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Gravitation

Es scheint nur so. Und mit erstaunlichem Scharfsinn hat man versucht, Raum und Zeit zu erklären, zu begreifen. Die Zeit sei das eigentliche Wesen menschlich-geistigen Lebens. Der Raum aber lasse sich durch die Geltung des Gravitationsgesetzes beweisen.

Die Anziehungskraft zweier Körper verhält sich nachweisbar umgekehrt wie das Quadrat ihrer Entfernungen. Wir können uns ganz deutlich vorstellen, wie dieses Verhältnis in einem dreidimensionalen Raum so sein muß. Die Anziehungskraft verteilt sich nach unserer Vorstellung auf die Oberfläche der Kugel, in welche die Anziehungskraft ausstrahlt. Die Kugel ist hier nur eine ideale Form des Raums. Die Oberfläche der Kugel steht zu ihrem Halbmesser wirklich in einem quadratischen Verhältnis. Also muß der wirkliche Raum ebenso dreidimensional sein wie unsere Vorstellung von ihm. Hätte der Raum in Wirklichkeit nur zwei Dimensionen, die Anziehungskraft müßte im einfachen Verhältnis zum Halbmesser oder zur Entfernung wirken. Hätte der wirkliche Raum mehr als drei Dimensionen, so müßte in der Formel der Gravitation eine andere Funktion als die quadratische eintreten. Also: der wirkliche Raum entspricht unserer dreidimensionalen Vorstellung, wir haben eine Erkenntnis von der Wirklichkeit. Alles sehr hübsch und geistreich.

Ich will nicht fragen, wo in diesem Bilde die Zeit bleibt, die vierte Dimension der Wirklichkeit. Ich will nicht fragen, ob die ganze Vorstellung von einem geometrischen Raum nicht am Ende doch nur ein bildlicher Ausdruck für die Beziehungen der Wirklichkeit sei, wie wir doch auch die Sphärenvergleichung der logischen Begriffe und Urteile als ein falsches Bild des geistigen Vorgangs nachweisen werden. Ich will endlich nicht die letzte Frage stellen: ob wir bei den Worten dieser Gedanken noch Erinnerungsbilder an Sinneseindrücke glaubhaft vor uns haben, ob wir nicht die Welt der Erscheinungen schon verlassen haben, da wir auf ihren Schultern in die Welt der Wirklichkeit einzudringen suchen. Eines aber will und muß ich fragen.

Auch die Gravitation enthüllt sich uns als ein polarer Dualismus. Einen einzigen Körper allein können wir uns gar nicht als dem Gravitationsgesetze unterworfen vorstellen. Was wir zu beobachten glauben, ist immer und überall die gegenseitige Wirkung zweier Körper, eine Polarität. Wie weit wir auch diese Polarität zurückverfolgen, sie bleibt Erscheinung, schon darum, weil wir sie eben auf keine Einheit zurückbringen können.

Und weiter muß ich jetzt fragen: ist bei dieser Erscheinung, die wir Gravitation nennen, die andere Form, unter der wir die Wirklichkeit glauben, ist die Zeit nicht immer und überall mit tätig? Die Welt stürzt uns zusammen auf einen Punkt, wenn wir den Raum fortdenken. Die Welt zerfließt aber auch sofort in nichts, wenn wir die Zeit fortdenken. Auch die Gravitation ist nur ein Doppelheiligenbild von etwas, was wir gegenseitige Wirkung nennen, um das Vielfache, was wir sehen, endlich auf ein Zweifaches zurückzuführen.

Wer aber sagt uns, daß dieses Zweifache der Wirklichkeit selbst angehört? Wer sagt uns, daß dieser Dualismus etwas anderes sei, als auf der einen Seite die Welt der Erscheinung und auf der anderen Seite mein altes Ich, das an eine Wirklichkeitswelt glaubt?

Ist aber mit Hilfe unserer armen Sprache nicht einmal die Erkenntnis dessen möglich, was den urältesten Glauben der Menschheit bildet, die Erkenntnis eines Wirklichen nämlich, wie steht es da um das Verhältnis der Sprache zur Erkenntnistheorie überhaupt?

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