Pont à Tressan; Französische Grenze, Tumult in Lille
Zu Pont à Tressan, auf dem halben Wege zwischen Tournai (Doornik) und Lille, betritt man die Französische Grenze und vertauscht das Niederländische Phlegma mit Französischer Leichtigkeit. Unser Postillion schwatzte unaufhörlich und brachte uns in Einem Jagen nach der Stadt. Vor drei Tagen war hier alles in der fürchterlichsten Unordnung. Die Besatzung in der Zitadelle, die aus den Dragonern von Colonel-Général und den Chasseurs à cheval de Normandie besteht, hatte mit den beiden Infanterieregimentern in der Stadt, Royal Vaisseaux und la Couronne, einen heftigen Streit angefangen, wobei es zu offenbaren Feindseligkeiten gekommen war. Den 8ten und 9ten April waren wirklich einige Dragoner auf dem Platz geblieben, und die Infanterie hatte wegen der engen Gassen augenscheinlich den Vorteil. Die Reiter zogen sich in die Zitadelle zurück und ließen durch einen Anschlagszettel vom 11ten April, der jetzt an allen Ecken der Straßen zu lesen ist, den Bürgern kund tun: sie würden sich ruhig verhalten, aber ohne Befehl vom König und der Nation die Zitadelle an niemand, am wenigsten an Truppen von der Miliz, abliefern. Die Bürgerschaft, die am ganzen Handel keinen Anteil genommen, sondern nur sorgfältig ihre Kramläden und Türen verschlossen hatte, schickt jetzt Deputierte nach Paris, um Verhaltungsbefehle einzuholen, und vermutlich werden die verdächtigen Dragoner an einen andern Ort verlegt werden müssen. Die Offiziere von Colonel-Général sind als Feinde der neuen Konstitution bekannt, und man versichert allgemein, dass sie nichts unversucht gelassen hätten, um ihre Leute zum Streit mit der Infanterie, die sich entschieden für die Volkspartei erklärt hatte, zu reizen. In allen Vierteln von Lille waren die Schenken offen, und die Dragoner konnten darin unentgeldlich zechen. Ein Infanterist fiel einem Haufen der Betrunkenen in die Hände, und ward von ihnen ermordet. Dies brachte die andern Regimenter auf. Wo sich Dragoner blicken ließen, gab man Feuer auf sie; und da diese zuletzt mit Wut gegen die Infanterie anrückten, so entstand ein ordentliches Scharmützel. Ein Garde national soll ums Leben gekommen sein, weil seine Uniform ihn einem Dragoner ähnlich machte. Nunmehr aber sind zwölftausend Bürger in den Waffen und auf viele Meilen weit ist keinem Hahn eine Feder übrig geblieben, denn man hat die panache mit drei Livres bezahlt.
Das Gerücht hatte diese Schlägerei so ungeheuer vergrößert, dass niemand in den Niederlanden uns raten wollte, die Reise nach Lille fortzusetzen. Wenn man den mutvollen Anhängern der Brabantischen Stände hätte Glauben beimessen wollen, so war es nichts Geringeres, als die offenbare Gegenrevolution, die in jener Grenzfestung zuerst ausgebrochen sein sollte; man malte uns ganz Frankreich in Flammen, und Paris in einen Schutthaufen verwandelt. Wir versicherten, es sei uns darum zu tun, das Schauspiel großer Begebenheiten mitzunehmen, wo es sich auf unserm Wege fände, und eine Gegenrevolution sei nun eben unsere Sache. Je näher wir Lille kamen, desto unbedeutender wurden die Berichte, die wir von dem Tumult einziehen konnten; und als wir uns nun hier innerhalb der Tore befanden, hatte alles das Ansehen der tiefsten, bürgerlichen Ruhe: alle Läden waren offen, alle Straßen wimmelten, des Regenwetters ungeachtet, von geschäftigen Menschen, und nur das Schauspielhaus blieb heute noch verschlossen, um nicht zu neuen Händeln Veranlassung zu geben. Du wirst also wissen, woran Du Dich zu halten hast, wenn die Zeitungen, wie gewöhnlich, von einem schrecklichen Blutbad schreiben, und die politischen Kannengießer von Verwirrung und Anarchie sprudeln werden. Es ist der Mühe nicht wert, die Armseligkeit zu widerlegen, womit einige verworfene Schriftsteller unter uns die wenigen unvermeidlichen Unglücksfälle, die eine große Revolution notwendig mit sich bringen mußte, als Enormitäten der ersten Größe und als Schandflecken der Geschichte darzustellen bemühet sind, indes sie den systematischen Mord von Tausenden, durch den Ehrgeiz kriegführender Despoten, und die langsame Vergiftung der Freuden von Hunderttausenden, durch die Erpressung unerschwinglicher Abgaben für nichts achten, oder wohl gar als ruhmvolle Taten mit ihrem feilen Lob vor dem Fluch der gegenwärtigen und kommenden Generationen zu sichern hoffen.