Der liebe Gott


Hermann Bahr eignet sich nun allerdings nicht zum Jubelgreis. Zwar sieht er jetzt aus, wie man sich den lieben Gott vorstellt, breitschulterig, hoch, mit wallendem grausilbernen Bart ...

Jetzt weiß man endlich, wie sich Herr Stefan Großmann den lieben Gott vorstellt. Und er erschrickt nicht vor dem Bilde, wiewohl dieser liebe Gott unstreitig auch eine Familienähnlichkeit mit Herrn Engelbert Pernerstorfer hat, jenem lieben Gott, der einem entlassenen Direktor der Volksbühne die beleidigendsten Dankschreiben nachsendet. Das ist ja aber eben nicht der richtige.

Jedoch je reifer Hermann Bahr wird, desto weniger gern steigt er zu den Siedelungert der Menschen herab und desto ähnlicher wird er dem lieben Gott, der niemanden zu sich heranläßt.

Das ist wohl nicht ganz zutreffend, wenigstens so weit es Bahr betrifft. Denn während der liebe Gott es aus Gründen der Weltanschauung ablehnen würde, im Auftrage der Ortsgruppe Wiesbaden des Provinzialvereines Hessen-Nassau für Frauenstimmrecht einen besonders für diese Gelegenheit verfaßten Vortrag über das Recht der Frau zu halten, tut der liebe Bahr, was eine strenge Masseuse will. Aber er ist auch sonst nicht faul, und wenn er nicht eben der Trost aller verstauchten Talente wäre, so würden diese wohl nicht in der Lage sein, ihn für den lieben Gott zu halten.

Dass es heute ein dichterisches Jungösterreich gibt, ist diesem hell tönenden Organ zu danken. Oh, wie konnte er schmettern ... Wie hat er uns junge Leute, alle, in den Zeiten der inneren Unsicherheit durch sein gutes Ja! gekräftigt und gefestigt!

Das ist es ja, was mich an diesem lieben Gott so verdrießt. Er hat alle geborenen Bankrotteure, alle Zwischencharaktere ermuntert, alle Schieber geschoben und allem Schleim zu einer Kruste verholfen.

Damals wandelte er noch gern auf Erden, aber seine Hilfe war dem kühnen Künstler so sicher wie die Hilfe Gottes.

Die kühnen Künstler sind denn auch richtig etwas geworden. Ursprünglich der Kunst bestimmt, haben sie sich später dem Handelsberuf zugewendet. Bahr aber glaubt, es seien nicht dieselben, sondern ganz andere. Während er selbst immer göttlicher wird.

In der letzten Zeit ist Hermann Bahr dem lieben Gott schon gar zu ähnlich geworden. Er hat sogar, verdrossen über die Wiener Verkleinerungssucht, die nur den mediokren und geschäftigen Burschen günstig ist, sein Wiener Heim aufgelöst und thront in Salzburg auf dem Berge.

Ganz wie der liebe Gott. Nur dass dieser vielleicht die Erschaffung des dichterischen Jung-Österreich Gottbehüte abgelehnt hätte, weil er ganz sicher wüßte, dass es mit den mediokren und geschäftigen Burschen identisch sei. Der liebe Gott unterscheidet sich aber auch sonst von Bahr. Wenngleich Herr Großmann nur weiß, wo Bahr wohnt, ist Gott wohl auch in Salzburg, aber man interessiert sich in Berlin nicht für ihn. Dagegen Bahr:

Hier in Berlin sitzt eine etwas vergrämte Dame und wartet auf ihn. Sie ist nicht mehr in den jüngsten Jahren, aber sie will doch noch »erlöst« werden. Unter den wenigen kultivierten Menschen, die für die höchst anspruchsvolle Dame in Betracht kommen, ist Hermann Bahr der wichtigste. Die Dame wartet unverzagt und hofft unverdrossen, dass ihr Hermann eines Morgens doch noch gut gelaunt vom Berge des Propheten niedersteige zu ihr, zur deutschen Komödie!

Das ist niedlich. Herr Stefan Großmann, konfessionslos wie er ist, trägt doch noch einen Glauben im Herzen. Er glaubt an Bahr. Vielleicht wirkt der noch Wunder! Gott hat nicht verhindern können, dass Herr Großmann mit einer so kleinen Abfindungssumme die Volksbühne verließ. So Bahr will, werden die Geschäfte jetzt besser gehen. Aber Gott unterscheidet sich auch darin vom lieben Bahr, dass man von ihm nicht das große Lustspiel erwartet, sondern — Bahr behüte — den Weltuntergang.

 

 

Mai 1913.


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