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I. [Das Geld vermöge seines reinen Mittelcharakters als Domäne der Persönlichkeiten, die dem sozialen Kreise unverbunden sind]

 

Es braucht nicht betont zu werden, daß jene ganze Korrelation zwischen Zentralität des Geldinteresses und sozialer Gedrücktheit an den Juden ihr umfänglichstes Beispiel hat. Ich will deshalb in Hinsicht ihrer nur zwei Gesichtspunkte bezeichnen, als für die hier fragliche Wesensbedeutung des Geldes besonders erheblich. Weil der Reichtum der Juden in Geld bestand, waren sie ein so besonders gesuchtes und fruchtbares Ausbeutungsobjekt; denn kein anderer Besitz läßt sich so schnell, einfach und verlustlos mit Beschlag belegen. Wie man die wirtschaftlichen Güter in Hinsicht ihres Erwerbes durch Arbeit in eine Skala größerer oder geringerer Zweckmäßigkeit reihen, kann, so in Hinsicht ihres Erwerbes durch Raub. Wenn man jemandem sein Land fortnimmt, so kann man den Vorteil davon - außer wenn man es eben gleich wieder in Geld umsetzt -nicht ohne weiteres realisieren, Zeit, Mühe, Aufwendungen werden erfordert. Praktischer verhalten sich natürlich schon Mobilien, so viele hier wirksame Unterschiede auch unter ihnen bestehen: im mittelalterlichen England war z.B. die Wolle in dieser Hinsicht das zweckmäßigste, sie war a sort of circulating medium, in dem das Parlament den Königen Auflagen bewilligte, und an das diese sich zuerst hielten, wenn sie von den Kaufleuten Geld erpressen wollten. Das Geld bildet den äußersten Punkt dieser Skala. Derselbe von aller spezifischen Bedingtheit gelöste Charakter, der das Geld den Juden in ihrer Pariastellung zum geeignetsten und am wenigsten versagbaren Erwerbszwecke machte, ließ es auch zum geeignetsten und unmittelbarsten Anreiz werden, sie auszuplündern. Es ist durchaus kein Gegenbeweis, sondern zeigt die auf Grund eben dieser Züge dem Gelde zuwachsende Macht nur von der anderen Seite, wenn wir von den mittelalterlichen Judenaustreibungen hören, in einigen Städten seien es die reichen Juden, in anderen aber gerade die armen gewesen, auf die sich die Verfolgung richtete.

Die Beziehung der Juden zum Geldwesen äußert sich weiterhin in einer soziologischen Konstellation, die jenen Charakter des Geldes ebenso zum Ausdruck bringt. Die Rolle, die der Fremde innerhalb der sozialen Gruppe spielt, weist ihn von vornherein auf die durch Geld vermittelten Beziehungen zu ihr an, zunächst wegen der Transportfähigkeit und der über die Gruppengrenzen hinausreichenden Verwertbarkeit des Geldes. Die Relation zwischen dem Geldwesen und dem Fremden als solchem kündigt sich schon in einer Erscheinung bei einigen Naturvölkern an. Das Geld besteht dort aus Zeichen, die von auswärts eingeführt werden, so daß es z.B. auf den Salomoinseln wie in Ibo am Niger eine Art Industrie ist, aus Muscheln oder sonst Geldzeichen herzustellen, die nicht am Herstellungsort selbst, sondern in benachbarten Gegenden, wohin sie exportiert werden, als Geld kursieren. Das erinnert an die Mode, die so oft gerade wenn sie von außen importiert ist, besonders geschätzt und mächtig ist. Geld und Mode sind Ausgestaltungen sozialer Wechselwirkungen, und es scheint, als ob die Sozialelemente manchmal wie die Augenachsen am besten auf einen nicht zu nahe gelegenen Punkt konvergierten. Der Fremde als Person aber ist aus demselben Grunde, der das Geld dem sozial Entrechteten so wertvoll macht, dafür vor allem interessiert: weil es ihm Chancen gewährt, die dem Vollberechtigten, bzw. dem Einheimischen auf spezielleren, sachlichen Wegen und durch persönliche Beziehungen zugängig sind; es wird betont, daß