Die mit dem Tod intim sind


Das Äußerste ist anläßlich des Todes der Gattin eines alten Handelsmannes geleistet worden, von dem übrigens zugegeben werden muß, dass er den einzigen reinlichen Operettentext der letzten zwanzig Jahre — den des »Bruder Straubinger« — verfaßt hat. Auf keiner Seite in sämtlichen Jahrgängen der Fackel findet sich ein schmalzigeres Dokument verewigt, als die folgende Nenie der Neuen Freien Presse:

.... Mitte Septmber erst war die sdieinbar lebensvolle 67jährige Frau mit der elastischen Gestalt und fast mädchenhaften Taille aus Ischl mit ihrem Gatten nach Wien zurückgekehrt, munter und hoffnungsfroh einem angenehmen Winter entgegensehend, denn Schnitzer arbeitet an einem neuen musikalischen Werke, auf dessen Vollendung sie sich über alle Maßen freute. Samstag noch, am Vorabend ihres Todes, hatte sie mit dem Komponisten, dem diesmaligen musikalischen Arbeitsgenossen Schnitzers, darüber gesprochen und geäußert: »Nur den Erfolg dieser Arbeit will ich noch erleben und dann sterbe ich gerne.« Das Schicksal aber pflegt leider nicht viel anzufragen, ob man gerne oder ungerne sterbe und welchen Termin man dafür anberaumt zu wissen wünsche. Und so mußte auch die arme Frau mit dem unerfüllten Wunsche dahin. Sie selbst hätte mit ihrem schneidend scharfen Verstande, wenn sie so was von einer anderen gehört hätte, lachend gesagt: »Der Tod wird sich erst bei ihr erkundigen, ob sie noch die ›Premiere‹ abwarten will!« Denn sie war von einem unbarmherzigen Blick für die Reellitäten des Lebens und von einem rücksichtslosen Wahrheitsdrange, der »theoretisch« nicht leicht mildernde Umstände zuließ .... In Budapest geboren, war sie seit 32 Jahren in Wien eingelebt....

Dass der Tod Jourgespräche führt, ist interessant, aber es ziemt sich, gerade in einem Milieu von Reellitäten zu sprechen, wo der Plural Realitäten zu Mißverständnissen Anlaß geben könnte. Das ist aber — wie sagt man doch — noch gar nichts gegen die Wiener Allgemeine Zeitung. Hier wurde das Sterben nicht nur als Novität besprochen, sondern geradezu der Tod als Librettist gefeiert:

Schriftsteller J. Schnitzer ist von dem herbsten Verlust betroffen worden, den er im Leben überhaupt erleiden konnte... Wer das intime Miteinander- und Ineinanderleben der beiden Gatten kannte, die wohl ausgedehnte gesellschaftliche Beziehungen unterhielten, sich aber innerlichst selbst genügten und in der eigenen Gesellschaft zu Zweien vollkommene Erfüllung ihres Verkehrsbedarfes finden konnten, der wird die Bitterkeit der jähen Vereinsamung des Mannes nach einer solchen 47 jährigen Ehe zu ermessen verstehen. Denn diese Frau brachte Sprühleben ins Haus und in alle Kreise, in welche sie trat. Es war magyarisches Geistestemperament in ihr, denn sie war, gleich dem Gatten, ein Kind Ungarns, die Tochter eines in Budapest viel geschätzt gewesenen Arztes, Dr. Laszky, eines Onkels des Komponisten Béla Laszky, der an dem Tage, an dem die Cousine in der Budapester Familiengruft bestattet wird — die Leiche wird dorthin überführt — hier in Wien ein neues Unterhaltungsetablissement eröffnet und die Einladungskarten an das Schnitzersche Ehepaar bereits kuvertiert hatte. Das Leben ist doch mit seinen großen und kleinen Sensationseinfällen der grellste Effekthascher.

