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Nietzsche

Bei Nietzsche wird ein Gedanke, der unsere armen fünf Sinne als Zufallssinne ansieht und danach den Wert ihres Zufallsbildes von der Welt mißt oder messen sollte, — bei Nietzsche wird dieses wichtigste Ergebnis der psychologischen Sprachkritik oder der sprachlichen Kritik der Psychologie weniger überraschen als bei Lessing. Überraschen könnte es höchstens, daß Lessing schon hundert Jahre vor der Herrschaft der Entwicklungsidee es mit klarer Größe aussprach, daß mehr als fünf Sinne für den Menschen sein können, während Nietzsche trotz Schopenhauer, Darwin und radikal ethischer Sprachkritik über einige aufzuckende Lichtblitze nicht hinausgelangt.

Solche Sätze finden sich in seinem Entwurfe: "Die Wiederkunft des Gleichen", welcher im Sommer 1881 niedergeschrieben, erst nach der geistigen Erkrankung Nietzsches, im zwölften Bande der Werke, veröffentlicht und dann wieder unterdrückt wurde. Der philologische Froschmäusekrieg um diesen Entwurf, (der freilich besser wörtlich in seinem Zusammenhange abgedruckt worden wäre) ändert nichts an der Tatsache, daß Nietzsche diese Träume geträumt hat, und daß ihre Mitteilung auf manche Menschen Einfluß gewinnen wird. "Die Wiederkunft des Gleichen" ist aber der unsinnigste und der geistreichste unter den Einfallen Nietzsches, der sich der Übermensch dünken durfte, weil er ein Einsamer war.

Ich habe hier "Die Wiederkunft des Gleichen" nicht zu beurteilen; sonst würde ich eingehend sowohl die naturwissenschaftliche als die ethische Grundlage des ungeheuerlichen Gedankens als verfehlt nachweisen. Nur so viel: Nietzsche berechnet aus der Unendlichkeit der Zeit und der Endlichkeit der Zahl von Kombinationen, welche die Weltmoleküle eingehen können, die Notwendigkeit einer periodischen Wiederkehr gleicher Zustände; er übersieht dabei, daß der Begriff der Unendlichkeit bei der unendlichen Kleinheit der Moleküle schon auf die Zahl derjenigen Moleküle angewendet werden kann, die nur einen einzigen Menschenleib ausmachen. Wenn er nun gar seine Gedanken zur Religion der freiesten, heitersten und erhabensten Seelen machen will, wenn er der moralischen Regel Kants die verstiegene Maxime entgegenstellt: "Lebe so, wie du bei der Wiederkehr des Gleichen unzähligemal leben willst!" (das ist der Sinn des Aphorisma 219), so vergißt er völlig, daß da gerade das Schwergewicht seiner Idee und ihr Einfluß auf die Handlungen der Menschen die Wiederkehr des Gleichen einfach wieder aufheben müßte.

Er kann aber den Gedanken von so fabelhaften Auf- und Abwicklungen der Menschengeschichte nicht fassen, ohne vorher Darwins Entwicklungslehre teilweise auf die Geschichte unseres Verstandes übertragen zu haben. Er vermutet schon, daß wir nur sehen, was wir kennen, daß der größte Teil unseres Augenbildes nicht Sinneneindruck ist, sondern Phantasieerzeugnis. Und er wirft schon gegen das Schwergewicht seines eigenen Gedankens unklar (ich möchte fast sagen: absichtlich unklar) die Frage auf. ob nicht die Vielartigkeit der Qualitäten in unserer Welt eine Folge der absoluten Entstehung beliebiger Eigenschaften sei? Er lehrt, daß unser Weltbild auf einem Irrtum beruhe und die Wissenschaft diesen Irrtum nur fortsetze. "In der Art, wie die Erstlinge organischer Bildungen Reize empfanden und das Außer-sich beurteilten, muß das lebenerhaltende Prinzip gesucht werden: derjenige Glaube siegte, erhielt sich, bei dem das Fortleben möglich wurde: nicht der am meisten wahre, sondern der am meisten nützliche Glaube . . . Der Irrtum Vater des Lebendigen. Dieser Urirrtum ist als ein Zufall zu verstehen! zu erraten!" Und diese Vorstellung von einem zufälligen Urirrtum mag sein Ausgangspunkt gewesen sein; denn er beginnt seinen Entwurf (wenigstens in der Ausgabe Fritz Koegels) mit den Sätzen: "Es gibt wahrscheinlich viele Arten von Intelligenz, aber jede hat ihre Gesetzmäßigkeit, welche ihr die Vorstellung einer anderen Gesetzmäßigkeit unmöglich macht. Weil wir also keine Empirie über die verschiedenen Intelligenzen haben können, ist auch jeder Weg zur Einsicht in den Ursprung der Intelligenz verschlossen. Das allgemeine Phänomen der Intelligenz ist uns unbekannt, wir haben nur den Spezialfall und können nicht verallgemeinern. Hier allein sind wir ganz Sklaven, selbst wenn wir Phantasten sein wollten!".