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Abteilung VIII.
 
Über Freiheit und Notwendigkeit.
Abschnitt I.

  

     Man sollte billig erwarten, dass in Fragen, welche seit dem Bestehen der Wissenschaften und Philosophie mit Eifer erwogen und verhandelt worden sind, wenigstens über den Sinn der Worte unter den Streitenden Übereinstimmung herrschen, und dass die Anstrengungen von zweitausend Jahren wenigstens ermöglicht hätten, von den Worten zu dem wirklichen und wahren Streitgegenstand überzugehen. Es scheint ja so leicht, genaue Definitionen der in der Untersuchung gebrauchten Ausdrücke zu geben und diese Definitionen und nicht den leeren Schall der Worte zum Gegenstand der Untersuchung und Prüfung zu machen. Tritt man indes der Sache näher, so ergibt sich das Entgegengesetzte. Ist eine Streitfrage schon lange verhandelt und noch heute unentschieden, so kann man sicher abnehmen, dass irgend eine Zweideutigkeit im Ausdrucke besteht, und dass die Kämpfer den in ihrem Streite gebrauchten Worten einen verschiedenen Sinn unterlegen; denn die Seelenkräfte gelten von Natur bei Allen als gleich, sonst wäre alles Begründen und Streiten vergeblich. Wenn die Menschen daher denselben Sinn mit den Worten verbänden, so könnten sie unmöglich so lange verschiedener Meinung über ein und dasselbe sein; besonders, wenn sie sich ihre Ansichten mitteilen, und jeder Teil nach allen Richtungen Beweisgründe aufsucht, um den Sieg über den Gegner zu gewinnen. Wenn man allerdings Fragen verhandelt, die ganz außerhalb des Bereiches menschlicher Fähigkeit liegen, z.B. über den Ursprung der Welt oder über die Einrichtung des Geisterreichs, so mag man lange den fruchtlosen Streit erschallen lassen und nie zu einem bestimmten Schlusssatz gelangen. Betrifft aber die Frage irgend einen Gegenstand des gewöhnlichen Lebens und der Erfahrung, so können sicherlich nur zweideutige Ausdrücke den Streit so lange unentschieden hinhalten; nur diese können die Gegner in einer gewissen Entfernung von einander halten und sie nicht zum Ringen kommen lassen.

     Dies ist der Fall in dem langen Streit über Freiheit und Notwendigkeit gewesen. Es ist dies um so auffallender, als, wenn ich nicht sehr irre, sich ergeben wird, dass in dieser Frage Jedermann, der Gelehrte wie der Ungelehrte, derselben Ansicht gewesen ist, und einige wenige verständliche Definitionen dem ganzen Streite ein Ende gemacht haben würden. Der Streit ist so vielfach von aller Welt geführt und hat die Philosophen in ein solches Wirrsal dunkler Sophisterei verwickelt, dass man sich nicht wundern darf, wenn verständige Leser sich wegwenden und von einer Erörterung dieser Frage nichts mehr hören mögen, die weder Unterhaltung noch Belehrung verspricht. Indes wird die hier folgende Darstellung vielleicht die Aufmerksamkeit erregen, da sie neu ist, die Entscheidung des Streites verheißt und das Behagen des Lesers nicht durch verwickelte und dunkle Ausführungen stören wird.

     Ich hoffe also klar zu machen, dass alle Menschen in der Lehre von der Freiheit und Notwendigkeit eines Sinnes gewesen sind, sobald man diesen Worten einen vernünftigen Sinn unterlegt, und dass der ganze Streit sich bisher nur um Worte gedreht hat. Ich werde mit Prüfung der Lehre von der Notwendigkeit beginnen.

     Man erkennt allgemein an, dass der Stoff in all seinen Gestaltungen durch eine notwendige Kraft geleitet wird, und dass jede natürliche Wirkung so genau durch die Wirksamkeit ihrer Ursache bestimmt wird, dass keine andere Wirkung unter diesen Umständen daraus hervorgehen kann. Das Maß und die Richtung jeder Bewegung ist durch die Naturgesetze mit solcher Schärfe vorgeschrieben, das eher ein lebendes Wesen aus dem Stoss zweier Körper hervorgehen kann, als eine Bewegung von anderer Stärke und Richtung als die wirklich hervorgebrachte. Will man daher einen richtigen und genauen Begriff von der Notwendigkeit sich bilden, so muss man sehen, woher der Begriff kommt, wenn man ihn auf körperliche Vorgänge anwendet.

     Wenn alle Naturvorgänge in der Weise Statt hätten, dass keine zwei einander irgend ähnlich wären, sondern jeder ein eigentümlicher für sich, ohne Ähnlichkeit mit irgend einem früheren, so wurde man dann offenbar den Begriff der Notwendigkeit oder der Verknüpfung dieser Gegenstände nie gebildet haben. Man könnte dann wohl sagen, dass eine Sache der andern gefolgt sei, aber nicht, dass die eine die andere hervorgebracht habe. Die Beziehung von Ursache und Wirkung wäre dann dem Menschen ganz unbekannt. Schlüsse und Begründungen in Bezug auf Naturvorgänge hätten dann sogleich ein Ende, und das Gedächtnis und die Sinne würden die einzigen Kanäle sein, durch welche das Wissen um ein wirkliches Dasein möglicherweise in die Seele eintreten könnte.

     Unser Begriff einer Notwendigkeit und Verursachung entspringt also lediglich aus der wahrgenommenen Gleichförmigkeit in der Natur, in welcher gleiche Dinge immer mit einander verknüpft sind und die Seele durch Gewohnheit bestimmt wird, von dem einen auf das andere zu schließen. Diese beiden Umstände bilden das Wesen von jener Notwendigkeit, welche wir dem Stoffe beilegen. Ohne die beständige Verbindung gleicher Dinge und der richtigen Folgerung des einen aus dem andern hätte man keinen Begriff von Notwendigkeit und Verknüpfung.

     Sollte sich zeigen, dass Jedermann immer ohne Zaudern und Zweifeln anerkannt hat, dass diese beiden Umstände bei den freiwilligen Handlungen der Menschen und bei den Vorgängen in der Seele bestehen, so folgt, dass Jedermann in der Lehre der Notwendigkeit gleichen Sinnes gewesen ist, und dass man sich bisher nur gestritten hat, weil man sich nicht verstanden hat.

 


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