Es ist das Grauenhafte an dem Beruf, den diese Gilde ausübt, dass selbst eine Todesnachricht noch von dem Humor ihrer trampelhaften Dummheit vibrieren kann und ihre Parten unfreiwillig die freche Fasson jener scherzhaften Geschäftsreklamen haben, die einen Witz in Trauerrand enthalten. Die Intimität, die das Ableben einer Greisin zu einer noch nicht dagewesenen und natürlich auch nicht wiederkehrenden, erst- und einmaligen Tatsache hinauf jüdelt, ist entsetzlich genug. Was aber kann eine Verstorbene dafür, dass ihr ein Rächer ersteht, der dem Schicksal noch ein verhatsch-tes Bonmot hinwirft? Ist es nicht furchtbar, dass die arme Frau, deren Tod die Druckerschwärze nicht das geringste anzugehen hatte, Trauerlozzelachs nachgerufen bekommt und der Schmerz des Witwers durch einen metaphysischen Schmus beleidigt wird? Ist es nicht das ärgste Zeichen journalistischer Verwahrlosung, dass einem Toten zuliebe der Tod selbst beleidigt wird, dass er wie einer dasteht, der Stilschnitzer macht, und die horrible Situation geschaffen wird, dass die in ein Trauerhaus Geladenen sich das Lachen verbeißen müssen? Die liberale Presse macht bereits jenem Rabbiner den Erfolg streitig, der zum Preise einer armen Kostgängerin zu sagen wußte, er könne nicht umhin, sie mit Alexander dem Großen zu vergleichen. Diese Presse, deren Totschweigen ihre beste Eigenschaft ist und die nur zum Tod ihr Maul nicht halten kann, sollte in solchen Fällen bestochen, also behandelt werden, als ob ein Herzschlag ein Gründungsschwindel wäre. Wahrlich, wären alle Journalisten so tüchtig wie jener eine, der in die reichen Trauerhäuser geht, um sich die Aufträge für die Partezettel zu verschaffen, dann stünde es besser um diesen traurigen Beruf! So einer, wie dieser eine, denkt zum Glück mehr an die Provision als an die Vorsehung und macht sich und uns weiter keine Gedanken. Man glaubt nicht, dass es diesen Zweig des Gewerbes gibt? Ob wohl in Wien — zwischen einem Zeitungs- und Regierungsrat und einem tieftrauernd Hinterbliebenen — schon so ein Dialog geführt wurde, wie der welcher mir aus Prag übermittelt wird: Dort übt das Hand werk ein gewisser Kisch. Der Toten-Kisch erscheint, knapp eine halbe Stunde nach dem Sensenmann, im Trauerhaus: »Was is wegen der Parte?« »Lassen Sie mich in Ruh, gehn Sie weg!« »Was heißt das, ich komm doch wegen der Parte —« »Ich will von nichts wissen, gehn Sie weg!« »Das sind Witze, ich komm doch —« »Gehn Sie weg!« »Ist das Ihr Ernst, Sie wolln mir die Parte nicht geben?« »Weg!« Der Toten-Kisch wartet im Vorzimmer. »Gehn Sie weg, rat ich Ihnen, mein Mann is aufgeregt.« »Ich krieg die Parte nicht? Er will mir die Parte nicht geben? Sie wolln mir die Parte nicht geben?« Man hört eine Stimme: »Heraus! Weg! Er soll weggehn!« »Es scheint, Sie wolln mir wirklich die Parte nicht geben!« Der Toten-Kisch wartet. Die Stimme: »Ich sage Ihnen zum letzten Mal, lassen Sie mich in Ruh —!« »Gut, ich geh, adieu — (bei der Tür:) Aber das eine kann ich Ihnen sagen, Herr Kohn, Ihre Parte wer' ich mir jo nix entgehen lassn! Leben Sie wohl!« — — Das ist Deutsch! So und nicht anders haben die Weltbeherrscher zu sprechen!

 

 

Oktober 1913.


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