Freiherr von Canitz.
Staatsmann und Poet
Ich hab' in vorstehendem den Menschen Canitz als eine liebenswürdige, fein und innerlich angelegte Natur zu schildern versucht; es bleibt noch die Frage übrig nach seiner politischen Bedeutung und nach seinem poetischen Wert. War er ein Staatsmann? war er ein Poet? Das erstere gewiß, das zweite kaum minder.
Die Natur schien ihn für die diplomatische Laufbahn im voraus geschaffen zu haben, und die komplizierten Verwandtschaftsgrade, darin er stand, (auch die Mutter seiner Frau war dreimal verheiratet gewesen) hatten von Jugend auf dahin gewirkt, diese seine natürliche Beanlagung auszubilden. Eine uns aufbewahrte Charakteristik seines Wesens zeigt am besten, wie außerordentlich er sich für seine Laufbahn eignete, darin damals ungleich mehr noch als jetzt, alles an dem Erkennen und der richtigen Benutzung von Persönlichkeiten gelegen war. »Er war gesprächig, höflich, frei von Eigensinn und Widerspruchsgeist, für jedermann gefällig und aufmerksam, Fähigkeiten und Neigungen leicht durchschauend, jedem Gegenstande wie jedem Verhältnisse sich leicht bequemend – ein vollkommener Mann von Welt. Seine Rechtschaffenheit, sein Haß gegen Lüge und Zweideutigkeit unterstützten ihn eher, als daß sie sein Auftreten gehemmt, seine Erfolge verhindert hätten. Bei großer Leichtigkeit war er von vorsichtiger Haltung; er wußte Ernst und Sanftmut zu vereinen, um zu überreden und zu gewinnen. Im Friedenstiften, Vermitteln und Versöhnen besaß er ein einziges Talent.« Die Inschrift unter dem Bildnis der alten Frau von Burgsdorf hatte also völlig recht, von ihm als von dem »klugen Staatsminister von Canitz« zu sprechen; aber er suchte, wie schon angedeutet, diese Klugheit nicht in jener Kunst der Täuschung, am wenigsten in jenem Intrigenspiel, das damals an den Höfen blühte. Er kannte dies Spiel und war ihm gewachsen, aber sein redlicher und reiner Sinn lehnte sich gegen diese Kampfesweise auf. Deshalb zog es ihn immer wieder in die Stille und Unabhängigkeit des Landlebens und in einfach natürliche Verhältnisse zurück. »Der Hof – so schrieb er bald nach dem Tode des Großen Kurfürsten – hat wenig Reiz für mich, und ich betrachte die Würden und Ämter, die andere so eifrig suchen, nur als ebenso viele Fesseln, die mich am Genusse meiner Freiheit hindern, der Freiheit, die über alle Schätze der Erde geht und deren echten Wert zu würdigen, den gemeinen Seelen versagt ist.« Er kannte diesen »echten Wert der Freiheit« wohl, aber die Verhältnisse gestatteten ihm nicht, sich dieser Freiheit so völlig zu freuen, wie es seinen Wünschen entsprochen hätte. Es geschah, was so oft geschieht, man suchte die Dienste desjenigen, der, im Gefühl seines Werts, diese Dienste anzubieten verschmähte, und wie oft er auch, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, die Erfahrung gemacht haben mochte, daß »andere die goldenen Äpfel auflasen, während er beim heißen Lauf sich abmühte«, so war doch Gehorsam und Nachgiebigkeit in allen jenen Fällen geboten, wo Weigerung den Vorwurf des Undanks oder doch der Gleichgültigkeit gegen die allgemeinen Interessen auf sich geladen hätte. Canitz drängte sich nicht zu Diensten, aber sooft er sie übernahm, zeigte er sich ihnen gewachsen. Leicht und gewissenhaft zugleich ging er an die Lösung empfangener Aufgaben und die graziöse Hand, mit der er die Fragen berührte, pflegte zugleich eine glückliche Hand zu sein. Fast an allen deutschen Höfen war er eine wohlgekannte und wohlgelittene Persönlichkeit und Kaiser Leopold bezeugte ihm vielfach seine Gnade und sein besonderes Wohlwollen.
Canitzens letztes und vielleicht bedeutendstes diplomatisches Auftreten war im Haag, wo damals die Minen gelegt wurden, um den Ryswiker Friedensschluß, der so viele Interessen verletzte und so viele Gefahren heraufbeschwor, wieder zu sprengen. Canitz zeichnete sich auch hier durch jene Klugheit und feine Besonnenheit aus, die, weil sie geflissentlich leise die Fäden zu schürzen oder zu entwirren sucht, gemeinhin auf den Beifall zu verzichten hat, der so leicht in all jenen Fällen sich einstellt, wo ein Diplomat so undiplomatisch wie möglich den Knoten zerhaut. Das herausfordernde Wort eines Rücksichtslosen, dessen Punktum bereits ein erster Kanonenschuß ist, wird jubelnd aufbewahrt, während die kluge Haltung dessen, der eine heranziehende Gefahr beschwört, gemeinhin unbeachtet bleibt. Alles, was sich vor aller Welt Augen zu einem bestimmten Bilde abrundet, ist immer im Vorteil über das Unplastische, das sich in vertraulichem Rat oder gar in einer bloßen Aktenstückszeile vollzieht, und jener Erich Christoph von Plotho, der zu Regensburg mit jenem berühmt gewordenen: »was! insinuieren??« den kaiserlichen Notar, Dr. Aprill, die Treppe hinunterwarf, hat ein ganzes Dutzend Diplomaten in Schatten gestellt.25) Überall da, wo das Wort Friedrichs des Großen gilt: »Mach' Er nur, ich stehe mit zweihunderttausend Mann hinter Ihm!« ist es nicht schwer, dem guten Rufe der Kraft auch den der Klugheit hinzuzufügen, und das Achselzucken, das unsere preußischen Diplomaten in vorbismarckschen Tagen oft hinnehmen mußten, hat in ganz anderen Dingen seinen Grund, als in Mangel an Einsicht und staatsmännischer Bildung.
