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Tierseele

Wie weit darf nun dieses Wort ausgedehnt werden? Hat die Lehre von der Allbeseelung ein Recht, ein Sprachrecht, das Wort "Seele" über den alten Sprachgebrauch hinaus, über Menschliches hinaus anzuwenden? Wie sehr der Streit um die Seele der Tiere nämlich ein bloßer Wortstreit ist, das wird noch klarer, wenn die Frage nach der Beseelung der Pflanzen mit herangezogen wird. Der Streit um die Tierseele läßt sich doch gewiß so formulieren: haben wir ein Recht oder nicht, oder richtiger — entspricht es unserem Sprachgebrauch oder nicht, das Wort Seele, mit welchem wir das Geheimnis oder die vorausgesetzte Ursache des menschlichen Handelns, der menschlichen Bewegungen zusammenzufassen pflegen, auf die Ursache der tierischen Bewegungen anzuwenden? Die Ähnlichkeit der tierischen und der menschlichen Bewegungen liegt auf der Hand; selbst das Organ der angenommenen psychischen Ursache, das Nervensystem, ist bei den Tieren vorhanden. Wir waren aber so sehr daran gewöhnt worden, unter Seele das Organ der in Zeit und Raum so reich entwickelten menschlichen Bewegungen (z. B. der Sprache) aufzufassen, daß manche zögern, das Wort auf die in Zeit und Raum beschränkteren Tierbewegungen anzuwenden. Descartes, welcher die Tiere für unbeseelte Maschinen erklärte, und Haeckel, welcher zwischen Tier- und Menschenseelen keinen Unterschied sieht, haben trotzdem ungefähr die gleiche Vorstellung vom Menschen einerseits und vom Tiere anderseits. Nur das Interesse der Gedankenrichtung läßt in jedem von ihnen den Bedeutungswandel des Wortes Seele anders ausfallen. Dieses Interesse, das unbewußte Motiv, ist bei Descartes wie bei Haeckel ziemlich klar: Descartes opferte der allmächtigen Kirche die Tiere (die er als "Maschinen" preisgab), um den Rationalismus des Menschen zu retten; Descartes hat durch sein grobes Wort das ungewollte Verdienst gehabt, die Tierpsychologie (Rorarius, Lamettrie) gegen die Losreißung des Menschen vom Tierreich wachzurufen. Haeckel wiederum starrt wie hypnotisiert auf den Wortfetisch "Entwicklung" und übersieht darum auch die Gradunterschiede.