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I. [Die Wertsteigerung des Geldes durch die Unbegrenztheit seiner Verwendungsmöglichkeiten]

 

Nun betrifft ferner diese Wahlchance, die das Geld als abstraktes Mittel besitzt, nicht nur die gleichzeitig angebotenen Waren, sondern auch die Zeitpunkte, in denen es verwendet werden kann. Der Wert eines Gutes bestimmt sich keineswegs nur an der realen Bedeutung, die es im Augenblick seiner Verwendung entfaltet. Vielmehr, die größere oder geringere Freiheit der Wahl, wann man diesen Augenblick eintreten lassen will, stellt einen Koeffizienten dar, der die Schätzung des Gutes seiner inhaltlichen Bedeutung nach sehr erheblich steigern oder senken kann. War das oben Besprochene die Chance, die aus einem großen Kreise nebeneinander liegender Verwendungsmöglichkeiten hervorging, so die jetzige diejenige, die aus den nacheinander liegenden folgt. Dasjenige Gut ist - alles übrige gleichgesetzt - das wertvollere, das ich sogleich verwenden kann, aber nicht sogleich verwenden muß. Die Reihe der konkreten Güter entfaltet sich zwischen den beiden, ihren Wert modifizierenden und mannigfaltigst abgestuften Extremen: im Falle des einen kann das Gut zwar jetzt, aber nicht später, im Falle des anderen zwar später, aber nicht jetzt genossen werden. Wenn also z.B. im Sommer eben gefangene Fische gegen ein erst im Winter zu tragendes Fell eingetauscht werden, so wird der Wert der ersteren dadurch gehoben, daß ich sie sogleich konsumieren kann, während der des letzteren darunter leidet, daß der Aufschub seiner Benutzung allen Chancen der Beschädigung, des Verlustes, der Entwertung Raum gibt; andrerseits wird der erstere herabgesetzt, weil der Gegenstand schon morgen verdorben ist, der letztere gesteigert, weil er eine hinausschiebbare Verwendung gewährt. Je mehr nun ein als Tauschmittel benutztes Objekt die beiden wertsteigernden Momente in sich vereinigt, desto mehr Geldqualität besitzt es: denn das Geld als reines Mittel überhaupt stellt ihre höchsterreichbare Synthese dar; weil es keine konkrete, seine Verwendung präjudizierende Eigenschaft besitzt, sondern nur das Werkzeug zur Erlangung konkreter Werte ist, so ist die Freiheit seiner Verwendung ebenso groß in bezug auf die Zeitmomente, in denen, wie auf die Gegenstände, für die es ausgegeben wird.

