Abteilung IV.
Skeptische Zweifel in Betreff der Tätigkeiten des Verstandes.
Abschnitt I.

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So wie bei allen Naturvorgängen die erste Vorstellung oder Erfindung einer bestimmten Wirkung ohne Rückfrage bei einer Erfahrung willkürlich bleibt, so gilt dasselbe für das angenommene Band oder die Verknüpfung zwischen Ursache und Wirkung, welche sie zusammenbindet und es unmöglich macht, dass eine andere Wirkung aus der Wirksamkeit dieser Ursache hervorgehen kann. Wenn ich z.B. eine Billardkugel sich gerade gegen eine andere bewegen sehe, so mag mir vielleicht der Gedanke kommen, dass die Bewegung der zweiten das Ergebnis der Berührung oder des Stoßes sei; aber kann ich nicht ebenso gut hundert andere Wirkungen aus dieser Ursache voraussetzen? Könnten beide Kugeln nicht in völliger Ruhe bleiben? Kann die erste Kugel sich nicht gerade zurück bewegen oder in irgend einer Richtung seitlich von der zweiten abspringen? Alle diese Annahmen sind möglich und denkbar. Weshalb soll man da der einen den Vorzug vor der anderen geben, die ebenso möglich und denkbar ist wie jene? Alle unsere Gründe a priori können uns nie einen Anhalt für einen solchen Vorzug bieten.
Kurz, jede Wirkung ist von ihrer Ursache verschieden; sie kann deshalb in dieser nicht gefunden werden, und jede Erfindung oder Vorstellung derselben a priori muss völlig willkürlich bleiben. Und selbst wenn die Wirkung gekannt ist, bleibt die Verbindung ihrer mit der Ursache gleich, willkürlich, weil es eine Menge anderer Wirkungen gibt, welche dem Verstande ebenso möglich und denkbar erscheinen. Es ist deshalb vergeblich, wenn man meint, ohne Hülfe der Beobachtung und Erfahrung irgend, eine Wirkung bestimmen und eine Ursache oder eine Folge ableiten zu können.
Daher kommt es, dass kein vorsichtiger und bescheidener Philosoph es je unternommen hat, die letzte Ursache von irgend einem Naturvorgang anzugeben oder die Wirksamkeit der Kräfte bestimmt darzulegen, welche in der Welt irgend eine Wirkung herbeiführt. Alles, was anerkanntermaßen die Vernunft vermag, ist, die für die einzelnen Erfahrungen geltenden Regeln auf eine größere Einfachheit zurückzuführen und die vielen besonderen Wirkungen aus wenigen allgemeinen Ursachen abzuleiten, und zwar mit Hülfe der Analogie, Erfahrung und Beobachtung. Aber die Ursachen dieser allgemeinen Ursachen zu entdecken, ist vergeblich, und keine Erklärung derselben wird hier zufriedenstellen. Die letzten Kräfte und Prinzipien sind der menschlichen Wissbegierde und Forschung gänzlich verschlossen. Elastizität, Schwere, Zusammenhang der Teile, Mitteilung der Bewegung durch Stoss sind vielleicht die letzten Ursachen und Prinzipien, die man in der Natur entdecken kann, und man muss sich glücklich schätzen, wenn durch sorgfältige Untersuchung und Überlegung die besonderen Erscheinungen sich bis auf diese allgemeinen Prinzipien oder bis nahe zu ihnen zurückführen lassen. Die vollkommenste Philosophie der Natur schiebt nur unsere Unwissenheit ein Wenig weiter zurück, und ebenso dient vielleicht die vollkommenste Metaphysik und Moralphilosophie nur dazu, größere Stücke von unserer Unwissenheit bloß zu legen. So ist menschliche Schwäche und Blindheit das Ergebnis aller Philosophie; bei jeder Wendung treffen wir auf sie, trotz aller Versuche, sie zu beseitigen oder zu umgehen.
Selbst wenn die Naturphilosophie die Geometrie zu Hülfe nimmt, kann diese, trotz der mit Recht gepriesenen Schärfe ihrer Beweise, diesen Mangel nicht beseitigen und die Kenntnis der letzten Ursachen nicht verschaffen. Jeder Teil der angewendeten Mathematik setzt für die Wirksamkeit der Natur gewisse Gesetze als gültig voraus, und das reine Denken hilft nur der Erfahrung bei der Auffindung dieser Gesetze oder bei Bestimmung ihres Einflusses in den einzelnen Fällen, wo dieser von einer genauen Bestimmung der Entfernung oder Größe abhängt. So besteht das durch die angewandte Erfahrung aufgefundene Gesetz, dass die Kraft jedes in Bewegung sich befindenden Körpers sich verhält, wie die verbundenen Momente seiner Masse und seiner Schnelligkeit; so wird eine schwache Kraft auch ein großes Hindernis überwinden oder eine große Last heben, wenn man durch irgend eine Einrichtung oder Maschinerie die Schnelligkeit dieser Kraft so vergrößern kann, dass sie die Übermacht über ihren Gegner erhält. Die Geometrie hilft bei Anwendung dieses Gesetzes; sie gibt die richtigen Masse für alle Teile und Gestalten, die für irgend eine Maschine nötig sind; aber die Entdeckung des Gesetzes selbst verdankt man doch nur der Erfahrung, und alles reine Denken der ganzen Welt hätte nie einen Schritt weiter zur Kenntnis desselben geführt. Bei dem bloßen Denken a priori und bei dem bloßen Betrachten eines Gegenstandes oder einer Ursache, wie sie dem Verstande erscheint, ohne Rücksicht auf Erfahrung, kann nie der Begriff eines unterschiedenen oder anderen Gegenstandes gewonnen werden, der als Wirkung gelten müsse; noch weniger, dass beide untrennbar und ausnahmslos verknüpft seien. Der Mensch müsste wunderbar scharfsinnig sein, der durch bloßes Denken entdecken könnte, dass die Kristalle die Wirkung der Hitze, und das Eis die Wirkung der Kälte seien, ohne vorher mit der Wirksamkeit dieser Bestimmungen bekannt zu sein.
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