Kalkül und Hazard


Überblickt man diesen ganzen Mechanismus, so springt zunächst eins in die Augen: die Unrichtigkeit der Meinung, als könne man aus der Form des Termingeschäfts als solchen auf die Unreellität und den »Spielcharakter« desselben schließen. Es wird nicht zu leugnen sein, daß – in unserm früheren Beispiel – der Getreideimporteur A sowohl als der Müller E, für welchen sein Kommissionär D das Geschäft abschloß, durchaus reelle Zwecke: Sicherung eines bestimmten Preises für die Zukunft, damit verfolgten. Es wäre sogar, wenn es sich nicht um Geschäftshäuser mit ganz gewaltigen Kapitalien handelt, unter Umständen eine direkte Unsolidität, wenn sie ihren Betrieb den Einflüssen unberechenbarer Preisschwankungen aussetzten und damit jede Grundlage für eine solide Gewinnberechnung (»Kalkül«) zugunsten hazardartiger Chancen beseitigten. Das Beispiel stellt aber keineswegs einen Einzelfall dar. Wer z.B. in der Zeit stark schwankender Preise des russischen Papiergelds Waren aus Rußland bestellte und also künftig dorthin in Rubeln zu bezahlen hatte oder wer Bestellungen auf Waren aus Rußland erhielt, also in Rubeln künftige Zahlungen versprochen erhielt, hätte oft ein ganz unberechenbares Risiko auf sich genommen, wenn er nun hätte abwarten wollen, zu welchem Preise, in Mark berechnet, er seinerzeit diese Rubelnoten würde kaufen oder verkaufen können. Jedes solide Geschäft hätte dabei aufgehört. Er konnte dieses Element der absoluten Unsicherheit aus seinen Berechnungen nur beseitigen, wenn er schon im Moment des Abschlusses des Vertrages mit seinen russischen Kunden sich den jetzigen Preis der Rubel für den Zeitpunkt der Erfüllung seines Geschäftes sicherte, indem er ein entsprechendes Quantum Rubel, je nachdem er in Zukunft in Rubel zu zahlen oder Zahlung zu empfangen hatte, auf den geeigneten zukünftigen Termin kaufte oder verkaufte. – Nun könnte man etwa meinen, mindestens dann, wenn jemand, wie oben B und C, auf denselben Termin ge- und verkauft habe, handle es sich jedenfalls um ein reines Spekulieren auf steigende oder sinkende Preise ohne Zusammenhang mit irgendeinem anderen reellen Geschäftszweck. Allein auch das trifft nicht zu. Ein Müller z.B., welcher große Mengen Getreide »loko« gegen bar zum Vermahlen gekauft hat, unterliegt der Gefahr, daß während des Vermahlens die Getreidepreise sinken, was selbstverständlich auf die Mehlpreise ziemlich schnell zurückwirkt, sehr oft so schnell, daß, wenn das aus den Vorräten hergestellte Mehl zum Verkauf kommt, der Müller Verlust erleiden würde. Hiergegen sichert er sich, indem er zur Zeit des Getreideeinkaufs gleichzeitig auf den Zeitpunkt, zu welchem er das Mehl auf den Markt zu bringen hofft, Getreide auf Termin verkauft. Sinken nun die Getreidepreise, so verkauft er zwar sein Mehl mit Verlust, aber er gewinnt das Entsprechende wieder, indem er das auf Termin verkaufte Getreide entsprechend billiger einkauft, steigen sie, so bringt das Termingeschäft, welches er durch teureren Einkauf eindecken muß, Verlust, aber dafür gewinnt er an den gestiegenen Mehlpreisen. Obwohl also hier von Anfang an die bestimmte Absicht vorliegt, jedenfalls nur durch ein Gegengeschäft, nicht durch Lieferung aus eigenen Vorräten, zu erfüllen, obwohl also auf die Differenz spekuliert wird, ist der geschäftliche Zweck: Versicherung gegen die Gefahr der Preisschwankungen, sicherlich ein höchst reeller und solider, und das Unterlassen dieser in Form des Termingeschäftes erfolgenden Versicherung wäre ebensowenig solid wie etwa das Unterlassen der Versicherung gegen Feuersgefahr. Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren. Es zeigt sich, daß nicht die äußere Form des Geschäftsabschlusses (auf Termin) oder der Geschäftserfüllung (durch Gegengeschäft und Differenzzahlung) es ist, was über den Charakter des Geschäfts entscheidet, sondern der innere ökonomische Zweck, welchen man dem einzelnen Geschäft nicht ansehen kann.


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Seite zuletzt aktualisiert: 27.10.2004 
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