Canitz' Verdienste als Diplomat sind unbestritten, seine Verdienste als Poet, so sagt' ich schon, sind kaum geringer. Wer auf gut Glück hin und ohne den Vorsatz liebevolleren Eingehens, den Band seiner Dichtungen aufschlägt und in einem, übrigens an Schönheiten keineswegs armen Gedichte folgende Anfangsstrophe findet:
Laß, mein beklemmtes Herz, der Regung nur den Zügel,
Begeuß mit einer Flut von Tränen diesen Hügel,
Weil ihn mein treuster Freund mit seinem Blut benetzt,
Auf dieser Stelle sank der tapfre Dohna nieder,
Hier war sein Kampf und Fall, hier starrten seine Glieder,
Als ein verfluchtes Blei die teure Stirn verletzt,
Das, eh' der Sonne Rad den andern Morgen brachte,
Ihn leider, ach zu bald zu einer Leiche machte – 26)
wer, sag' ich, solche und ähnliche Strophen findet, wird freilich zunächst den Kopf schütteln und seine Ungläubigkeit ausdrücken, daß es mit so zopfigen Alexandrinern irgend etwas auf sich habe. Und in gewissem Sinne mit Recht. Wir dürfen diese Dinge aber nicht mit einem Maßstabe messen, den wir dem gegenwärtigen Stande unserer Literatur entnehmen, sondern müssen uns vielmehr die Frage vorlegen: was waren diese Gedichte in und zu ihrer Zeit? Und zu ihrer Zeit waren sie sehr viel. Wenn ihnen jetzt, wie das gelegentlich geschieht, mit herablassender Miene zugestanden wird, daß sie das Verdienst der gewählten Sprache, der Reinheit und Eleganz hätten, so genügt diese Anerkennung keineswegs; denn es ist das ein Zugeständnis, das so ziemlich allen modernen Dichtern gemacht werden kann, während unter diesen doch nur wenige sind, die für ihre Zeit das Maß von Bedeutung beanspruchen dürfen, das Canitz für die seinige besitzt. Er war einer von denen, denen die Aufgabe zufiel, uns erst eine Sprache und innerhalb derselben ein Gesetz zu geben. Dies Geschenk, diese Hinterlassenschaft ist nicht hoch genug zu schätzen. Wir stehen auf den Schultern derer, die damals tätig waren, und wenn Canitz auch nicht in die Reihe der epochemachenden, literarischen Reformatoren jener Zeit gehört, die sich, wie namentlich Opitz, für die Gesamtentwicklung deutscher Sprache und Dichtung von nachhaltiger Bedeutung erwiesen haben, so war er doch wenigstens für unsre Mark das, was andre für weiter gezogene Kreise waren. Er zeigt zuerst, daß die Mark und die Musen nicht völlige Gegensätze seien.
Aber die Verdienste Canitz' sind keineswegs nur sprachlicher Natur; seine Gedichte haben auch ihren dichterischen Wert. Es ist wahr, daß er das Dichten zum Teil wie andre angenehme Unterhaltung trieb und er selber nannt' es in seinen Briefen »die Kurzweil des Reimens«, aber wir würden ihm doch sehr Unrecht tun, wenn wir nach jenen zahlreichen Reimereien, wie sie bei Festspielen, den sogenannten »Wirtschaften« damals Mode waren, den Wert seiner Dichtung überhaupt abschätzen wollten. Gewiß, er trieb das Dichten wie Tagewerk, aber er trieb es auch, und zwar im besten Sinne, wie man ein poetisches Tagebuch führt, darin er allem zu einem dichterischen Ausdruck verhalf, was der Lauf eines Tages brachte. Der Tag brachte vieles, Großes und Kleines, Absonderliches und Alltägliches, und diesen Wechsel zeigen auch seine Dichtungen, aber sie sind einig in dem einen, daß sie, ob groß ob klein, ein Erlebtes widerspiegeln; sie sind nicht Fiktion, sie sind wirklich, sie haben einen realen Inhalt; dieser Inhalt ist nicht immer poetisch, weder in sich, noch in der Art, wie er sich gibt, aber es fehlt auch überall die Gefahr, sich in nichts zu verflüchtigen. Der alte Bodmer sagte von diesen Gedichten: »Canitz legete nichts Fremdes in dieselben, was nicht zuvor in seinem Sinn und Herzen gewesen wäre.« Das ist sehr richtig und der Stempel des Echten, Wahrhaftigen, an sich selbst Erfahrenen, auch da noch, wo es sich um bloße Reflexionen handelt, hält schadlos für den fehlenden Hochflug, auch für einen gewissen Mangel an Kraft, Originalität und Tiefe, den wir nicht in Abrede stellen wollen.
