Ein Leitartikel


Immer wieder werde ich gefragt, warum ich das hohe Roß der Politik nicht besteige, immer wieder wird mir das Beispiel Maximilian Hardens, des Ziergärtners einer tropischen Kultur von Stilblüten und Lesefrüchten, vorgehalten. Darum habe ich beschlossen, es einmal ganz so wie er zu machen und einen politischmythologischen Leitartikel zu schreiben, der vom »Advent« bis zum »Jultag« reicht, den tiefsten Fragen »die Lösung findet« und deshalb den Titel »Monomachos« oder »Prodromos« führen kann. Hier ist er, nachdem ich ihn mit Mühe und Not druckfertig gestellt habe. Die Setzer wollten nämlich durchaus, dass »Europa« sächlichen Geschlechts sei, dass es »Schachermacherei« und nicht »Schachermachei« heiße und dass man »Meinungsfabriken« und nicht »Meinungfabriken«, »die Redaktionsweisen« und nicht »Redaktionweisen« schreibe:

Advent. Die in die Kulifrohn gespannten Söhne des unheiligen Geistes hatten der Frage nachgegrübelt, wann endlich in der betagten Europa welkem Schoß sich dem Ratschluß der Hohen ein neuer Gedanke, die dem stärksten Beispiel gereiften Sinnens vergleichbare Tat sich entbände. Im Holzpapierreich der Meinungfabriken hatte mählich die angestammte Schachermachei der Redaktionweisen dem eifrig Zeitfragen nachspürenden Tatsachensinn der Jüngeren Platz gemacht, hatte die leis nur und zagend sich kündende Entwicklung Sems Sprossen, die keines neuen Heils Botschaft wirren kann, gesänftigt. Das bloß mehr auf Brettergerüsten mit feinster Kunst und mit einer neidenswerten Treue gespielte Treiben der sich Helden dunkelnden Domestiken muß endlich auch dem blödesten Auge, muß dem Wahn der an Parteidogmen Glaubenden als Stümperleistung erscheinen. Mögen annoch im Pritzenstaat vor der Zeitungfeudalherren Wink die Staatskommis erzittern, mag, wie der Eunuchen klanglose Rede geht, Herr Möller auf verunreinigtem Holzpapier Tag vor Tag deutschem Handel die Willensrichtung suchen, die Schrecken der Annoncenpacht schüchtern heut keinen Denkenden mehr, und bald wird ihr der zu starken Taten wieder, zu neuem Pflichtengefühl erwachte Preußensinn verlorner Tage peinvolles Erinnern in die Grube rufen. Der wälsche Kömmling, der die geputzte Fassade modischer Reichsverderbnis betrachtet und heimischen Maßen bürgerlicher Zwietracht die vom Monomachengeist Schritt vor Schritt verdrängte Bänkermoral vergleicht, wird in bei gutem Wind erraffter Glückslaune der vorragenden Geltung deutscher Gafferpolitik die Ziele weisen; wird dem Makronenmagen unserer Tiergärtnerinnen die festere Nahrung politischer Erkenntnis nicht weigern. Wo der in bismärckischer Zucht geübten Tugend der Willenskanal nicht völlig verstopft ist, mag die von Sensationenhändlern mit flinkem Finger entblößte Scham deutschen Geistes sich selbst die Hülle, die im Brunstschrei verlorne, wiederfinden. Aber dem vergreisten Sinn mit dem Volkswohl spielender Portefeuilletonisten, deren Schmeichlergeist höchstens noch die Keuschheit gunstgeiler Holzböcke ins Bett der Reichsbotenmehrheit kirrt, ersteht am Jultag, da sich der Sonnenwende deutschen Glücks die Feuer entzünden, kein willensstarker Retter mehr.

 

 

Nr. 203, VIII. Jahr

12. Mai 1906.


 © textlog.de 2004 • 18.02.2025 17:46:41 •
Seite zuletzt aktualisiert: 28.01.2007 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright Die Fackel: » Glossen » Gedichte » Aphorismen » Notizen