die Fremden es waren, die vor dem babylonischen Tempel den einheimischen Mädchen das Geld in den Schoß warfen, für das diese sich prostituierten. Der Zusammenhang zwischen der soziologischen Bedeutung des Fremden und der des Geldes hat aber noch eine weitere Vermittlung. Das reine Geldgeschäft ist nämlich ersichtlich etwas Sekundäres; das zentrale Geldinteresse äußert sich vielmehr zunächst und hauptsächlich im Handel. Aus sehr triftigen Gründen ist aber der Händler, am Anfang der wirtschaftlichen Bewegungen, ein Fremder. So lange die Wirtschaftskreise noch kleine sind und keine raffinierte Arbeitsteilung besitzen, genügt unmittelbarer Tausch oder Kauf zu der erforderlichen Verteilung; des Händlers bedarf es erst für das Herbeischaffen der in der Ferne produzierten Güter. Nun aber zeigt sich die Entschiedenheit dieses Verhältnisses auch sofort an seiner Umkehrbarkeit: nicht nur der Händler ist ein Fremder, sondern auch der Fremde ist dazu disponiert, ein Händler zu werden. Das tritt hervor, sobald der Fremde nicht nur vorübergehend anwesend ist, sondern sich niederläßt und dauernden Erwerb innerhalb der Gruppe sucht: in Platos »Gesetzen« wird den Bürgern aller Gold- und Silberbesitz verboten und aller Handel und Gewerbebetrieb prinzipiell den Fremden vorbehalten. So lag, daß die Juden ein Handelsvolk wurden, außer an ihrer Unterdrückung, auch an ihrer Zerstreuung durch alle Länder. Erst während des letzten babylonischen Exils wurden die Juden in die Geldgeschäfte eingeweiht, die ihnen bis dahin unbekannt gewesen waren: und nun wird sogleich hervorgehoben, es seien besonders die Juden der Diaspora gewesen, die sich diesem Beruf in größerer Anzahl widmeten. Zersprengte Leute, in mehr oder weniger geschlossene Kulturkreise hineindringend, können schwer Wurzel schlagen, eine freie Stelle in der Produktion finden und sind deshalb zunächst auf den Zwischenhandel angewiesen, der viel elastischer ist als die Urproduktion selbst, dessen Spielraum durch bloß formale Kombinationen fast unbegrenzt zu erweitern ist und der deshalb von außen kommende, nicht von der Wurzel her in die Gruppe hineingewachsene Elemente am ehesten aufnehmen kann. Der tiefe Zug der jüdischen Geistigkeit: sich viel mehr in logisch-formalen Kombinationen als in inhaltlich schöpferischer Produktion zu bewegen, wegen, muß mit dieser wirtschaftsgeschichtlichen Situation in Wechselwirkung stehen. Daß der Jude ein Fremder war, ohne organische Verbindung mit seiner Wirtschaftsgruppe, das wies ihn auf den Handel und dessen Sublimierung im reinen Geldgeschäft hin. Mit einer sehr merkwürdigen Einsicht in die Lage der Juden gestattete ihnen ein Statut von Osnabrück um 1300 ausnahmsweise wöchentlich einen Pfennig von der Mark Zinsen zu nehmen, also jährlich 36 1/9%, während sonst höchstens 10% genommen wurden. Spezifisch wichtig wurde es, daß der Jude nicht nur der Stammfremde, sondern auch der Religionsfremde war. Weil für ihn deshalb das mittelalterliche Verbot des Zinsennehmens nicht galt, war er die indizierte Persönlichkeit für die Geldleihe. Es ist eben die Gelöstheit vom Boden, die die hohen Zinsen für die Juden begründete: denn Grundschulden waren ihnen nie sicher und ferner mußten sie immer fürchten, daß eine höhere Gewalt ihre Forderungen für aufgehoben erklärte (so König Wenzel für das Land Franken 1390, Karl IV. 1347 für den Burggrafen von Nürnberg, Herzog Heinrich von Bayern 1338 für die Bürger von Straubing usw.). Der Fremde braucht für seine Unternehmungen und Ausleihen eine höhere Risikoprämie. - Dieser Zusammenhang gilt aber nicht nur für die Juden, sondern er ist so tief im Wesen