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Gefühle und Sprache

Was wir Gefühle nennen, sind also nur die subjektiven Begleitumstände der Empfindungen. Dieser Racker von Ich, der Zellenstaat des eigenen Leibes, wird durch gewisse Empfindungen oder Wahrnehmungen angenehm berührt, durch andere unangenehm, und zwar bald unmittelbar, bald aus der Erinnerung oder dem Bewußtsein her. Es ist das einzige an der Außenwelt, was er subjektiv empfindet, weil er ja alle Wahrnehmungen als Objekt nach außen projiziert. Eben darin aber, daß er die Gefühle nicht projizieren kann, sie nicht nach außen werfen, nicht äußern kann, daß er sie bei sich behalten muß, darin liegt das Eingeständnis, daß er sie nicht in die Welt der Wirklichkeit einzureihen vermag. Sie sind also zugleich die nächsten Symptome eines Ich, also das Wirklichste jedes Menschen, und zugleich das Nichtigste für die Erkenntnis.

Gefühle stehen wohl zu den Wahrnehmungen in demselben Verhältnis, wie der Wille zu unseren Bewegungen. Es sind Namen von Haltestellen, von Hemmungsstellen, die einen Namen gar noch nicht verdienen, solange wir sie nicht besser kennen.

(Gemeingefühl ist ein hübsches Wort, hinter dem nicht viel anderes steckt als die bessere oder schlechtere Gesundheit des Individuums. Die es erfunden haben, sollten gezwungen werden, einander so zu begrüßen: "Wie ist Ihr Gemeingefühl?")

Die Subjektivität der Gefühle ist so groß, daß die Frage der Kausalität (das Abc der Empfindungen) umsoweniger aufgeworfen wird, je stärker das Gefühl ist. Je stärker ein Schmerz, desto gleichgültiger ist dem Leidenden eigentlich die Ursache. Beim stärksten Schmerz schwindet endlich die Kausalität gänzlich: man verliert den Verstand.

Wenn man von den Notizen unseres Bewußtseins diejenigen ausscheidet, die durch die Sinnesorgane verzeichnet worden sind, so wird der empfindende Mensch mit Schrecken gewahr, daß er für diese Stimmungen oder Zustände zwar das lebhafteste Interesse, aber keine Worte hat. Man nennt diese Notizen des Bewußtseins, diese uns unaufhörlich sprachlos beschäftigenden Stimmungen: die Gefühlstöne unserer Empfindungen oder die Gefühle. Wir haben eigentlich für die ganze Unzahl von Gefühlen nur einen Gattungsbegriff; ihre Beziehung nämlich zu unserem Wollen können wir allein ausdrücken. Wir mögen etwas oder wir mögen es nicht. Auf diese kleine Brutalität läuft schließlich alles hinaus, was unsere Gefühle gegen eine Farbe, einen Ton, eine Frucht, eine Blume, ein Klima, ein Weib, sonst einen Menschen, die Welt, das Leben ausdrücken können. Wenn wir Worte gebrauchen wie Liebe und Haß, Lust und Unlust u. s. w., so fügen wir dem Gefühl, daß wir etwas mögen oder nicht, durchaus keinen Gedanken hinzu. Und da unser Dasein oder richtiger unser Bewußtsein nur aus solchen Gefühlen besteht, da die benannten Empfindungen und Vorstellungen uns nur ihres Gefühlswertes wegen bewußt werden, so müssen wir uns auch von dieser Seite der Überzeugung nähern, daß der Kern unseres Wesens mit der Sprache oder dem Denken nichts zu tun habe, daß unsere gesamte benannte Welt, die Empfindungsund Vorstellungswelt, nichts weiter sei als eine übersichtliche Registratur der Gefühlswelt.

Von hier aus erklärt sich durch Ähnlichkeit die Wortarmut unseres Geruchsinns. Wenn wir sagen: Apfelgeruch oder Veilchenduft, so heißt das eigentlich: Ich mag die Frucht essen. Es riecht, was mich an was Gutes erinnert, oder: Ich mag diese Luft hier einsaugen. Es riecht was, das mich an was Liebes erinnert. Als unmittelbarer Diener unseres Nahrungsbedürfnisses braucht der Geruchssinn nichts weiter zu sagen. Die mittelbaren Diener, wie Ohr und Auge, müssen wortreicher sein. So müssen die Beamten des Königs in den Provinzen gelehrte Schreibersleute sein; sein unmittelbarer Diener, der ihn vielleicht beherrscht, braucht nicht lesen und schreiben zu können. Der erste Minister braucht nur schweigen zu können und nichts zu tun. Was vor dem bekannten Scherzwort des Fürsten Hohenlohe schon Hamann gewußt hat (Schriften, herausgegeben von Roth, I, S. 201.)

So wie der fast sprachlose Geruchsinn zum Magen des Menschen, so stehen die meist sprachlosen Gefühle zu seinem ganzen Leben. Und mit demselben Recht, mit welchem man Erdbeergeruch, Himbeergeruch, Reseda-, Veilchenduft für Worte, für Begriffe hält, mit demselben Recht könnte man jedes menschliche Begehren und jeden Trieb als einen Begriff bezeichnen. Die kritischere Sprache aber kennt solche Worte nicht, sie hat keine klaren Gefühlsausdrücke, eben weil unsere Gefühle das Leben selbst sind, unsere Natur selbst, und weil die Natur der Sprache unzugänglich bleibt.

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