Persönliche Haftung


Es kommt uns aber gerade auch auf die persönliche Haftung an. Die Haftung der Sippschaftsgenossen war eine solche, und ebenso wird sich zeigen, daß es die Haftung der Hausgenossen und später der socii der offenen Gesellschaft auch in ihren frühesten Gestaltungen stets gewesen ist.

Es ist keineswegs ohne weiteres zulässig, auch diese persönliche Haftung auf die Beziehung der Genossen zu dem gemeinschaftlichen Vermögen juristisch zu fundieren; wenn insbesondere Sohm in der soeben erscheinenden Abhandlung95 aus dem Prinzip der gesamten Hand, welches diesen Gemeinschaften zugrunde liege, die »Schuldengemeinschaft« der Genossen, als Korrelat der Erwerbsgemeinschaft, ableitet, so soll der Verwertung des Gesamthandsbegriffs an dieser Stelle nicht entgegenzutreten versucht werden96, indessen würde zunächst logisch doch zu postulieren sein, daß diese Schuldengemeinschaft sich eben auch nur so weit erstrecke, wie die Erwerbsgemeinschaft, d.h. eben auf das Vermögen, welches gemeinsam war und gemeinsam wurde. Darüber aber geht die Solidarhaftung gerade grundsätzlich hinaus. Wenn ferner Sohm das Mitglied der Gesamthand in Ausübung eines ihm, als Mitglied, zuständigen »Verwaltungsrechts« handeln läßt, so ist dies, auf unsere Fälle angewendet, für die Erklärung der Belastung des gemeinsamen Vermögens in späterer Zeit und bei der heutigen offenen Handelsgesellschaft wohl verwertbar; ist indessen die im folgenden versuchte Darstellung richtig, wonach die Beschränkung der Haftung auf die »für das Geschäft« geschlossenen Kontrakte eine zwar im Wesen der Sache liegende notwendige, aber doch erst historisch entwickelte Einschränkung der alten unbedingten Haftung bedeutet, so ist die Anwendbarkeit jener Formulierung für diesen älteren Rechtszustand, die historische Grundlage des späteren, nicht unbedenklich (wo bleibt dabei die Haftung für Delikte?). Vollends ist sie, soweit die persönliche Solidarhaftung in Frage kommt, zu beanstanden: aus einem »Verwaltungs«-Recht können Konsequenzen logisch doch nur für das verwaltete Vermögen eintreten97. Es ist daran festzuhalten, daß bei der Haushaltsgemeinschaft nicht sowohl das etwa vorhandene gemeinsame Vermögen, als die damit von alter Zeit her verbundene Arbeitsgemeinschaft, die Gemeinschaft des gesamten Erwerbslebens98, ein in der Tat wohl »personenrechtlich« zu nennendes Verhältnis, das Maßgebende war, und dies Moment findet sich auch bei den späteren Gestaltungen bis zur heutigen offenen Handelsgesellschaft wieder und bildet den wesentlichen Gegensatz gegen die Kommanditverhältnisse.

Die persönliche Haftung der Genossen knüpft nun in den Quellen gerade an den mehr oder weniger deliktartigen Fall des Konkurses an. Es ist nicht ausgeschlossen und – etwas Bestimmteres nach der positiven oder negativen Seite hin kann nicht behauptet werden – es spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Erinnerung an die alte Haftung der Versippten füreinander von Einfluß auf die Rechtsbildung gewesen ist bzw. dieselbe erleichtert hat. Aber mehr auch nicht. Die Entwicklung selbst hat sich zweifellos außerhalb der Sippschaftsgedanken vollzogen und erst, als das verwandtschaftliche Moment nicht mehr geeignet war, eine Rolle zu spielen. Der eine Gedanke war nicht »aus dem anderen hervorgegangen«, sondern an seine Stelle getreten. Wie in den Gemeindeverhältnissen an Stelle der sippschaftlichen Genossenschaft die lokale Flurgemeinschaft auf Grundlage der Vizinität trat, welche bei der Besiedlung vermutlich regelmäßig mit jener koinzidierte, so hier an Stelle der Familie deren für das Geschäftsleben wichtigste vermögensrechtliche Eigentümlichkeit, der gemeinsame Haushalt und die Gemeinschaft des Erwerbslebens. Daß der neuere Grundsatz sich aus dem älteren entwickelt habe, kann nicht erwiesen werden und ist schwerlich eine zutreffende Kennzeichnung der Veränderung. Der vicus enthielt vermutlich nie ausschließlich Sippschaftsgenossen, der gemeinsame Haushalt war sicher nie ein ausschließlich bei Versippten vorkommendes Verhältnis. Dort hat die definitive Seßhaftwerdung und die Art der agrarischen Wirtschaft, hier die Art, wie das Erwerbsleben der Gemeinschaften in den Städten sich äußerlich gestaltete, andere und neue Grundlagen, welche ihrem Wesen nach von den alten prinzipiell differierten, an die Stelle der letzteren gesetzt99.


 © textlog.de 2004 • 07.10.2024 12:56:18 •
Seite zuletzt aktualisiert: 18.11.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright