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Prinzip

Prinzip (lat. principium, gr. archê = Anfang) bedeutet, allgemein genommen, den Anfang, den Ursprung, die Grundlage, die Voraussetzung irgend einer Sache. Ein Prinzip ist also ein (relativ oder absolut) Erstes, Ursprüngliches, von dem eine Reihe nachfolgender Dinge abhängig ist. (Quod in se continet rationem alterius, Chr. Wolf, Ontologie § 866.) Solche Prinzipien für die gesamte Wirklichkeit aufzusuchen, ist das Ziel der Metaphysik von ihren Anfängen bis zur Gegenwart gewesen. Thales (um 600 v. Chr.) fand das Prinzip alles Wirklichen im Wasser, Anaximandros (um 570) im qualitativ unbestimmten, quantitativ unendlichen Apeiron, Anaximenes (um 530) in der Luft, Herakleitos (um 600) im Feuer, Pythagoras (580 bis um 500) in der Zahl, Empedokles (484-424) in den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer, Leukippos (5. Jahrh. v. Chr.) und Demokritos (um 460-360) in den Atomen, Platon (427 -347) in den Ideen, Aristoteles (384-322) im Stoff, der Form, der bewegender Ursache und dem Zweck, oder im Stoff und der Form allein, die Stoiker im Stoff und in der Kraft, die Epikureer in den Atomen, die Scholastiker in Gott, Descartes (1596-1650) im Denken und in der Ausdehnung, Spinoza (1632-77) in Gott-Natur, Leibniz (1646-1716) in den Monaden, Fichte (1762-1814) im Ich, Schelling (1775-1854) im Absoluten, Hegel (1770-1831) in der logischen Vernunft, Schopenhauer (1788-1860) im Willen, v. Hartmann (1842-1906) im Unbewußten. Im engeren Sinne ist ein Prinzip ein erster Grundsatz, der eines Beweises nicht fähig ist und nicht bedarf und der eine Denknotwendigkeit für uns bildet. Sein Gegenstück ist das Axiom, d.h. ein unbeweisbarer Satz, der auf unmittelbarer Anschauung beruht (vgl. Axiom). Prinzipien in dieser engeren Bedeutung können dem Range nach entweder komparativ oder absolut sein. Komparative Prinzipien sind allgemeine Sätze, aus denen sich andere Sätze ableiten lassen, absolute Prinzipien sind die schlechthin obersten Sätze oder Regeln, die einer Ableitung zugrunde gelegt werden.

Der Beziehung nach zerfallen die Prinzipien in Realprinzipien, Kausalprinzipien, Erkenntnisprinzipien und Willenspinzipien. Realprinzipien sprechen die obersten Bedingungen des Daseins, der Wirklichkeit aus (principia essendi). Kausalprinzipien bestimmen die obersten Ursachen alles Geschehens (principia fiendi). Erkenntnisprinzipien (principia cognoscendi) umfassen die obersten Bedingungen für alle Erkenntnis, Willensprinzipien oder praktische Prinzipien (principia agendi) geben die obersten Regeln alles Handelns. Die Realprinzipien sind so mannigfaltig gestaltet worden, als es die verschiedenen metaphysischen Standpunkte verlangen (siehe oben). Das oberste Kausalprinzip lautet nach Kants Formulierung: Alles, was geschieht, setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt. Die Erkenntnisprinzipien zerfallen in formale und materiale. Die Formalprinzipien beziehen sich auf die Form der Anordnung und der inneren Verbindung der Erkenntnisse; die Materialprinzipien bestimmen den Inhalt des Erkennens. Jene, wie den Satz der Identität, des Widerspruchs usw., stellt die Logik auf; diese hängen von dem jedesmaligen Erkenntnisgebiet ab. Je nachdem das Einzelne und Besondere, oder das Allgemeine als Ausgangspunkt der Erkenntnis dient, ist der eingeschlagene Weg der Ableitung regressiv (analytisch) oder progressiv (synthetisch). Nur im letzteren Falle können die Erkenntnisprinzipien mit den Realprinzipien sich decken, und die so gewählte Methode (s. d.) des Erkennens ist die eigentlich wissenschaftliche und konstruktive, während die entgegengesetzte nur heuristisch und propädeutisch ist. Die praktischen Prinzipien, die eine Forderung aussprechen und eine Wertbestimmung enthalten, sind entweder von allgemeiner und objektiver Geltung, wie der kategorische Imperativ Kants, oder sie gelten nur für die Person und sind subjektiv; sie heißen dann Maximen (s. d.). Was der gewöhnliche Mensch Prinzipien nennt, sind meist nur Maximen, die keineswegs als Prinzipien brauchbar sind. (Vgl. Überweg, System der Logik § 139. Schopenhauer, über d. vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Rudolstadt 1813.) Die Lehre von den Prinzipien im engeren Sinne hat mit der Entwicklung der Logik Schritt gehalten. Platon (427 bis 347) stellte den Begriff der archê auf und forschte über den progressiven und regressiven Weg (Arist. Eth. Nicom. I, 2. p. 1095 a 32 eu gar kai Platôn êporei touto kai ezêtei, poteron apo tôn archôn ê epi tas archas estin hê hodos hôsper en tô stadiô apo tôn athlothetôn epi to peras ê anapalin). Aristoteles (384-322) unterscheidet die verschiedenen Arten der Prinzipien, des Seins, des Werdens und des Erkennens, und nennt als solche Natur, Element, Gedanke, Entschluß, Wesen und Zweck: pasôn men oun koinon archôn tôn to prôton einai, hothen ê estin ê gignetai ê gignôsketai; toutôn de hai men enyparchousai eisin, hai de ektos. dio hê te physis archê kai to stoicheion kai hê dianoia kai hê prohairesis kai ousia kai to hou heneka. (Aristot. Metaph. IV, 1 p. 1013 a 17 ff.) Kant (1724-1804) verstand unter Prinzipien synthetische Erkenntnisse aus Begriffen und schied zwischen theoretischen und praktischen Prinzipien. Jene geben die Bestimmung der Natur nach Begriffen, diese die Bestimmungen unserer freien Handlungen durch allgemeine Begriffe. (Kant, Kr. d. r. V. S. 298 ff.) Prinzip aller menschlichen Erkenntnis ist für Kant die transzendentale synthetische Einheit der Apperzeption einerseits und die sinnliche Empfindung andrerseits, Prinzip der Natur das Kausalitätsgesetz, Prinzip alles Handelns der kategorische Imperativ und Prinzip der Kunst- und Naturbetrachtung im einzelnen das (nur regulative, nicht konstitutive) Gesetz der Zweckmäßigkeit.