Geschäftsgläubiger und Privatgläubiger


Daß die Solidarhaftung auf Grund der häuslichen Gemeinschaft nicht auf Familienglieder beschränkt war, zeigen uns die oben zusammengestellten Statuten, welche zum Teil diese Beschränkung nicht enthalten, zum Teil die ad unum panem et vinum stantes noch neben den Familienangehörigen aufführen. Daß die häusliche Gemeinschaft außerhalb der Familie auf dem Gebiet des Handwerks zu suchen ist, wurde schon gesagt. Allein aus dem Handwerk wurde eine Industrie von internationaler Bedeutung und an die Stelle der Wohnung des Handwerkers, welche zugleich seine Werkstatt und sein Laden war, traten umfangreiche fabrikartige Betriebe. Bei derartigen Betrieben aber konnte die häusliche Gemeinschaft der Genossen keineswegs mehr die Regel, geschweige denn das charakteristische Merkmal der Erwerbsgemeinschaft bilden. Die Aenderung nach dieser Richtung war schon gegeben, sobald Wohnung, Werkstatt und Verkaufslokal nicht mehr naturgemäß zusammenfielen, wie es beim Kleinhandwerker der Fall war. Die botteghe, staciones, tabernae wurden in günstigen Stadtvierteln gemietet, gemeinsame häusliche Wirtschaft koinzidierte keineswegs mehr regelmäßig mit gemeinsamem Betrieb in derselben bottega, die Konsorten konnten in verschiedenen botteghe verschiedene Gewerbe betreiben, die socii derselben bottega jeder einen gesonderten Haushalt führen. Da sich nun das praktische Interesse der solidarischen Haftung für den Kredit auf die Geschäftsschulden konzentrierte, so war im Falle solcher Trennung die gemeinsame stacio, die Grundlage der Erwerbsgemeinschaft, auch die geeignete Grundlage für die solidarische Haftung, das für den Verkehr nicht mehr kontrollierbare Moment der Haushaltsgemeinschaft mußte als nebensächlich in den Hintergrund treten. Wir finden demgemäß die gemeinsame stacio schon in den oben zitierten Statutenstellen als selbständige Haftungsgrundlage neben die Haushaltsgemeinschaft gestellt. Die »negotiatio« in der dort zitierten Stelle der Statuti del paratico di Bergamo ist dabei schon eine abstraktere Auffassung der stacio, »das Geschäft«.

Zunächst aber ist lediglich die konkrete Werkstatt, bzw. der Kramladen, gewissermaßen »Träger« der Gemeinschaft123. Die Konsequenz ist, daß nunmehr die Wirkungen der Obligationen über die Person des Kontrahierenden hinaus nur eintreten für die in dem Betriebe der stacio geschlossenen, auf diesen Betrieb bezüglichen Kontrakte: »sopre aquelle cose ... sopre le quali seranno compagni«, wie das Statut der lanajuoli von Siena l. c. sagt. Dieser Gedanke, daß die Solidarhaftung nur eintreten soll für Geschäfte, welche im Betrieb des gemeinsamen Gewerbes, für Rechnung der Sozietät, würden wir sagen, geschlossen sind, war den Verhältnissen nach naheliegend, aber prinzipiell außerordentlich wichtig. Naheliegend war er, weil er eine einfache Konsequenz der Anknüpfung der Sozietät und ihrer Folgen an die gemeinsame stacio bildete. Es wäre widersinnig gewesen, hätte man zwei socii, welche außerhalb des gesellschaftlichen Geschäftsbetriebes nicht in vermögensrechtlichen Beziehungen zueinander standen, gegenseitig für Haushaltungsschulden usw. haftbar machen wollen. Auch für die Hausgemeinschaft der Familie finden sich Anfänge der Entwicklung dahin, nur die im Interesse des gemeinsamen Haushalts gemachten Schulden mit der Konsequenz der Haftung der Gemeinschaft auszustatten124, und wohl ebenso alt, als die Loslösung der Geschäftsgemeinschaft von der Haushaltsgemeinschaft, ist der Gedanke, daß nur die auf das gemeinsame Geschäft bezüglichen Obligationen ohne weiteres alle socii angehen. Die Statuta antiqua mercatorum Placentiae c. 550 und die Reformacio vom Jahre 1325 c. 6 sprechen die Haftung der socii ejusdem stacionis daher auch nur für die Schulden aus, welche für ein mercatum der Sozietät gemacht werden. Die Statuta domus mercatorum von Verona 1. III c. 85 enthalten diesen Grundsatz gleichfalls; von den Statuten von Lodi und Arezzo wird alsbald die Rede sein.