Aus diesem besonderen Wert des Geldes, der seiner völligen Beziehungslosigkeit zu allen Besonderungen von Dingen und Zeitmomenten, der völligen Ablehnung jedes eigenen Zweckes, der Abstraktheit seines Mittelscharakters entstammt - fließt das Übergewicht dessen, der das Geld gibt, über denjenigen, der die Ware gibt. Die Ausnahmen hiervon: Verweigerungen des Verkaufs aus affektiven Wertungen, bei Boykottierungen, Ringbildungen usw. entstehen, wenn die für Geld begehrten Dingwerte der individuellen Sachlage nach durchaus nicht durch andere ersetzbar sind. Dann freilich fällt die Wahlchance, die das dafür offerierte Geld seinem jetzigen Besitzer bietet, fort - und damit dessen Sondervorteil - weil eben statt der Wahl eine eindeutige Bestimmtheit des Willens besteht. Im allgemeinen aber genießt der Geldbesitzer jene zweiseitige Freiheit, und für das Aufgeben derselben zugunsten des Warenbesitzers wird er ein besonderes Äquivalent fordern. Dies tritt z.B. an dem wirtschafts- psychologisch sehr interessanten Prinzip der »Zugabe« hervor. Beim Einkauf von wäg- und meßbaren Waren erwartet man, der Kaufmann werde »gut messen«, d.h. wenigstens einen Teilstrich darüber geben, was auch fast durchgängig geschieht. Es kommt hier freilich dazu, daß beim Messen der Waren ein Irrtum näher liegt als beim Zählen des Geldes. Allein das Charakteristische ist, daß der Geldgeber die Macht hat, die Deutung dieser Chance, die doch an sich für beide Parteien die gleich günstige oder gleich ungünstige ist, nach der ihm vorteilhaften Seite zu erzwingen. Bezeichnenderweise verbleibt dieser Vorteil dem »Käufer«, auch wenn sein Gegenpart gleichfalls Geld gibt. Von dem Bankier erwartet der Kunde, von der Versicherungsgesellschaft der Versicherte im Schadensfalle, daß sie »kulant« verfahren, d.h. ein Weniges mehr als das absolut rechtlich Erzwingbare, mindestens in der Form, leisten werden. Auch der Bankier und die Versicherungsgesellschaft gibt nur Geld, und ihr Kunde denkt seinerseits nicht daran, ihnen gegenüber liberal, kulant zu verfahren, er leistet absolut nur die vorbestimmte Leistung. Denn Geldquanten, die von beiden Seiten eingesetzt werden, haben eben verschiedene Bedeutung; für den Bankier und die Versicherungsgesellschaft ist das Geld, mit dem sie operieren, ihre Ware; nur für den Kunden ist es »Geld« in dem hier fraglichen Sinne, d.h. der Wert, den er zwar für das Börsengeschäft oder die Versicherung verwenden kann, aber keineswegs muß; während jene gar keine Wahl haben, sondern das Geld, das ihre Ware ist, nur in der einen bestimmten Richtung verwenden können. Jene Verwendungsfreiheit gibt dem Gelde des Kunden ein Übergewicht, für das die »Kulanz« seiner Gegenpartei das Äquivalent bildet. Wo aber eine »Zugabe« von seiten des Geldgebers geschieht: gewisse Formen des Trinkgeldes, etwa bei der Bezahlung des Kellners oder des Droschkenkutschers - da drückt sich das Übergewicht des Geldgebers in der sozialen Bevorzugtheit aus, die die Voraussetzung des Trinkgeldes ist. Wie alle Erscheinungen des Geldwesens, ist auch diese keine innerhalb des Lebenssystems isolierte, sondern bringt gleichfalls einen Grundzug desselben nur zur reinsten und zugleich äußerlichsten Erscheinung; den nämlich, daß in jedem Verhältnis derjenige im Vorteil ist, dem weniger als dem anderen an dem Inhalt der Beziehung liegt. So ausgesprochen erscheint dies als ganz paradox, denn gerade um so intensiveres Verlangen uns zu einem Besitz oder einem Verhältnis zieht, desto tiefer und leidenschaftlicher ist doch auch sein Genuß - da ja die erwartete Höhe dieses die Stärke des Wollens bestimmt! Aber gerade dies Einzuräumende bewirkt und rechtfertigt den Vorteil des weniger stark Begehrenden. Denn es ist in der Ordnung, daß dieser, der von dem Verhältnis weniger hat als der andere, durch irgendwelche Konzessionen seitens des letzteren dafür entschädigt wird. Das macht sich schon in den feinsten und intimsten Beziehungen geltend. In jedem auf Liebe gestellten Verhältnis ist der weniger Liebende, äußerlich genommen, im Vorteil; denn der andere verzichtet von vornherein mehr auf die Ausnutzung des Verhältnisses, ist der Opferwilligere, der für das größere Maß seiner Befriedigungen auch ein größeres Maß von Hingebungen bietet. So stellt sich doch eine Gerechtigkeit her: weil das Maß des Begehrens dem Maß der Beglückung entspricht, ist es gerecht, daß die Gestaltung des Verhältnisses dem weniger intensiv Begehrenden irgendeinen Sondervorteil einräume - den er auch in der Regel erzwingen kann, weil er der Abwartende, Reservierte, seine Bedingungen Stellende ist. Der Vorteil des Geldgebers ist deshalb kein schlechthin ungerechter; da in der Waren-Geld-Transaktion er der minder Begehrende zu sein pflegt, so kommt die Ausgleichung beider Seiten gerade dadurch zustande, daß der intensiver Begehrende ihm einen Vorteil über die objektive Äquivalenz der Tauschwerte hinaus einräumt. Wobei schließlich auch zu bedenken ist, daß erden Vorteil nicht genießt, weil er das Geld hat, sondern weil er es fortgibt.

 


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