§ 9a. Traditionale Herrschaft. Wirtschaft


§ 9 a. Auf die Art des Wirtschaftens wirkt eine traditionale Herrschaft in aller Regel zunächst und ganz allgemein durch eine gewisse Stärkung der traditionalen Gesinnung, am stärksten die gerontokratische und rein patriarchale Herrschaft, welche ganz und gar auf die durch keinen im Gegensatz zu den Genossen des Verbandes stehenden Sonderstab des Herrn gestützt, also in ihrer eigenen Legitimitätsgeltung am stärksten auf Wahrung der Tradition in jeder Hinsicht hingewiesen sind.

Im übrigen richtet sich die Wirkung auf die Wirtschaft

1. nach der typischen Finanzierungsart des Herrschaftsverbandes (Kap. II. § 38).

Patrimonialismus kann in dieser Hinsicht höchst Verschiedenes bedeuten. Typisch aber ist namentlich:

a) Oikos des Herrn mit ganz oder vorwiegend natural- leiturgischer Bedarfsdeckung (Naturalabgaben und Fronden). In diesem Fall sind die Wirtschaftsbeziehungen streng traditionsgebunden, die Marktentwicklung gehemmt, der Geldgebrauch ein wesentlich naturaler und Konsum-orientierter, Entstehung von Kapitalismus unmöglich. In diesen Wirkungen steht diesem Fall nahe der ihm verwandte:

b) mit ständisch privilegierender Bedarfsdeckung. Die Marktentwicklung ist auch hier, wenn auch nicht notwendig in gleichem Maße, begrenzt durch die die »Kaufkraft« beeinträchtigende naturale Inanspruchnahme des Güterbesitzes und der Leistungsfähigkeit der Einzelwirtschaften für Zwecke des Herrschaftsverbandes.

Oder der Patrimonialismus kann sein:

c) monopolistisch mit teils erwerbswirtschaftlicher, teils gebührenmäßiger, teils steuerlicher Bedarfsdekkung. In diesem Fall ist die Marktentwicklung je nach der Art der Monopole stärker oder schwächer irrational eingeschränkt, die großen Erwerbschancen sind in der Hand des Herrn und seines Verwaltungsstabes, der Kapitalismus ist in seiner Entwicklung daher entweder

α. bei voller Eigenregie der Verwaltung unmittelbar gehemmt oder aber

β. im Fall, daß Steuerpacht, Amtspacht oder -Kauf und kapitalistische Heeresoder Verwaltungs- Beschaffung als Finanzmaßregeln bestehen, auf das Gebiet des politisch orientierten Kapitalismus (Kap. II, § 31) abgelenkt.

Die Finanzwirtschaft des Patrimonialismus, und vollends des Sultanismus, wirkt, auch wo sie geldwirtschaftlich ist, irrational:

1.) durch das Nebeneinander von

α. Traditionsgebundenheit in Maß und Art der Inanspruchnahme direkter Steuerquellen, und

β. völliger Freiheit, und daher: Willkür in Maß und Art der 1. Gebühren- und 2. Auflagenbemessung und

3. Gestaltung der Monopole. Alles dies besteht jedenfalls dem Anspruch nach; effektiv ist es historisch am meisten bei 1 (dem Prinzip der »bittweisen Tätigkeit« des Herrn und des Stabes gemäß), weit weniger bei 2, verschieden stark bei 3.

2.) Es fehlt aber überhaupt für die Rationalisierung der Wirtschaft die sichere Kalkulierbarkeit der Belastung nicht nur, sondern auch des Maßes privater Erwerbsfreiheit.

d) Im Einzelfall kann allerdings der patrimoniale Fiskalismus durch planvolle Pflege der Steuerfähigkeit und rationale Monopolschaffung rationalisierend wirken. Doch ist dies ein durch historische Sonderbedingungen, die teilweise im Okzident bestanden, bedingter »Zufall«.

Die Finanzpolitik bei ständischer Gewaltenteilung hat die typische Eigenschaft: durch Kompromiß fixierte, also: kalkulierbare Lasten aufzuerlegen, die Willkürlichkeit des Herrn in der Schaffung von Auflagen, vor allem aber auch von Monopolen, zu beseitigen oder mindestens stark zu beschränken. Inwieweit die materiale Finanzpolitik dabei die rationale Wirtschaft fördert oder hemmt, hängt von der Art der in der Machtstellung vorwaltenden Schicht ab, vor allem: ob

a) feudale, oder

b) patrizische. Das Vorwalten der ersteren pflegt kraft der normalerweise überwiegend patrimonialen Struktur der verlehnten Herrschaftsrechte die Erwerbsfreiheit und Marktentwicklung fest zu begrenzen oder geradezu absichtsvoll, machtpolitisch, zu unterbinden, das Vorwalten der letzteren kann entgegengesetzt wirken.

 

1. Das Gesagte muß hier genügen, da darauf in den verschiedensten Zusammenhängen eingehender zurückgekommen wird.

2. Beispiele: Für 1. a) (Oikos): Altägypten und Indien.

Für b) erhebliche Gebiete des Hellenismus, das spätrömische Reich, China, Indien, teilweise Rußland und die islamischen Staaten.

Für c) das Ptolemäerreich, Byzanz (teilweise), in anderer Art die Herrschaft der Stuarts.

