Aussicht von Mont-Cassel


Wir hielten unsere Mittagsmahlzeit zu Cassel, (Mont-Cassel) das wegen seiner romantischen Lage auf einem Berge so berühmt, übrigens aber ein unbedeutender kleiner Ort ist. Im Sommer, an einem hellen Tage, wäre es fast nicht möglich, sich von diesem Anblick loszureißen. Die nächsten Hügel haben malerische Formen und sind ganz mit Wald gekrönt. Die unabsehlichen Gefilde von Flandern, Hennegau und Artois liegen ausgebreitet da, und verlaufen sich in die dunkelblaue Ferne, wo nur die hohen Kirchtürme von Bergen, Dünkirchen, Fürne, Ipern und anderen Städten wunderbar hinausragen und ein Gefühl von Sicherheit und ruhiger Wohnung in dieser schattigen, mit unendlichem Reichtum abwechselnder Formen geschmückten Gegend einflößen. O dies ist das Land der lieblichen, der kühlen Schatten! Hier begrenzen die hochbewipfelten, schlanken Ulmen, Espen, Pappeln, Linden, Eichen und Weiden jedes Feld und jeden Weg, jeden Graben und jeden Kanal; hier laufen sie meilenweit fort in majestätischen Alleen, bekleiden die Heerstraßen, oder sammeln sich in Gruppen auf den weiten Ebenen und den Anhöhen, um die zerstreuten Hütten und um die stillen Dörfer. Die Anmut, die Mannigfaltigkeit und Pracht dieser hohen, schön gestalteten Bäume verleiht den hiesigen Landschaften einen eigentümlichen Charakter. Der Teppich der Wiesen ist in diesen nassen Tagen herrlich grün geworden; die Weizenäcker schimmern mit einer wahrhaften Smaragdfarbe; die Knospen der Bäume wollen trotz dem kalten Hauch der Nordwinde ihren Reichtum nicht länger verschließen; die Kirsch- und Birn- und Äpfelbäume in den Gärten, die Pfirsich- und Aprikosenbäume an den Mauern öffnen mitten im Regen ihre Blüten. Bei dieser üppigen Pracht des Frühlings entbehrten wir dennoch den Anblick der Dünen und des Meeres, den uns der Nebel neidisch verhüllte. Jener unermeßliche blaue Horizont, der sich an die Wölbung des azurnen Himmels anschließt, muß der hiesigen Aussicht eine erhabene Vollkommenheit geben, die nur in wenigen Punkten unserer Erde erreicht werden kann. – Der Hügel, von welchem wir diesen Anblick genossen, scheint ein bloßer Sandhügel zu sein, deren es hier mehrere gibt, die weiter durch das Artois in die Picardie hinein fortsetzen und vermutlich auf Kalk stehen. Vor Lille und in der dortigen Gegend findet man sehr weißen Kalkstein, und in der Picardie bekanntlich, wie in England, Kreide.




Share
 © textlog.de 2004 • 08.12.2024 21:49:51 •
Seite zuletzt aktualisiert: 17.11.2007 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright