Philippe Derblay ... Hr. Reimers


(Ein Zwischenfall im Burgtheater.) Im Burgtheater hat sich heute während der Vorstellung ein eigenartiger Zwischenfall abgespielt. Es wurde der »Hüttenbesitzer« gegeben, und der zweite Akt war dem Schlüsse nahe, als einer der anwesenden Detektivs beobachtete, dass sich ein Herr in der Parterreloge Nr. 7 fast vollständig entkleidet hatte. Der Detektiv rief andere Beamte, den Gebäudeinspektor und schließlich den diensthabenden Theaterarzt herbei, die nun den seltsamen Logengast in unauffälliger und rücksichtsvollster Weise aus der Loge in das Inspektionszimmer brachten. Der entkleidete Herr leistete keinerlei Widerstand. Er machte den Eindruck eines Geistesgestörten ... Er war in Touristenkostüm, mit Wadenstrümpfen und Bergschuhen gekleidet und hatte zuerst einen Parterresitz gehabt. Knapp vor Beginn der Vorstellung tauschte er den Sitz gegen eine ganze Parterreloge um ... Als er nun im zweiten Akt sich langsam zu entkleiden begann, bemerkten dies in dem übrigens ziemlich schlecht besuchten Hause nur sehr wenig Personen. Erst seine Wegführung erregte einiges Aufsehen ...

Der Mann muß gar nicht geistesgestört sein. Nach einem Bericht gab er, um den Grund seines Vorgehens befragt, die Antwort: »Es war ja so leer.« Die Abwesenheit von Menschen ist sonst nicht gerade ein zwingender Grund, sich auszukleiden. Der Anblick des Burgtheaterzuschauerraumes wirkt aber offenbar als unwiderstehlicher Zwang. Es geht einem ähnlich wie in einer der Grotten von Sorrent oder Capri: es wird ja doch niemand kommen, und man badet. Als eine Ovation für die Schauspieler kann eine Entkleidung nicht gut gedeutet werden, nur als die Benützung einer sich darbietenden Gelegenheit. Ob der Mann eine Freikarte gehabt hat, war nicht zu ermitteln. Die Wegführung dieses Zuschauers erregte natürlich einiges Aufsehen außerhalb des Theaters, weil ja doch die Straße beim Burgtheater von ein paar Leuten besucht wird. Man stelle sich nur den Rummel vor: die Türen werden aufgerissen, draußen ertönt das Gebrüll: Aus iiis ... ! und es strömt ein Zuschauer heraus, und der ist nackt.

 

 

Mai, 1913.


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