Wiener Faschingsleben 1913


Unter dieser Devise, an leitender Stelle eines Wiener Abendblattes, dessen erste Seite die heitere Seite des Lebens vorstellt, während der Ernst der Politik mehr hinten kommt, habe ich, der am Schreibtisch verbrachten Nächte überdrüssig, gefunden, was ich gesucht habe. Ich stürz mich in den Strudel, Strudel hinein:

Ein kurzer Fasching, wie der heurige hat seinen eigenen Reiz. Man hat nicht Zeit, tanzmüde und blasiert zu werden, Vergleiche anzustellen und lange zu wählen. Im flottesten Dreivierteltakt eilt man von Genuß zu Genuß, man läßt mehr das Herz sprechen, das rascher entscheidet als die kühl berechnende Vernunft. Man amüsiert sich rasch und denkt nicht an morgen, denn es gilt, den kurzen Karnevalstraum rasch zu genießen, ehe der Aschermittwoch-Morgen dämmert und an den Ernst des Lebens mahnt. So kommt ein flotteres Tempo in diese ohnehin raschlebige Zeit, in der Nächte zu frohen Stunden werden und Wochen zu einem kurzen Taumel der Lust. — — — Man merkt dem Wiener Nachtleben schon die Kürze des Faschings an. Alles hat die Tendenz, sich gleichsam von vornherein für den späteren Ausfall zu entschädigen, rasch noch eine frohe Stunde und noch eine dem Leben abzuringen. — — — Die Wiener Hausgeister, die Gemütlichkeit und der Frohsinn, schwingen siegreich ihr Zepter, und nur, wenn hie und da noch eine Musikkapelle ein patriotisches Lied intoniert, denkt man der ernsten Tage, in welchen wir leben. Aber das ist nur ein Augenblick, dann läßt man wieder froh die Gläser klingen: »Ein Prosit der Gemütlichkeit!« Wer's nicht glaubt, der sehe einmal mit eigenen Augen nach, der begleite uns auf einer kleinen Rundfahrt durch das fidele Wien bei Nacht von heute oder er wähle selbst und empfinde die Qual der Wahl unter diesen gleich empfehlenswerten Adressen, die unter dem Titel »Wiener Faschingsleben« im Inseratenteil unseres heutigen Blattes zusammengefaßt sind.

... Wer vom Sophiensaal oder aus der Stadt auf den Ring kommt, wird nicht widerstehen können, Dobners musterhaft vornehm geleitetem Café Stadtpark einen Besuch abzustatten. Wer seinen Weg über den Franzensring nimmt und insbesondere, wer vom Burgtheater kommt, wird nicht versäumen, in's Künstlercafé einen Abstecher zu machen. Besucher der Hofoper können am einladenden Café Fenstergucker (Scheidl) nicht vorbeikommen, ohne hier eine Erfrischung zu nehmen. Wer den Aisergrund zu durchqueren hat, dem seien das eben renovierte gemütliche Café Maria Theresia und das gegenüber der Volksoper gelegene renommierte Café Hofstötter bestens als Ruhe- und Erfrischungsstationen empfohlen. Freunde eines guten Tropfens und kreuzfideler Stimmung werden die Residenz-Weinstube in der Annagasse zu finden wissen sowie Gourmands in Mariahilf und in der Stadt sicherlich in das Restaurant Leber (Deierl) gehen werden. Aus dem Lustspieltheater, Zirkus Busch-Variete, Carl-Theater, Intimen Theater geht man selbstverständlich in das Admiral-Café (Rosner) im Lloydhof (Praterstraße). Besucher des Strauß-Theaters finden von selbst das renommierte bürgerliche Restaurant »zum roten Rößl« in der Favoritenstraße. Reich genug ist die Auswahl fürwahr, und wer es versucht, diese Rundfahrt zu machen, wird überall auf seine Rechnung kommen. Denn es ist ein kurzer aber eben darum doppelt lustiger Fasching, der von 1913!