Außerhalb der florentinischen Statuten, deren Inhalt besonders behandelt werden soll, ist der Inhalt der Statuten in dieser wichtigen Beziehung einigermaßen dürftig. Die Ausdrucksweise der zitierten Stellen läßt zwar darauf schließen, daß man den Satz als selbstverständlich dachte. Eine Erörterung aber über die alsdann brennend werdenden Fragen: I. des Verhältnisses der Sozietätsgläubiger, d.h. der Gläubiger im Betriebe des Geschäfts kontrahierter Schulden, zu den Privatgläubigern und 2. der Privatgläubiger zu dem Geschäftsvermögen, enthält das statutarische Material außerhalb von Florenz direkt nicht.

Die zweite diese Fragen ist nun für die Stellung des Gesellschaftsvermögens von entscheidender Bedeutung. Wie stellt sich das »Geschäft« den Privatgläubigern gegenüber und wie gegenüber dem Privatvermögen der Gesellschafter? Was ist überhaupt unter diesem »Geschäft« zu verstehen, finden sich insbesondere Spuren einer Konstruktion derart, wie wir sie für das Vermögen der heutigen offenen Handelsgesellschaft konstatieren mußten, ein »Sondervermögen« der Gesellschaft?

Was das Verhältnis nach Innen, unter den socii, anlangt, so haben wir gesehen, daß bereits in der Lombarda für die Familienkommunionen erhebliche Beschränkungen der unbedingten Gemeinsamkeit eintreten. Die betreffenden Sätze der Lombarda finden sich nun in den Statuten mit teilweise wörtlichen Anklängen wiederholt:

Stat. von Mailand v. 1216 rubr. XIV.: ... fratres, inter quos est quoddam jus societatis, quicquid in communi domo vivendo acquisierint, inter eos commune erit.

Stat. v. Mailand von 1502 (gedruckt Mailand 1502) fol. 150: Item fratres quoque, inter quos est quoddam jus societatis, illud obtineant ut quicquid etc ... que non habeant locum in quesitis ex successione ... nec etiam occasione donationis ... vel dotis .... et intelligantur fratres stare in communi habitatione etiam si contingat aliquem ex pred. fratribus se absentare ex causa concernenti communem rem ...

Stat. v. Massa (gedr. 1532) 1. III c. 77: Si fratres paternam hereditatem indivisam retinuerunt et simul in eadem habitatione Vet mensa vitam duxerint, quicquid ex laboribus, industria, aut ipsorum, vel alicujus negociatione vel ex ipsa hereditate ... vel aliunde, ex emtione venditione, locatione vel contr. emphyteotico acquisitum fuerit, totum debeat esse commune.. quamvis frater acquirens nomine proprio contraxisset ... ita tut non conferatur acquisita ejus deducto aere alieno. idem quoque servetur in aliis debitis quomodocunque contractis si pervenerint in utilitatem communis, et non aliter ... Folgt die früher zit. Stelle über die Solidarhaftung auf Grund präsumtiven Mandats.

Stat. vecchi di Lodic. 16: Consuetudo est, quod fratres et patrui et alii qui nunquam se diviserunt simul habitantes vel stantes quicquid acquirent, acquiritur in communi ... Ausnahme: legatum, hereditas, donatio, similia ... et debitum quod fecerint sit commune. Et ita quod ex eo debito fratres inter se pro partibus contingentibus ipso jure habeant actionem ad debitum solvendum nisi sit debitum fidejussoris vel maleficii vel alterius sui propriinegotii.

Stat. von Modena, reform. i. J. 1327 1. III rubr. 22: Si aliquis mercator vel aliquis de aliqua artium dederit aliquid in credentia licet ille qui dederit sit absens, socii tamen possint petere si debitor negaverit et si confiteatur rem emisse a socio absenti ... alii non possint petere et id in quo socius est obligatus pro societate eo absente et alii solvere teneantur si confiteantur vel probatur contractum factum esse pro societate ... et intelligantur socii – folgt die oben bereits zitierte Definition der socii als Hausgenossen.

Es besteht zwischen diesen Stellen eine gewisse Stufenfolge. Die Statuten von Mailand lehnen sich offenbar an die Lombarda an. Alles mit Ausnahme der besonders bezeichneten lucra fällt in die Gemeinschaft125. In Massa ist umgekehrt positiv dasjenige bezeichnet, was in die Gemeinschaft fällt. Es sind, außer den Aufkünften der gemeinsamen hereditas, die Erträgnisse lästiger Geschäfte. Dabei ist wichtig, daß (r. »quamvis ... nomine proprio contraxisset«) als regelmäßig vorausgesetzt wird, daß der socius Kontrakte, welche die Gemeinschaft angehen, auch namens der Gemeinschaft abschließt. Im Verhältnis unter den socii soll dies nach den Statuten von Massa gleichgültig sein, aber sehr wohl könnte gerade darin implizite der Satz angedeutet gefunden werden, daß nach der passiven Seite hin dies im Verhältnis zu dritten anders wäre. Diese Vermutung wird verstärkt durch die angeführte Stelle der Statuten von Modena. Die von einem socius »pro societate« geschlossenen Kontrakte fallen – offenbar aktiv und passiv – in der Art in die Gemeinschaft, daß jeder socius im Rechtsstreit über dieselben ad causam legitimiert ist. Diese unmittelbare Wirkung betonen auch die Statuten von Massa l. c.: die Gemeinschaft besteht nicht in römischer Art, so, daß nur der Reinerlös an dieselbe abzuführen wäre, sondern die entstehenden Obligationen sind direkt aktiv und passiv solche der Gemeinschaft. Am deutlichsten drücken sich die Statuten von Arezzo in der oben zitierten Stelle aus:

c. 42: Quilibet socius alicujus negociationis mercantiae seu artis in qua ... socios habeat, et contraxerit obligationem, dominium, possessio et actio ipso jure et etiam directa queratur alteri socio ... Zahlung an einen befreit auch gegenüber den anderen, ... et insuper quilibet socius etiam in solidum teneatur ex obligatione vel contractu pro altero ex sociis celebrato pro dicta societate vel conversis in ea, et d. sociorum bona ... intelligantur obligata ...

Also die materiell oder formell für Rechnung »der Gesellschaft« geschlossenen Geschäfte haben im Verhältnis unter den socii und, wie wir bei Modena und Arezzo sahen, auch nach außen besondere Rechtsfolgen, welche darin bestehen, daß sie eben als Geschäfte nicht des socius, sondern »der Sozietät« gelten. Wenn wir uns nun der in Kapitel I entwickelten Konstruktion des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaft erinnern, so finden wir, daß mit dieser Unterscheidung zwischen Rechten und Verpflichtungen »der Gesellschaft« und solchen der Einzelnen alle wesentlichen Momente zur Sondervermögensbildung gegeben sind. Wenn, wie wir sahen, schon in den Verhältnissen der societas maris gewisse Ansätze dazu vorhanden waren, den Sozietätsfonds zu verselbständigen und auch im Verhältnis zu dritten auf sein Bestehen Rücksicht zu nehmen, so muß dies bei diesen Sozietäten, welche gerade von dem Verhältnis zu dritten ausgingen, viel weitgehender der Fall gewesen sein. Es gibt Vermögensstücke, an denen (Modena) das Anrecht des Einzelnen gegenüber der »namens der Sozietät« getroffenen Verfügung zurücktritt, und es gibt Schulden eines socius als solchen, wegen deren, wie wir sahen, die Vollstreckung unmittelbar in die Gemeinschaft stattfindet. Welches ist nun die Stellung der Gläubiger derjenigen Schulden, welche die Gemeinschaft nicht in dieser Weise belasten, der »Privatgläubiger«? Dem Satz der Statuten von Lodi, Modena und Arezzo, daß pro societate kontrahierte Schulden die Solidarhaftung der socii zur Folge haben, kann das Korrelat, daß andere Schulden diese Folge nicht haben, nicht gefehlt haben. Nun scheiden aber die Quellen, wie bemerkt, die Frage der persönlichen Haftung der socii nicht von der an sich verschiedenen: ob das gemeinsame Vermögen von den Gläubigern angegriffen werden kann. Wir werden daher annehmen, daß die Privatgläubiger auch das Gesellschaftsvermögen nicht haben unmittelbar angreifen können. Ist es aber denkbar, daß sie demselben gegenüber gar keine Rechte gehabt haben? Schwerlich: wir haben gesehen, daß wegen Obligationen des Haussohnes, die nicht als zu Lasten der Gemeinschaft laufend gelten, sondern ihn selbst allein treffen, – insbesondere Deliktschulden – die Gläubiger Ausschichtung desjenigen aus der Gemeinschaft fordern konnten, was als Anteil ihres Schuldners am gemeinsamen Vermögen galt. Umgekehrt erwähnen die Statuten da, wo es sich nicht um solche Schulden, sondern um diejenigen handelt, welche eine Belastung der Gesamtheit herbeiführen, insbesondere um Handelsschulden, die Ausschichtung nicht, sondern lassen, wie die obige Aufzählung zeigt, patres, filii, fratres usw. dafür in solidum haften. Es ergibt sich also die Scheidung: 1. Gemeinschaftsschulden; sie belasten das ganze Vermögen der Beteiligten und diese persönlich. 2. Privatschulden; sie involvieren Ausschichtungsrecht und -pflicht. Ist dies bei der Familiengemeinschaft so, so werden wir mit Grund annehmen, daß die gleiche Scheidung auch für die anderen Gemeinschaften stattgefunden haben wird. Indessen außerhalb von Florenz erwähnen die Statuten davon nichts, – auf die Florentiner Statuten aber kommen wir gesondert zurück.


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