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Abteilung XII.
 
Über die Akademische oder Skeptische Philosophie
Abschnitt II.

 

Dennoch kann die Vernunft nicht ruhen und still stehen, selbst in Bezug auf den Skeptizismus, in den sie durch diese anscheinenden Widersprüche und Verkehrtheiten gedrängt wird. Es ist völlig unbegreiflich, wie ein klarer Begriff Bestimmungen enthalten könne, die ihm selbst oder einem andern klaren Begriffe widersprechen; es ist dies ein so widersinniger Satz, als sich nur erdenken lässt. Es gibt daher nichts Skeptischeres, nichts Zweifelhafteres und Bedenklicheres, als den Skeptizismus selbst, der aus einigen paradoxen Sätzen der Geometrie oder Größen-Lehre entspringt.* Die Skeptischen Einwürfe gegen die moralische Gewissheit oder gegen die Beweise von Tatsachen sind entweder populär oder philosophisch. Die ersten werden aus der Schwäche des menschlichen Verstandes abgeleitet; ferner aus den widersprechenden Meinungen verschiedener Zeiten und Völker; aus dem Wechsel unsers Urteils nach Krankheit und Gesundheit, Jugend und Alter, Glück und Unglück; aus dem fortwährenden Widerspruch in jedes Einzelnen Meinungen und Ansichten und aus mancherlei andern Erwägungen gleicher Natur. Bei diesen Einwürfen brauche ich mich nicht lange aufzuhalten; sie sind nur schwach. Im gewöhnlichen Leben urteilen wir fortwährend über Tatsachen und Dasein, und können ohne diese Hülfe nicht bestehen, deshalb vermögen jene Einwürfe, so verständlich sie auch sind, doch diese Überzeugung nicht zu entkräften. Was den Pyrrhonismus oder die auf das Äußerste getriebenen Grundsätze des Skeptizismus niederschlägt, ist das Handeln, die Tätigkeit und die Beschäftigung des gewöhnlichen Lebens. In den Hörsälen mögen diese Sätze blühen und triumphieren, wo ihre Widerlegung schwer oder unmöglich ist; sobald sie aber die Dämmerung verlassen und durch die Gegenwart der wirklichen Dinge, die unsere Leidenschaften und Empfindungen erwecken, mit den mächtigsten Prinzipien unserer Natur in Gegensatz geraten, verschwinden sie wie Rauch und lassen den entschiedensten Skeptiker in gleicher Lage wie andere Sterbliche.

Der Skeptiker tut deshalb besser, in seinem Gebiete zu bleiben und die philosophischen Einwürfe darzulegen, welche aus der tiefern Untersuchung sich ergeben. Hier hat er reiche Gelegenheit zu Triumphen; hier kann er mit Recht zeigen, dass alle unsere Gewissheit über Tatsachen, welche über das Zeugnis der Sinne und das Gedächtnis hinaus liegen, sich nur aus der Beziehung von Ursache und Wirkung ableitet; dass man keinen andern Begriff von dieser Beziehung habe, als den von zwei Dingen, die häufig mit einander verbunden sind; dass kein Beweisgrund dafür besteht, weshalb Gegenstände, die erfahrungsmäßig häufig mit einander verbunden gewesen sind, auch in andern Fällen ebenso verbunden sein werden; dass nur die Gewohnheit oder eine Art Natur-Instinkt zu solcher Annahme führt. Allerdings kann man solchem Instinkt nur schwer widerstehen, aber er kann, wie andere Instinkte, täuschen und betrügen. Hält sich der Skeptiker innerhalb dieser Betrachtungen, so zeigt er seine Kraft, oder vielmehr seine eigene und unsere Schwäche, und zerstört, wenigstens zurzeit, alle Gewissheit und Überzeugung. Man könnte diese Erörterung noch weiter fortsetzen, wenn sie zu einem dauerhaften Vorteil oder Nutzen für die Gesellschaft führte.

