§ 12a. Die Veralltäglichung des Charisma durch Anpassung an die Bedingungen der Wirtschaft


§ 12 a. Voraussetzung der Veralltäglichung ist die Beseitigung der Wirtschaftsfremdheit des Charisma, seine Anpassung an fiskalische (Finanz-) Formen der Bedarfsdeckung und damit an steuer- und abgabefähige Wirtschaftsbedingungen. Die »Laien« der zur Präbendalisierung schreitenden Sendungen stehen dem »Klerus«, dem (mit »Anteil«, kleros) beteiligten Mitglied des charismatischen, nun veralltäglichten Verwaltungsstabes (Priestern der entstehenden »Kirche«), die »Steueruntertanen« den Vasallen, Pfründnern, Beamten des entstehenden politischen Verbandes, im Rationalitätsfall: »Staats« oder etwa den statt der »Vertrauensmänner« jetzt angestellten Parteibeamten gegenüber.

 

Typisch bei den Buddhisten und hinduistischen Sekten zu beobachten (s. Religionssoziologie). Ebenso in allenzu Dauergebilden rationalisierten Eroberungsreichen. Ebenso bei Parteien und andern ursprünglich rein charismatischen Gebilden.

 

Mit der Veralltäglichung mündet also der charismatische Herrschafts-Verband weitgehend in die Formen der Alltagsherrschaft: patrimoniale, insbesondere: ständische, oder bureaukratische, ein. Der ursprüngliche Sondercharakter äußert sich in der erbcharismatischen oder amtscharismatischen ständischen Ehre der Appropriierten, des Herrn wie des Verwaltungsstabs, in der Art des Herren- Prestiges also. Ein Erbmonarch »von Gottes Gnaden« ist kein einfacher Patrimonialherr, Patriarch oder Scheich, ein Vasall kein Ministeriale oder Beamter. Das Nähere gehört in die Lehre von den »Ständen«.

Die Veralltäglichung vollzieht sich in der Regel nicht kampflos. Unvergessen sind anfänglich die persönlichen Anforderungen an das Charisma des Herrn, und der Kampf des Amts- oder Erb- mit dem persönlichen Charisma ist ein in der Geschichte typischer Vorgang.

 

1. Die Umbildung der Bußgewalt (Dispensation von Todsünden) aus einer nur dem persönlichen Märtyrer und Asketen zustehenden Herrengewalt in eine Amts-gewalt von Bischof und Priester ist im Orient weit langsamer erfolgt als im Okzident unter dem Einfluß des römischen »Amts«-Begriffs.

Charismatische Führerrevolutionen gegen erbcharismatische oder gegen Amtsgewalten finden sich in allen Verbänden, von dem Staat bis zu den Gewerkschaften (gerade jetzt!). Je entwickelter aber die zwischenwirtschaftlichen Abhängigkeiten der Geldwirtschaft sind, desto stärker wird der Druck der Alltagsbedürfnisse der Anhängerschaft und damit die Tendenz zur Veralltäglichung, die überall am Werk gewesen ist und, in aller Regel schnell, gesiegt hat. Charisma ist typische Anfangs erscheinung religiöser (prophetischer) oder politischer (Eroberungs-) Herrschaften, weicht aber den Gewalten des Alltags, sobald die Herrschaft gesichert und, vor allem, sobald sie Massen charakter angenommen hat.

2. Ein treibendes Motiv für die Veralltäglichung des Charisma ist natürlich in allen Fällen das Streben nach Sicherung und das heißt: Legitimierung der sozialen Herrenpositionen und ökonomischen Chancen für die Gefolgschaft und Anhängerschaft des Herrn. Ein weiteres die objektive Notwendigkeit der Anpassung der Ordnungen und des Verwaltungsstabes an die normalen Alltagserfordernisse und - bedingungen einer Verwaltung. Dahin gehören insbesondere Anhaltspunkte für eine Verwaltungs- und Rechtsprechungs- Tradition, wie sie der normale Verwaltungsstab ebenso wie die Beherrschten benötigen. Ferner irgendwelche Ordnung der Stellungen für die Mitglieder der Verwaltungsstäbe. Endlich und vor allem – wovon später gesondert zu sprechen ist – die Anpassungen der Verwaltungsstäbe und aller Verwaltungsmaßregeln an die ökonomischen Alltagsbedingungen: Deckung der Kosten durch Beute, Kontributionen, Schenkungen, Gastlichkeit, wie im aktuellen Stadium des kriegerischen und prophetischen Charisma, sind keine möglichen Grundlagen einer Alltags-Dauerverwaltung.

3. Die Veralltäglichung wird daher nicht nur durch das Nachfolgerproblem ausgelöst und ist weit entfernt, nur dies zu betreffen. Im Gegenteil ist der Übergang von den charismatischen Verwaltungsstäben und Verwaltungsprinzipien zu den alltäglichen das Hauptproblem. Aber das Nachfolgerproblem betrifft die Veralltäglichung des charismatischen Kerns: des Herrn selbst und seiner Legitimität und zeigt im Gegensatz zu dem Problem des Übergangs zu traditionalen oder legalen Ordnungen und Verwaltungsstäben besondersartige und charakteristische, nur aus diesem Vorgang verständliche, Konzeptionen. Die wichtigsten von diesen sind die charismatische Nachfolgerdesignation und das Erbcharisma.