des Handels und des Geldes begründet, daß er eine Reihe anderer Erscheinungen nicht weniger beherrscht. Ich erwähne hier nur einige neuzeitliche. Die Weltbörsen des 16. Jahrhunderts, Lyon und Antwerpen, erhielten ihr Gepräge durch die Fremden, und zwar auf Grund der fast unbeschränkten Handelsfreiheit, die der fremde Kaufmann gerade an diesen Plätzen genoß. Und das steht wieder mit dem Geldverkehrscharakter dieser Plätze in Zusammenhang: Geldwirtschaft und Handelsfreiheit haben tiefe innere Beziehungen, wie oft diese auch durch historische Zufälligkeiten und irrige Regierungsmaximen verdunkelt sein mögen. Die geldgeschäftliche Rolle des Fremden zeigt so recht ihre Verknüpfung. Die finanzielle Bedeutung mancher Florentiner Familien, in der Mediceerepoche, beruhte gerade darauf, daß sie von den Mediceern verbannt oder ihrer politischen Macht beraubt und infolgedessen darauf angewiesen waren, durch Geldgeschäfte in der Fremde - da sie in der Fremde eben keine anderen treiben konnten - von neuem zu Kraft und Bedeutung zu gelangen. Es ist der Betrachtung nicht unwert, wie danebenherlaufende, scheinbar entgegengesetzte Erscheinungen, genau angesehen, eben dasselbe Verhältnis erweisen. Als Antwerpen im 16. Jahrhundert der unbestrittene Welthandelsplatz war, ruhte seine Bedeutung auf den Fremden, den Italienern, Spaniern, Portugiesen, Engländern, Oberdeutschen, die sich dort niedergelassen hatten und ihre Waren umsetzten. Die eingeborenen Antwerpener spielten bei dem Warenhandel eine sehr geringe Rolle und waren hauptsächlich als Kommissionäre und im Geldgeschäft als Bankiers tätig. In dieser internationalen und durch die Interessen des Welthandels vereinheitlichten Gesellschaft spielte eben der Eingeborene die Rolle, die sonst vielfach der Fremde spielt: das Entscheidende ist hier das soziologische Verhältnis zwischen einer großen Gruppe und einzelnen, ihr fremd gegenüberstehenden Individuen; diese werden eben durch die Beziehungslosigkeit zu den konkreteren Interessen auf das Geldgeschäft mit jenen hingewiesen. Gewiß wird in den meisten Fällen dieses Verhältnis sich zwischen Eingeborenen und Fremden herstellen; aber schon als die Angelsachsen die britische Bevölkerung, soweit sie nicht verjagt war, in sich aufgenommen hatten, nannten sie sie »die Fremden«; und wo, wie es in Antwerpen stattfand, die Fremden die große zusammenhängende Gruppe und die Eingeborenen die dazwischen versprengte Minorität bilden, da zeigt sich an dem Ergebnis, daß die gleiche soziologische Ursache die gleiche Folge, hat, während die Frage, welches der Elemente gerade an der Lokalität eingeboren und welches fremd ist, an sich hierfür bedeutungslos ist. Weit über die sozusagen privaten Gründe hinaus, aus denen der einzelne Fremde innerhalb einer Gruppe zum Handel und zuhöchst zum Geldhandel designiert scheint, begegnen uns die ersten großen Transaktionen der neuzeitlichen Bankiers, im 16. Jahrhundert, als durchaus im Ausland sich abspielend. Das Geld ist von der lokalen Beschränktheit der meisten teleologischen Reihen emanzipiert, weil es das Mittelglied von jedem beliebigen Ausgangspunkt zu jedem beliebigen Endpunkt ist; und wenn, so möchte man fast sagen, jedes Element des historischen Seins diejenige Wirkungsform sucht, in der es sein Spezifisches, die gerade ihm eigentümliche Stärke am reinsten ausdrücken kann, so drängt dieses früheste moderne Großkapital, wie in dem Expansionsstreben jugendlichen Übermutes, zu einer Verwendung, in der ihm seine raumüberspringende Macht, seine Überall- Verwendbarkeit, seine Parteilosigkeit zum stärksten Bewußtsein kam. Der Haß des Volkes auf die