben werden als stechende, ziehende, bohrende, brennende, reißende usw. bezeichnet. Die Entstehung der körperlichen Schmerzen ist physiologisch und psychologisch ebenso dunkel wie die der körperlichen Lustgefühle. Unzweifelhaft sind die Empfindungsnerven dabei beteiligt. Da aber alle Schmerzen, von welchem Teil sie auch ausgehn, einen gewissen gemeinsamen Charakter haben, so scheint der Schmerz mehr in Erregungsvorgängen der Nerven selbst, als in den Endapparaten derselben seine Quelle zu haben. Manche Nerven scheinen des Schmerzes weniger fähig zu sein, z.B. der Geruchs- und Geschmacksnerv; bei den eigentlich sensitiven Nerven dagegen, die mit dem Lebensprozeß enger verknüpft sind, löst jede starke Reizung sogleich Schmerz aus. Bei anderen wird aus großer, aber noch nicht gefährlicher Unannehmlichkeit bereits Schmerz, z.B. beim Druck-, Wärme- und Muskelsinn. Bei den edlen Sinnen, Gehör und Gesicht, bedeutet Schmerz schon Gefährdung ihres Seins. – Der Schmerz kann von dem zentralen Sitz der Erregung in viele Mitempfindungen ausstrahlen, so daß man sich über den Sitz der Schmerzen vollständig täuschen kann; körperliche Schmerzen fühlen wir nicht, wenn das betreffende Glied vom Gehirn getrennt oder dieses selbst chloroformiert ist. Wenn der Schmerz fehlt, wo er natürlicherweise zu erwarten wäre, liegt das Symtom bedenklicher zentraler Störungen vor. – Im übertragenen Sinne kann man auch von seelischen oder geistigen Schmerzen sprechen. Die Fähigkeit zum seelischen Schmerzempfinden ist bei den verschiedenen Menschen verschieden. Die höchsten Schmerzen empfindet derjenige Mensch, der das tiefste Gefühl, die klarste Einsicht und den besten Willen hat. Schopenhauer (1788-1860) meint, wenn nicht das Leiden der nächste und unmittelbarste Zweck des Lebens wäre, so wäre unser Dasein das Zweckwidrigste von der Welt. Denn es sei absurd anzunehmen, daß der endlose, aus der dem Leben wesentlichen Not entspringende Schmerz zwecklos und rein zufällig sein soll. Das ist nur richtig, wenn Schopenhauers metaphysische Lehre vom Willen und sein Pessimismus richtig ist. Aber daß der Schmerz eine hohe ethische Bedeutung hat, weiß jeder aus eigener Erfahrung. Geduld, Sanftmut, Mitgefühl, Streben nach Höherem und Enthaltsamkeit werden dadurch befördert. Diese teleologische Deutung, welche Burdach dahin präzisiert: „Der Schmerz ist der Wächter des Lebens“, knüpft an die seelischen Schmerzen an, ihr steht die vom Körperschmerz ausgehende physiologisch-mechanische Deutung gegenüber, welche ihn nur als zu große Schwingungsweite der Vibrationen der Nervenfaser betrachtet. Vgl. Hagen, Psychol. Untersuchung. S. 59 f. 1847. Domrich, die psych. Zustände. 1849. S. 173 f. Wundt, Grundz. d. physiol. Psych I, S. 409 ff., Grundr. d. Psychol. S. 56 unterscheidet zwischen Schmerz als Empfindung und Unlust als Gefühlston der Empfindung.