Interview auf einen Attentäter


Die Attentäter sollten die Interviewer hinausschmeißen, wenn schon die Machthaber nicht die Macht haben.

Athen, 25. März.

Ein Vertreter der Zeitung ›Ephimeris‹ hatte ein Interview mit dem Königsmörder Schinas, der in einer Ecke seiner Zelle, auf Militärdecken ausgestreckt, kräftig rauchte. Anfänglich verschlossen, indem er Ermüdung vorschützte, gab Schinas endlich seinem Reklamebedürfnis nach und erging sich in endlosem Gerede und Selbstbespiegelung.

Frage: Wovon würden die Interviewer leben, wenn die Attentäter kein Reklamebedürfnis hätten und statt endlosen Geredes stumm zur Tür zeigten? Antwort: Sie würden Attentäter werden. — Dieser da sagte nichts weiter als dass er unglücklich, nervenkrank und schwindsüchtig sei. Der Interviewer ist strenger als der Untersuchungsrichter und sagte Du zu ihm wie der böse Geist zum Gretchen. »Warst du Sozialist?« »Reizt der Sozialismus zum Königsmord auf?« »Hattest du das Verbrechen wohl bedacht?« »Und warum hast du gerade den König zum Opfer ausgewählt?« »Du sagst, es sei ein unheilvoller Zufall gewesen, also bereust du deine Tat?« »Da du das Verbrechen nicht geplant hattest, warum trugst du eine Waffe bei dir?« »Wenn du also Patriot warst, hast du nicht die Folgen deines Verbrechens unter den gegenwärtigen Umständen bedacht?« »Welche Strafe glaubst du, erwartet dich?« »Welche Idee meinst du, hat die Welt von deinem Verbrechen?« »Wie werden dich die gebildeten Leute beurteilen?« Der Attentäter, der verlegen, bescheiden, zerknirscht geantwortet hatte, brach hier zusammen. Ein Interviewer fragt mehr, als zehn Attentäter beantworten können.

Vor zwei Monaten, bevor ich von Schwindsucht befallen war, konnten Sie jedermann fragen, was für ein Patriot ich war....

Der Interviewer kann es nicht mehr einbringen. Aus Gram darüber faßt er

den Eindruck, den er aus dem Gespräch gewonnen, dahin zusammen, dass maßlos entwickelte Eitelkeit und krankhafte Reklamesucht, unterstützt von einer bösartigen Natur, Schinas zum Verbrechen getrieben haben. Mit großer Selbstgefälligkeit ließ er sich photographieren und suchte eine möglichst günstige Stellung zu wählen.

Aber er tuts doch nicht für sich, sondern für die Zeitung! Was würde diese anfangen, wenn sich die Attentäter nicht photographieren ließen? Ein Mörder mag ein schlechter Kerl sein. Aber warum wird er gerade von den Leuten getadelt, die mit ihm Geschäfte machen? Es ist gemein. Bei einem Interview auf einen Attentäter findet dieser keinen Dank. Er hat einen König ermordet, er steht dafür Rede. Er wird sich's künftig überlegen; er wird die Könige ungeschoren lassen und einen Interviewer bitten, ihm ein Attentat zu gewähren.

 

 

Mai 1913.


 © textlog.de 2004 • 07.12.2024 18:49:38 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.01.2007 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright Die Fackel: » Glossen » Gedichte » Aphorismen » Notizen