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Denkgewohnheit

Es kränkt unsere halbmittelalterlichen Vorstellungen von der Seele und ihren Vermögen, wenn nun solche Halbgottheiten wie der Glaube, das Schließen und das stolze Denken sogar etwa dem inferioren Begriffe Gewohnheit untergestellt werden müssen. Wir aber können nicht anders. Wir sehen im Denken nur eine Arbeitsleistung des Gedächtnisses und wissen, daß größere oder geringere Aufmerksamkeit erforderlich ist, daß das Denken mehr bewußt oder mehr unbewußt vor sich geht, je nachdem der Weg unserer Gedanken mehr oder weniger eingeübt worden ist. Der Obersatz jedes Schlusses ist für den Augenblick des Schließens ein Glaubenssatz. Der Glaube, sei er religiöser Volksglaube oder eine individuelle und meinetwegen wissenschaftlich begründete Überzeugung, ist eine ererbte oder erworbene Gewohnheit. Gewohnheit ist aber auch der Weg des Schließens und so das ganze Denken.

Es braucht niemand über diese Verwendung eines gemeinen Begriffes zu erschrecken. Es ist nur eine vorläufige Ansicht; die Sprachkritik ist nicht wortabergläubisch. Unter der alten Weltanschauung, welche die Seele des Menschen so oder so durch übernatürliche Geister bewegt werden ließ, waren Glaube und Denken mächtige Persönlichkeiten, die einander überdies ewig bekämpften. In unserer Übergangszeit mit ihrer Neigung, das Seelenleben mit mechanischen Bewegungen in Parallele zu setzen, ist uns endlich Glaube sowohl als Denken zu einer und derselben Tätigkeit geworden, zu einer Einübung des Gedächtnisses oder zu einer Gewohnheit der Sprache. Sollten wir in Zukunft zu einer besseren Einsicht in die Gehirnvorgänge gelangen, sollten wir insbesondere zwischen bewußter und unbewußter Hirntätigkeit unterscheiden lernen, dann wird auch der Begriff Gewohnheit sich als leere Personifikation enthüllen und wir werden vielleicht auf einer höheren Stufe wieder Denkakte und Glaubenszustände als zweierlei Grade der Einübung kennen lernen. Jedenfalls spielt das, was jedes Kind unter dem schlichten Namen der Gewohnheit begreift, eine entscheidende Rolle in allen Fragen nach dem Verhältnisse zwischen dem bewußten und dem unbewußten Seelenleben.

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