großen Finanzhäuser hing wesentlich damit zusammen, daß ihre Besitzer und meistens auch ihre Vertreter Fremde zu sein pflegten: es war der Haß des nationalen Empfindens gegen das Internationale, der Einseitigkeit, die sich ihres spezifischen Wertes bewußt ist, und sich dabei von einer indifferenten, charakterlosen Macht vergewaltigt fühlt, deren Wesen ihr im Fremden als solchem personifiziert wurde; es entspricht dies ganz der Aversion der konservativen athenischen Volksmasse gegen den Intellektualismus der Sophisten und des Sokrates, gegen dieses neue, unheimliche Machtmittel des Geistes, das, neutral und herzlos wie das Geld, seine aller überlieferten Schranken spottende Macht zuerst so oft im Niederreißen zeigte. Dazu kam, diese Tendenz des Geldes gleichsam objektivierend, daß die ungeheure Ausdehnung der Geldgeschäfte damals den unendlichen Kriegen entstammte, zwischen dem Kaiser und dem französischen König, den Religionskriegen in den Niederlanden, Deutschland und Frankreich usw. Der Krieg, der unmittelbar nur reine unproduktive Bewegung ist, bemächtigte sich der Geldmittel vollständig und bewirkte eine völlige Überwucherung des soliden Warenhandels - der stets mehr lokal gebunden ist - durch den Geldhandel. Ja, der Weg des Großkapitals ins Ausland wurde auf diesem Umwege direkt landesverräterisch. Die französischen Könige haben lange mit Hilfe von Florentiner Bankiers Krieg gegen Italien geführt, sie haben Lothringen und später Elsaß unter dem Beistand deutschen Geldes vom Deutschen Reich losreißen können, die Spanier haben sich der italienischen Geldmächte bedienen dürfen, um Italien zu beherrschen. Erst das 17. Jahrhundert hat in Frankreich, England, Spanien diesem Umherflattern des Geldkapitals, in dem es die Losgebundenheit seines reinen Mittelscharakters offenbarte, ein Ende zu machen und das Kapitalbedürfnis der Regierungen im eigenen Lande zu decken gestrebt. Und wenn die Finanz der modernsten Zeit wieder in vieler Hinsicht international geworden ist, so hat dies doch ganz andere Bedeutung: »Fremde« in jenem alten Sinne gibt es eben heute nicht mehr, die Handelsverbindungen, ihre Usancen und ihr Recht haben aus ganz entfernten Ländern einen immer mehr sich vereinheitlichenden Organismus gebildet. Das Geld hat den Charakter, der es ehemals zur Domäne des Fremden machte, nicht verloren, sondern sogar durch die Vermehrung und Variierung der in ihm gekreuzten teleologischen Reihen immer mehr ins Abstrakte und Farblose gesteigert. Der Gegensatz, der in dieser Hinsicht zwischen den Einheimischen und den Fremden bestand, ist nur deshalb fortgefallen, weil die einst von ihm getragene Geldform des Verkehrs die Gesamtheit des Wirtschaftskreises ergriffen hat. Wie in einem Miniaturbild zusammengedrängt erscheint mir die Bedeutung des Fremden für das Geldwesen in dem Rate, den ich einmal geben hörte: man solle mit zwei Menschen niemals Geldgeschäfte machen, mit dem Freunde und mit dem Feinde. Die indifferente Objektivität des Geldgeschäftes tritt in dem einen Fall in einen fast niemals ganz zu glättenden Konflikt mit der Personalität des Verhältnisses, in dem anderen gibt eben derselbe Umstand feindseligen Absichten weiten Spielraum, in tiefem Zusammenhange damit, daß unsere geldwirtschaftlichen Rechtsformen nirgends präzise genug sind, um böswillige Schädigung mit Sicherheit auszuschließen. Der indizierte Partner für das Geldgeschäft - in dem, wie man mit Recht gesagt hat, die Gemütlichkeit aufhört - ist die uns innerlich völlig indifferente, weder für noch gegen uns engagierte Persönlichkeit.

 


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