Die Masse vom Unbewußten beherrscht


Es ist leicht festzustellen, inwieweit sich der einzelne in einer Masse vom alleinstehenden einzelnen unterscheidet, weniger leicht aber ist die Aufdeckung der Ursachen dieser Verschiedenheit.

Um diesen Ursachen wenigstens einigermaßen näherzukommen, muß man sich zunächst an die Feststellung der modernen Psychologie erinnern, dass nicht nur im organischen Leben, sondern auch in den Vorgängen des Verstandes die unbewußten Erscheinungen eine ausschlaggebende Rolle spielen. Das bewußte Geistesleben bildet nur einen sehr geringen Teil im Vergleich zum unbewußten Seelenleben. Der geschickteste Analytiker, der schärfste Beobachter kann nur eine sehr kleine Anzahl bewußter Triebfedern, die ihn führen, entdecken. Unsere bewußten Handlungen entspringen einer unbewußten Grundlage, die namentlich durch Vererbungseinflüsse geschaffen wird. Diese Grundlage enthält die zahllosen Ahnenspuren, aus denen sich die Rassenseele aufbaut. Hinter den eingestandenen Ursachen unserer Handlungen gibt es zweifellos geheime Gründe, die wir nicht eingestehen; hinter diesen aber liegen noch geheimere, die wir nicht einmal kennen. Die Mehrzahl unserer täglichen Handlungen ist nur die Wirkung verborgener Triebkräfte, die sich unserer Kenntnis entziehen.

Durch die unbewußten Bestandteile, die der Rassenseele zugrunde liegen, ähneln sich alle einzelnen dieser Rasse, durch ihre bewußten Anlagen dagegen — Früchte der Erziehung, vor allem aber einer besonderen Erblichkeit — unterscheiden sie sich voneinander. Menschen von verschiedenartigster Intelligenz haben äußerst ähnliche Triebe, Leidenschaften und Gefühle. In allem, was Gegenstand des Gefühls ist: Religion, Politik, Moral, Sympathien und Antipathien usw. überragen die ausgezeichnetsten Menschen nur selten das Niveau der gewöhnlichen einzelnen. Zwischen einem großen Mathematiker und seinem Schuster kann verstandesmäßig ein Abgrund klaffen, aber hinsichtlich des Charakters ist der Unterschied oft nichtig oder sehr gering.

Eben diese allgemeinen Charaktereigenschaften, die vom Unbewußten beherrscht werden und der Mehrzahl der normalen Angehörigen einer Rasse ziemlich gleichmäßig eigen sind, werden in den Massen vergemeinschaftlicht. In der Gemeinschaftsseele verwischen sich die Verstandesfähigkeiten und damit auch die Persönlichkeit der einzelnen. Das Ungleichartige versinkt im Gleichartigen, und die unbewußten Eigenschaften überwiegen.

Eben die Vergemeinschaftlichung der gewöhnlichen Eigenschaften erklärt uns, warum die Massen niemals Handlungen ausführen können, die eine besondere Intelligenz beanspruchen. Die Entscheidungen von allgemeinem Interesse, die von einer Versammlung hervorragender, aber verschiedenartiger Leute getroffen werden, sind jenen, welche eine Versammlung von Dummköpfen treffen würde, nicht merklich überlegen. Sie können in der Tat nur die mittelmäßigen Allerweltseigenschaften vergemeinschaftlichen. Die Masse nimmt nicht den Geist, sondern nur die Mittelmäßigkeit in sich auf. Es hat nicht, wie man so oft wiederholt, die "ganze Welt mehr Geist als Voltaire", sondern Voltaire hat zweifellos mehr Geist als die "ganze Welt", wenn man unter dieser die Massen versteht.

Beschränkten sich aber die Individuen der Masse auf Verschmelzung ihrer allgemeinen Eigenschaften, so ergäbe sich daraus nur ein Durchschnitt, aber nicht, wie wir sagten, eine Schöpfung neuer Eigentümlichkeiten. Wie bilden sich diese neuen Eigentümlichkeiten? Das haben wir jetzt zu untersuchen.


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