Für d) die okzidentalen Patrimonialstaaten in der Zeit des »aufgeklärten Despotismus« (insbesondere des Colbertismus).

 

2. Der normale Patrimonialismus bereitet nicht nur durch seine Finanzpolitik der rationalen Wirtschaft Hemmungen, sondern vor allem durch die allgemeine Eigenart seiner Verwaltung. Nämlich:

a) durch die Schwierigkeit, die der Traditionalismus formal rationalen und in ihrer Dauer verläßlichen, daher in ihrer wirtschaftlichen Tragweite und Ausnutzbarkeit kalkulierbaren Satzungen bereitet, –

b) durch das typische Fehlen des formal fachgeschulten Beamtenstabs;

Die Entstehung eines solchen innerhalb des okzidentalen Patrimonialismus ist, wie sich zeigen wird, durch einzigartige Bedingungen herbeigeführt die nur hier bestanden, und war primär gänzlich anderen Quellen entwachsen.

c) durch den weiten Bereich materialer Willkür und rein persönlicher Beliebungen des Herrn und des Verwaltungsstabes, – wobei die eventuelle Bestechlichkeit, die ja lediglich die Entartung des unreglementierten Gebühren-Rechts ist, noch die relativ geringste, weil praktisch kalkulierbare, Bedeutung hätte, wenn sie eine konstante Größe und nicht vielmehr einen mit der Person des Beamten stets wechselnden Faktor darstellen würde. Herrscht Amtspacht, so ist der Beamte auf die Herauswirtschaftung seines Anlagekapitals durch beliebige, noch so irrational wirkende, Mittel der Erpressung ganz unmittelbar angewiesen;

d) durch die allem Patriarchalismus und Patrimonialismus innewohnende, aus der Art der Legitimitätsgeltung und dem Interesse an der Zufriedenheit der Beherrschten folgende Tendenz zur material – an utilitarischen oder sozialethischen oder materialen »Kultur«-Idealen – orientierten Regulierung der Wirtschaft, also: Durchbrechung ihrer formalen, an Juristenrecht orientierten, Rationalität. Im Höchstmaß ist diese Wirkung bei hierokratisch orientiertem Patrimonialismus entscheidend, während der reine Sultanismus mehr durch seine fiskalische Willkür wirkt.

Aus allen diesen Gründen ist unter der Herrschaft normaler patrimonialer Gewalten zwar

a) Händler-Kapitalismus, –

b) Steuerpacht-, Amtspacht-, Amtskauf- Kapitalismus, –

c) Staatslieferanten- und Kriegsfinanzierungs- Kapitalismus, –

d) unter Umständen: Plantagen- und Kolonial- Kapitalismus bodenständig und oft in üppigster Blüte, dagegen nicht die gegen Irrationalitäten der Rechtspflege, Verwaltung und Besteuerung, welche die Kalkulierbarkeit stören, höchstempfindliche, an Marktlagen der privaten Konsumenten orientierte Erwerbsunternehmung mit stehendem Kapital und rationaler Organisation freier Arbeit.

Grundsätzlich anders steht es nur da, wo der Patrimonialherr im eigenen Macht- und Finanzinteresse zu rationaler Verwaltung mit Fachbeamtentum greift. Dazu ist 1. die Existenz von Fachschulung, – 2. ein hinlänglich starkes Motiv, in aller Regel: scharfe Konkurrenz mehrerer patrimonialer Teilgewalten innerhalb des gleichen Kulturkreises, – 3. ein sehr besondersartiges Moment: die Einbeziehung städtischer Gemeindeverbände als Stütze der Finanzmacht in die konkurrierenden Patrimonialgewalten erforderlich.

I. Der moderne, spezifisch okzidentale Kapitalismus, ist vorbereitet worden in den (relativ) rational verwalteten spezifisch okzidentalen städtischen Verbänden (von deren Eigenart später gesondert zu reden sein wird); er entwickelte sich vom 16.-18. Jahrhundert innerhalb der ständischen holländischen und englischen, durch Vorwalten der bürgerlichen Macht und Erwerbsinteressen ausgezeichneten politischen Verbände primär, während die fiskalisch und utilitarisch bedingten sekundären Nachahmungen in den rein patrimonialen oder feudal-ständisch beeinflußten Staaten des Kontinents ganz ebenso wie die Stuartschen Monopolindustrien nicht in realer Kontinuität mit der später einsetzenden autonomen kapitalistischen Entwicklung standen, obwohl einzelne (agrarund gewerbepolitische) Maßregeln, soweit und dadurch, daß sie an englischen, holländischen oder, später, französischen Vorbildern orientiert waren, sehr wichtige Entwicklungsbedingungen für sein Entstehen schufen (auch darüber gesondert).

2. Die Patrimonialstaaten des Mittelalters unterschieden sich durch die formal rationale Art eines Teils ihres Verwaltungsstabes (vor allem: Juristen, weltliche und kanonische) prinzipiell von allen andern Verwaltungsstäben aller politischen Verbände der Erde. Auf die Quelle dieser Entwicklung und ihre Bedeutung wird näher gesondert einzugehen sein. Hier mußten die am Schluß des Textes gemachten allgemeinen Bemerkungen vorläufig genügen.


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