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Abteilung VII.
 
Über den Begriff der notwendigen Verknüpfung.
Abschnitt I.

 

     Der große Vorteil, den die mathematischen Wissenschaften über die moralischen haben, ist, dass die Vorstellungen der ersten wahrnehmbar und deshalb immer klar und deutlich sind; deshalb wird der kleinste Unterschied bei ihnen sofort bemerkt, und dieselben Worte bezeichnen immer dieselben Vorstellungen, ohne Zweideutigkeit oder Schwanken. Ein Oval verwechselt man nie mit einem Kreise, und eine Hyperbel nicht mit einer Ellipse. Das gleichseitige und ungleichseitige Dreieck sind durch Grenzbestimmungen getrennt, schärfer, als die zwischen Laster und Tugend, Recht und Unrecht. Wenn ein Ausdruck in der Geometrie erklärt ist, so setzt die Seele leicht und von selbst in jedem Falle die Vorstellung an Stelle des erklärten Wortes. Und selbst da, wo man keine Erklärung anwendet, kann der Gegenstand wahrnehmbar und dadurch fest und klar erfassbar gemacht werden. Aber die feinern Empfindungen der Seele, die Vorgänge im Denken, die mannigfachen Erregungen der Gefühle entgehen uns, trotz ihres wirklichen Unterschiedes, leicht, wenn sie innerlich betrachtet werden; auch können wir hier den ursprünglichen Gegenstand nicht herbeischaffen, wenn die Veranlassung zu seiner Betrachtung vorhanden ist. Deshalb sind solche Erörterungen nach und nach zweideutig geworden; ähnliche Gegenstände werden leicht als gleiche behandelt, und die Schlüsse entfernen sich oft weit von ihren Vordersätzen.

     Indes kann man dreist behaupten, dass bei genauer Betrachtung die Vorteile und Nachteile dieser Wissenschaften sich ausgleichen und beide einander gleich stellen. Wenn die Seele die geometrischen Begriffe leichter klar und deutlich erfasst, so muss sie doch eine längere und verwickeltere Kette von Schlüssen ziehen und sehr entfernte Begriffe mit einander vergleichen, um die tiefern Wahrheiten dieser Wissenschaft zu erfassen. Wenn dagegen Moralbegriffe ohne große Sorgfalt dunkel und verworren bleiben, so sind doch hier die Folgerungen immer kürzer, und die Mittelsätze, welche zu jenen Schlusssätzen führen, nicht so zahlreich als in den Wissenschaften, welche die Größe und die Zahl behandeln. In der Tat gibt es bei Euklid keinen noch so einfachen Lehrsatz, der nicht aus mehr Gliedern bestände, als irgend ein moralischer Satz, mit Ausnahme von Hirngespinsten und Täuschungen. Wo man nur weniger Mittelsätze für Gewinnung der Prinzipien bedarf, kann man mit dem Fortschritt zufrieden sein, wenn man erwägt, wie bald die Natur einen Schlagbaum vor alle unsere Untersuchungen von Ursachen zieht und uns zum Anerkenntnis unserer Unwissenheit nötigt. Das Haupthindernis des Fortschrittes in moralischen und metaphysischen Wissenschaften liegt deshalb in der Dunkelheit der Begriffe und Zweideutigkeit der Worte. Die Hauptschwierigkeit bei der Mathematik liegt dagegen in der Länge der Folgerungen und dem Umfange der Vorstellungen, deren man zum Beweise bedarf. Unser Fortschritt in der Naturwissenschaft ist vielleicht durch den Mangel besonderer Versuche und Erscheinungen gehindert, welche meist zufällig entdeckt werden und selbst durch die emsigste und vorsichtigste Untersuchung dann nicht angetroffen werden, wenn man sie braucht. Da die moralischen Wissenschaften bisher weniger vorgeschritten sind, als Mathematik und Physik, so erhellt, dass, wenn letztere Wissenschaften in dieser Beziehung sich unterscheiden, die Schwierigkeiten, welche sich dem Fortschritt der ersteren entgegenstellen, größere Sorgfalt und Fähigkeit zu ihrer Überwindung fordern.

     Die Metaphysik hat keine dunkleren und unsichereren Begriffe, wie die der Macht, der Kraft, der Wirksamkeit oder notwendigen Verbindung, von denen man bei jeder Untersuchung fortwährend Gebrauch machen muss. Ich werde deshalb in dieser Abteilung so viel als möglich die genaue Bedeutung dieser Worte zu bestimmen suchen, um damit einen Teil der Dunkelheit zu beseitigen, über welchen man in diesem Teile der Philosophie so viel klagt.

     Der Satz wird nicht bestritten werden, dass alle unsere Begriffe nur Abbilder der Eindrücke sind, oder dass, mit andern Worten, wir uns nichts vorstellen können, was wir nicht vorher innerlich oder äußerlich aufgenommen haben. Ich habe diesen Satz zu erklären und zu beweisen versucht und hoffe, dass man bei richtigem Gebrauche desselben eine größere Deutlichkeit und Schärfe in philosophischen Untersuchen erreichen wird, als bisher möglich war. Zusammengesetzte Begriffe kann man leicht durch ihre Definition verständlich machen, indem die Bestandteile oder einfachen Merkmale derselben aufgezählt werden. Hat man aber das Definieren bis zu den einfachsten Begriffen fortgesetzt, und bleiben dann immer noch Zweifel und Dunkelheiten, welche Mittel hat man dann? Durch welche Erfindung kann man diese letzten Begriffe erleuchten und dem geistigen Auge scharf und bestimmt darstellen? - Man suche nach den Eindrücken und ursprünglichen Empfindungen, welche diese Begriffe abbilden. Diese Eindrücke sind sämtlich stark und fühlbar. Sie sind nicht zweideutig. Sie sind nicht allein selbst völlig hell, sondern auch im Stande, ihr Licht den entsprechenden Begriffen mitzuteilen, die in der Dunkelheit liegen. Dadurch erreicht man gleichsam ein neues Vergrößerungsglas oder optisches Instrument, welches die zartesten und einfachsten Begriffe der Moralwissenschaft so vergrößert, dass sie schnell in die Wahrnehmung fallen und dann so leicht, wie die gröbsten und sinnlichsten Vorstellungen, die unserer Untersuchung aufstoßen, zu fassen sind.

     Um deshalb mit dem Begriff der Macht oder notwendigen Verknüpfung genau bekannt zu werden, muss man den ihr zu Grunde liegenden Eindruck untersuchen; und um diesen Eindruck sicher zu finden, muss man nach ihm in allen Quellen suchen, aus denen er herkommen kann.

 


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Seite zuletzt aktualisiert: 01.10.2004