Ein einziges Gedicht rührt von ihm her, das an Sprache, Form und namentlich auch an Innerlichkeit alles weit zurückläßt, was er außerdem geschrieben hat, und nicht nur einen relativen, sondern einen vollen und unbedingten poetischen Wert beanspruchen darf. Es ist dies das Gedicht: »An Doris« oder: »Über den Tod seiner ersten Gemahlin«, wie es in einer älteren Ausgabe genannt wird. Es gilt von diesem Gedicht etwas Ähnliches, wie Schlegel von Bürgers »Leonore« gesagt hat: »daß es allein schon ausreichen würde, den Namen des Dichters der Nachwelt zu überliefern.« Die Zeiten ändern sich freilich und es wird manchem jetzt pedantisch erscheinen, siebenundzwanzig Trauerstrophen, noch dazu die Arbeit von Jahren, auf den Tod einer hingeschiedenen, geliebten Frau gedichtet zu sehn. Aber das Lächeln über die altfränkische Mode ist unberechtigt. Es ist mit einem solchen Gedicht, wie mit einem Bildhauer, der seine Frau verliert und ihr ein Monument errichten will. Er hat sie selbst am besten gekannt, trägt ihr Bild am treuesten im Herzen und geht freudig und guten Mutes an die Arbeit. Die Arbeit ist mühevoll und kostet ihm Zeit, aber endlich hat er's erreicht, und niemand tritt jetzt heran und wundert sich, daß er Jahre gebraucht hat zu einer Schöpfung der Pietät und Liebe. So muß man auch eine solche »Trauerode« auffassen, die damals gemeißelt wurde wie in Stein. Wir gestatten jetzt nur noch eine hingeworfene Skizze, einen lyrischen Ausruf als Ausdruck des Gefühls. Aber beides kann nebeneinander bestehen, jedes ist eine berechtigte Art und es ist einfach falsch zu sagen, die alten Poeten von damals, weil sie weder in Desperation noch in Melancholie dichteten, hätten überhaupt nichts empfunden. Man lese die Dinge ohne Vorurteil, und man wird an der Wirkung auf das eigene Herz wahrnehmen, daß ein Herz in diesen zopfigen Strophen schlägt.
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25) Ich hätte hier statt des von Plothoschen auch ein anderes Beispiel zitieren können, ein Beispiel aus der Canitzschen Zeit und noch dazu ein Vorkommnis, in dem der Spezialfreund unseres Poeten, der schon an anderer Stelle genannte Johann von Besser, die Hauptrolle spielt. Besser war 1686 kurbrandenburgischer Gesandter in London, und es handelte sich, nach erfolgtem Tode Karls II. für das ganze diplomatische Korps darum, dem nunmehrigen Könige Jakob II. die Glückwünsche ihrer resp. Höfe zu überreichen. Der alte venezianische Gesandte Vignola verlangte den Vortritt vor Besser; Besser aber verweigerte dies. Man einigte sich endlich dahin, daß der den Vortritt haben solle, der zuerst auf dem Platz erscheinen würde. Der alte Italiener kam früh, aber Besser kam früher; er hatte sich nämlich die Nacht über in eins der königlichen Vorzimmer einschließen lassen, und stand nun bereits da, als Vignola eintrat. Dieser war unklug genug, nach wie vor auf den Vortritt zu bestehen. Besser warnte ihn. Als der Zeremonienmeister die Tür öffnete, sprang Vignola vor, Besser aber, der von großer Körperkraft war, packte im selben Augenblicke den alten Schelm hinten am Hosenbund und schnellte ihn mit geübter Ringerkunst mehrere Schritte hinter sich. Ohne eine Miene zu verziehen, trat er darauf, völlig fest und gesammelt, an die Stufen des Thrones und hielt seine Ansprache. Alles war entzückt, der König nichts weniger als beleidigt und der spanische Gesandte sagte ruhig zum alten Vignola: »Caro vecchio, avete fatto una grande cacata.« Der Vorfall machte in ganz Europa Sensation und wurde wie ein neuer Sieg Brandenburgs gefeiert, nicht viel geringer, als sei eine zweite Schlacht von Fehrbellin geschlagen und gewonnen worden.
26) Der Titel des Gedichtes lautet: »Elegie; letzte Pflicht der Freundschaft, dem sel. Grafen von Dohna auf derjenigen Stelle abgestattet, wo derselbe, wenig Wochen zuvor, den tödlichen Schuß empfangen hatte.« (Es geschah dies bei dem berühmten Sturm auf Ofen 1686; die Brandenburger, von den Türken die »Feuermänner« geheißen, wurden von General von Schöning geführt.)