4. Für die Nachfolgerdesignation durch den charismatischen Herrn selbst ist das historisch wichtigste Beispiel, wie erwähnt, Rom. Für den rex wird sie durch die Überlieferung behauptet, für die Ernennung des Diktator und des Mitregenten und Nachfolgers im Prinzipat steht sie in historischer Zeit fest; die Art der Bestellung aller Oberbeamten mit imperium zeigt deutlich, daß auch für sie die Nachfolgerdesignation durch den Feldherrn, nur unter Vorbehalt der Anerkennung durch das Bürgerheer, bestand. Denn die Prüfung und ursprünglich offenbar willkürliche Ausschließung der Kandidaten durch den amtierenden Magistrat ergibt die Entwicklung deutlich.

5. Für die Nachfolgerdesignation durch die charismatische Gefolgschaft sind die wichtigsten Beispiele die Bestellung der Bischöfe, insbesondere des Papstes durch – ursprünglich – Designation seitens des Klerus und Anerkennung seitens der Gemeinde und die (wie U. Stutz wahrscheinlich gemacht hat) nach dem Beispiel der Bischofsbestellung später umgebildete Kürung des deutschen Königs: Designation durch gewisse Fürsten und Anerkennung durch das (wehrhafte) »Volk«. Ähnliche Formen finden sich sehr oft.

6. Für die Entwicklung des Erbcharisma war das klassische Land Indien. Alle Berufsqualitäten und insbesondere alle Autoritätsqualifikationen und Herrenstellungen galten dort als streng erbcharismatisch gebunden. Der Anspruch auf Lehen an Herrenrechten haftete an der Zugehörigkeit zur Königssippe, die Lehen wurden beim Sippenältesten gemutet. Alle hierokratischen Amtsstellungen, einschließlich der ungemein wichtigen und einflußreichen Guru- (Directeur de l'âme)-Stellung, alle repartierten Kundschaftsbeziehungen, alle Stellungen innerhalb des Dorf- Establishment (Priester, Barbier, Wäscher, Wachmann usw.) galten als erbcharismatisch gebunden. Jede Stiftung einer Sekte bedeutete Stiftung einer Erbhierarchie. (So auch im chinesischen Taoismus.) Auch im japanischen »Geschlechterstaat« (vor dem nach chinesischem Muster eingeführten Patrimonialbeamtenstaat, der dann zur Präbendalisierung und Feudalisierung führte) war die soziale Gliederung rein erbcharismatisch (näher davon in anderem Zusammenhang).

Dies erbcharismatische Recht auf die Herrenstellungen ist ähnlich in der ganzen Welt entwickelt worden. Die Qualifikation kraft Eigenleistung wurde durch die Qualifikation kraft Abstammung ersetzt. Diese Erscheinung liegt überall der Geburtsstands- Entwicklung zugrunde, bei der römischen Nobilität ebenso wie im Begriff der »stirps regia« bei den Germanen nach Tacitus, wie bei den Turnier- und Stiftfähigkeitsregeln des späten Mittelalters, wie bei den modernen Pedigree-Studien der amerikanischen Neuaristokratie, wie überhaupt überall, wo »ständische« Differenzierung (darüber s.u.) eingelebt ist.

Beziehung zur Wirtschaft: Die Veralltäglichung des Charisma ist in sehr wesentlicher Hinsicht identisch mit Anpassung an die Bedingungen der Wirtschaft als der kontinuierlich wirkenden Alltagsmacht. Die Wirtschaft ist dabei führend, nicht geführt. In weitestgehendem Maße dient hierbei die erb- oder amtscharismatische Umbildung als Mittel der Legitimierung bestehender oder erworbener Verfügungsgewalten. Namentlich das Festhalten an Erbmonarchien ist – neben den gewiß nicht gleichgültigen Treue-Ideologien – doch sehr stark durch Erwägungen mitbedingt: daß aller ererbte und legitim erworbene Besitz erschüttert werde, wenn die innere Gebundenheit an die Erbheiligkeit des Thrones fortfalle, und ist daher nicht zufällig den besitzenden Schichten adäquater als etwa dem Proletariat.

Im übrigen läßt sich etwas ganz Allgemeines (und zugleich: sachlich Inhaltliches und Wertvolles) über die Beziehungen der verschiedenen Anpassungsmöglichkeiten zur Wirtschaft nicht wohl sagen: dies muß der besonderen Betrachtung vorbehalten bleiben. Die Präbendalisierung und Feudalisierung und die erbcharismatische Appropriation von Chancen aller Art kann in allen Fällen ihre stereotypierenden Wirkungen bei Entwicklung aus dem Charisma ganz ebenso üben wie bei Entwicklung aus patrimonialen und bureaukratischen Anfangszuständen und dadurch auf die Wirtschaft zurückwirken. Die regelmäßig auch wirtschaftlich gewaltig revolutionierende – zunächst oft: zerstörende, weil (möglicherweise): neu und »voraussetzungslos« orientierende – Macht des Charisma wird dann in das Gegenteil ihrer Anfangswirkung verkehrt.

 

Über die Ökonomik von (charismatischen) Revolutionen ist s.Z. gesondert zu reden. Sie ist überaus verschieden.


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