Ich bin dabei, ich mache mit, ich will mehr das Herz sprechen lassen. Rasch den kurzen Karnevalstraum genossen und hinein zum Dobner. Ich wollte widerstehen, aber es ging nicht. Ich kann nur sagen, es war toll. Vornehm geleitet, aber toll. Nun war ich nicht mehr zu halten. Man denke: durch fünfzehn Jahre ausgehungert! Nun eilte ich im flottesten Dreivierteltakt von Genuß zu Genuß. Was sage ich, eilte: ich taumelte. Die kühl berechnende Vernunft sagte mir: Geh nach Hause, Alterchen. Ich aber ließ mehr das Herz sprechen und versäumte deshalb nicht, ins Künstlercafe einen Abstecher zu machen. Dort waren lauter Künstler. Ein augustisches Zeitalter schien angebrochen. Schon aber dämmerte auch der Aschermittwoch-Morgen und mahnte an den Ernst des Lebens. Ja, Schnecken! Eheu fugaces, Postume, Postume! Drahma um! Wer wird an morgen denken? Ich zog weiter. Nur die Qual der Wahl trübte mir das bacchantische Glück, weshalb ich einen Wachmann fragte, wo hier die Wiener Hausgeister siegreich ihr Zepter schwingen. Er sagte: Gleich rechts um die Ecke, dann links, im Café Hofstötter. Nachdem ich den Aisergrund durchquert hatte, was an und für sich schon eine Hetz ist, wußte ich in kreuzfideler Stimmung die Residenz-Weinstube zu finden. Hierauf wollte ich am Café Scheidl vorbeikommen, ohne eine Erfrischung zu nehmen. Das war aber leichter gedacht als ausgeführt. Ich konnte einfach nicht vorbei, ich mußte hinein. Dort ging es drunter und drüber, das fröhliche Treiben erreichte seinen Höhepunkt, und auch ich nahm eine Melange und hierauf eine Erfrischung. Gourmands in Mariahilf, sagte ich mir, gehn jetzt natürlich zum Deierl. Ich sage nichts als: Evoe! Mein Gang war beschwingt, als ich wieder auf die Straße kam, und nun wollte ich in das renommierte bürgerliche Restaurant zum roten Rößl. Ich fragte einen Wachmann, wo es sei, der aber antwortete: Das finden S' von selbst! Tatsächlich fand ich es von selbst. Ich verbrachte dort eine tolle Stunde. Ein Passant, der später des Weges kam, fragte mich, ob ich noch ins Admiralcafe gehe. Selbstverständlich, sagte ich und ging ins Admiralcafe (Rosner). Es war das im Lloydhof (Praterstraße) und hier war des Jubels kein Ende. Alle Besucher aus dem Lustspieltheater, Zirkus Busch-Variete, Carltheater und Intimen Theater hatten sich eingefunden. Die Leute standen Kopf an Kopf und nur mit Mühe konnte ich mir ein Plätzchen erobern. Was hier geboten wurde, überstieg alles. Man hatte nicht Zeit, blasiert zu werden. Ich beschloß, hier zu bleiben, in der Hoffnung, dass nunmehr auch ein flotteres Tempo in diese ohnehin raschlebige Zeit kommen werde, um Nächte zu Stunden und Wochen zu einem kurzen Taumel der Lust zu wandeln. Als ich wieder auf die Straße trat, traf ich einen Wachmann, fragte ihn, wo man hier noch eine frohe Stunde und noch eine dem Leben abringen könne. Denn der Fasching sei kurz. Und man wolle sich eben für den späteren Ausfall entschädigen. Der Wachmann sah mich an und sagte: »Waren S' schon im Admiralcafe?« Ich sagte: »Selbstverständlich«. »Gehn's zum Dobner!« »War ich schon.« »Gehn's zum Deierl!« »War ich auch schon.« »Gehn's zum roten Rößl, dös finden S' von selbst!« »War ich schon.« »Laßn S' das Herz sprechen und gehn's zum Scheidl!« »Kenn ich auch schon.« »Ja, was wollen's denn nacher haben? Wenn einer eh schon alls mitg'macht hat und is noch nicht zufrieden —! Mirkwirdik san die Menschen!« Ich torkelte nach Hause. Am nächsten Tag stand ich mit einem fürchterlichen Katzenjammer auf. Ein Freund suchte mich zu überreden, mit ihm ins Café Stadtpark zu gehen. Ich widerstand. Er sagte, ich sei blasiert.

 

 

Februar, 1913.


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