Denn es ist der wichtigste und niederschlagendste Einwand gegen den übertriebenen Skeptizismus, dass kein dauerhafter Nutzen aus ihm hervorgehen könne, wenn er sich in seiner vollen Stärke und Kraft erhält. Man braucht einen solchen Skeptiker nur zu fragen: was er wolle, und was er mit all diesen sinnreichen Erörterungen beabsichtige? Er wird dann sofort in Verlegenheit geraten und keine Antwort haben. Ein Kopernikaner oder Ptolemäer, der Jeder sein eigenes astronomisches System vorträgt, kann hoffen, seinen Zuhörern eine feste und bleibende Überzeugung beizubringen. Ein Stoiker und Epikuräer entwickelt Grundsätze, welche nicht allein vorhalten, sondern auch ihre Wirkung auf Benehmen und Betragen äußern. Aber ein Pyrrhonianer kann von seiner Philosophie weder einen bleibenden Einfluss auf die Seele erwarten, noch dass dieser Einfluss, wenn er Statt hätte, ein wohltätiger für die menschliche Gesellschaft sein würde. Im Gegenteil, er muss anerkennen, wenn er überhaupt etwas anerkennen will, dass, wenn seine Grundsätze allgemein und dauernd zur Herrschaft kämen, alles menschliche Leben untergehen müsste. Jede Rede, jede Handlung würde sofort erlöschen, und die Menschen würden in gänzlicher Betäubung verharren, bis die unbefriedigten Bedürfnisse der Natur ihrem elenden Dasein ein Ende machten. Man braucht allerdings einen so schrecklichen Ausgang nicht zu fürchten; die Natur ist immer mächtiger als das Denken. Ein Pyrrhonianer kann sich und Andere eine Zeit lang durch tiefe Beweise in Staunen und Verwirrung bringen; aber der erste und einfachste Vorfall des Lebens wird alle seine Zweifel und Bedenken verjagen und ihn im Punkte des Handelns und Beschließens mit den Philosophen aller andern Sekten, so wie mit denen, die sich nie mit philosophischen Untersuchungen abgegeben haben, gleich stellen. Wenn er aus seinem Traum erwacht, wird er der Erste sein, der in das Gelächter über sich mit einstimmt, und der anerkennt, dass alle seine Einwürfe nur unterhaltend sind und nur die launische Natur des Menschen offenbaren. Der Mensch muss handeln, folgern und glauben, obgleich er trotz der sorgfältigsten Untersuchung sich über die Grundlagen dieser Tätigkeiten nicht vergewissern, noch die gegen sie erhobenen Einwürfe zu widerlegen vermag.

 

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* Vielleicht kann man diesen Widersinnigkeiten und Widersprüchen entgehen, wenn man nichts der Art, wie abstrakte oder allgemeine Begriffe im strengen Sinne zulässt. Sie sind in Wahrheit nur Einzelvorstellungen, an ein allgemeines Wort geknüpft, was gelegentlich andere Einzelvorstellungen wachruft, welche in gewisser Hinsicht der der Seele gegenwärtigen Vorstellung gleichen. So stellt man sich, wenn man das Wort Pferd hört, sofort ein schwarzes oder weißes Tier von bestimmter Größe und Gestalt vor. Da indes das Wort auch für Tiere von anderer Farbe, Größe und Gestalt gebraucht wird, so sind diese der Seele nicht gegenwärtigen Vorstellungen leicht herbeizurufen; unser Denken und Schließen geht dann ebenso vorwärts, als wenn sie wirklich gegenwärtig wären. Räumt man dies ein (denn es scheint begründet), so folgt, dass alle Vorstellungen von Größen, deren sich die Mathematiker bedienen, nur Einzelvorstellungen sind, welche die Sinne oder die Einbildungskraft darbieten, und die deshalb nicht ohne Ende teilbar sein können.

Diese Andeutung wird vorläufig genügen; ich will sie hier nicht weiter verfolgen. Alle Freunde der Wissenschaft sind dabei interessiert, dass sie mit ihren Schlüssen nicht dem Unwissenden zum Gelächter und Spotte werden, und diese Andeutung scheint die leichteste Lösung der Schwierigkeiten zu bieten.

 


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