Reisen und Rückzug in die Einsamkeit


Nachdem ich mich dieser Grundsätze so versichert und sie mit den Glaubenswahrheiten, die bei mir stets die ersten im Ansehen waren, auf die Seite gebracht hatte, meinte ich, was den übrigen gesamten Teil meiner Ansichten beträfe, dürfte ich mir die Freiheit nehmen, mich davon loszumachen. Da ich nun hoffte, damit besser zum Ziel zu kommen im Verkehr mit Menschen, als wenn ich noch länger in dem Studierzimmer, wo ich alle diese Gedanken gehabt hatte, eingeschlossen bliebe, so begab ich mich noch vor Ende des Winters auf Reisen. Und während der ganzen Zeit der neun folgenden Jahre tat ich nichts, als bald da, bald dort in der Welt umherzuschweifen, indem ich in den Komödien, die dort spielen, lieber Zuschauer als Akteur sein wollte, und da ich bei jeder Sache ganz besonders darauf achtete, was dieselbe bedenklich machen und uns Anlaß zur Täuschung geben, könnte, so schaffte ich im Laufe der Zeit aus meinem Geist alle Irrtümer mit der Wurzel fort, die sich ehedem hier eingeschlichen hatten. Nicht dass ich deshalb die Skeptiker nachgeahmt hätte, die nur zweifeln, um zu zweifeln, und immer unentschieden sein wollen, denn meine Absicht war im Gegenteil darauf gerichtet, mir Sicherheit zu verschaffen und den schwankenden Boden und Sand beiseite zu werfen, um Gestein oder Schiefer zu finden.

Und es gelang mir, glaube ich, gut genug. Denn da ich bestrebt war, den Irrtum oder die Unsicherheit der Sätze, die ich untersuchte, nicht durch schwache Vermutungen, sondern durch klare und sichere Urteile zu entdecken, so traf ich keinen so zweifelhaften Satz, dass ich nicht immer daraus irgendeinen hinlänglich sichern Schluß hätte ziehen können, und wäre es auch nur dieser gewesen, dass jener Satz nichts Sicheres enthält. Und wie man beim Niederreißen einer alten Wohnung gewöhnlich den Abbruch aufhebt, um ihn beim Neubau zu verwenden, so machte ich bei dem Umsturz meiner übelbegründeten Ansichten verschiedene Beobachtungen und erwarb mir viele Erfahrungen, die ich seitdem zur Aufstellung besser begründeter gebraucht habe. Und außerdem fuhr ich in meinen methodischen Übungen fort, denn ich war nicht bloß bemüht, alle meine Gedanken überhaupt richtig zu ordnen, sondern erübrigte auch von Zeit zu Zeit einige Stunden, die ich dazu anwendete, meine Methode an mathematischen Problemen zu handhaben oder auch an anderen, die ich den mathematischen fast ähnlich machen konnte, indem ich sie von allen Prinzipien der anderen Wissenschaften, die ich nicht fest genug fand, ablöste (wie ihr an mehreren in diesem Buch entwickelten Fällen sehen werdet). So lebte ich nun nach außen ganz wie die Leute, die weiter nichts zu tun haben als ein angenehmes und harmloses Leben zu führen, die sich bestreben, ihre Vergnügungen von den Lastern zu trennen, und die, um ihre Muße zu genießen, ohne sich zu langweilen, alle ehrbaren Zerstreuungen mitnehmen. Doch unter dieser Außenseite ließ ich nicht ab, in meinem Plan vorwärtszuschreiten und in der Erkenntnis der Wahrheit vielleicht mehr zu gewinnen, als wenn ich nie etwas anderes getan hätte als Bücher lesen und mit Gelehrten umgehen.

Dennoch verflossen diese neun Jahre, noch ehe ich in den Problemen, welche die gewöhnlichen Streitfragen der Gelehrten bilden, mich entschieden oder den Anfang gemacht hatte, die Grundlagen einer gewisseren Philosophie, als die gewöhnliche, zu suchen. Und das Beispiel vieler vorzüglicher Geister, die vor mir dieselbe Absicht gehabt und, wie mir schien, verfehlt hatten, ließ mich in dieser Sache so viele Schwierigkeiten vorstellen, dass ich vielleicht noch nicht sobald gewagt hätte, sie zu unternehmen, wenn ich nicht gesehen, dass schon das Gerücht verbreitet worden, ich wäre damit zustande gekommen. Ich kann nicht sagen, worauf sich diese Meinung gründete, und wenn ich durch meine Äußerungen etwas dazu beigetragen habe, so kann es nur daher gekommen sein, dass ich offener, als sonst wohl ein wenig studierte Leute zu tun pflegen, meine Unwissenheit bekannte und auch wohl die Gründe zeigte, weshalb ich an vielen Dingen zweifelte, welche die andern für sicher hielten; nicht aber daher, dass ich mich irgendeiner Gelehrsamkeit gerühmt hätte. Aber zu ehrlich, um für einen anderen gelten zu wollen, als der ich war, meinte ich, dass ich mit allen Kräften versuchen müßte, mich des Rufs, den man mir gab, würdig zu machen, und es sind jetzt gerade acht Jahre, dass dieser Wunsch den Entschluß in mir erzeugte, mich von allen Orten, wo ich Bekannte haben konnte, zu entfernen und mich hierher zurückzuziehen, in ein Land, wo lange Kriege die Dinge so geordnet haben, dass die Heere, die man hier unterhält, nur dazu dienen, hier die Früchte des Friedens mit um so größerer Sicherheit genießen zu lassen, und wo unter der Masse eines großen und sehr tätigen Volkes, das mehr für seine eigenen Angelegenheiten sorgt als sich um fremde kümmert, und ohne die Annehmlichkeiten der volkreichsten Städte zu entbehren, ich ebenso einsam und zurückgezogen habe leben können als in den entlegensten Wüsten.


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 07:25:02 •
Seite zuletzt aktualisiert: 21.12.2006 
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