2. Schüler des Parmenides


Eher als des Eingängers Heraklit konnte des Parmenides Philosophie eine Schule bilden. Ihr Denken in reinen Begriffen forderte geradezu zur dialektischen Durch- und Fortbildung heraus. Diese leistete der eleatischen Lehre vor allem Parmenides' Lieblingsschüler

 

a) Zenon (etwa 490-430),

 

25 Jahre jünger als er. Gegenüber den Angriffen und dem Spott, den die wunderbare Einheitslehre seines Meisters vielfach hervorgerufen hatte, verteidigte er dieselbe mit solchem Scharfsinn, dass er noch von Plato der eleatische »Palamedes« (Tausendkünstler) genannt und von Aristoteles als Erfinder der Dialektik bezeichnet wird. Er suchte den Beweis indirekt zu führen, indem er die entgegengesetzte Annahme des Vielen und der Bewegung als widerspruchsvoll nachzuweisen suchte: das in der Geschichte des griechischen Philosophierens so wichtig gewordene hypothetische Verfahren (Hypothesis = Grundannahme) hat hier seinen Ursprung. Seine im ganzen Altertum, ja bis in die. Neuzeit berühmten aporiai (Verlegenheiten) decken in der Tat den Widerspruch auf, in dem unser Denken notwendig mit der sinnlichen Wahrnehmung in bezug auf die Grundbegriffe der reinen Naturwissenschaft: Bewegung, Zeit, Raum und Größe gerät. Wir erwähnen nur das Wichtigste. Zenon geht von der Voraussetzung der unendlichen Teilbarkeit des Raumes aus. Unter dieser Voraussetzung kann 1. die Bewegung nicht anfangen (jeder Raum enthält wieder einen Raum in sich, jeder Ort liegt wieder an einem Ort); sie kann 2. nicht enden, Achilleus die Schildkröte nicht einholen; denn während er an ihren Standort A gelangt ist, ist sie in B angelangt, ist er dort, ist sie in C usw.; 3. der fliegende Pfeil ruht; denn er ist in jedem Augenblicke nur in demselben Räume, ruht also während der ganzen Zeit seiner scheinbaren Bewegung. - Zenons Beweise lösen die Probleme nicht, ja sie wollen sie vielleicht nicht einmal lösen. Sie haben aber das Verdienst, auf die Schwierigkeiten, die in diesen Problemen liegen, hingewiesen und so die Infinitesimalrechnung vorbereitet zu haben. Daher haben sie auch immer wieder, trotz ihres scheinbaren Widersinns, tiefere, namentlich mathematische Denker beschäftigt, von Aristoteles und Plato bis auf Hegel und Herbart, insbesondere auch die Philosophen des mathematischen Zeitalters: Bayle, Spinoza und Leibniz. Sie haben die Begriffe des Unendlich-Großen und des Unendlich-Kleinen, des Zeitmoments, der Ruhe, des Vorsprungs u. a. zur Erörterung gebracht, wenn auch das Ergebnis vorerst nur ein negatives sein konnte.

 

b) Melissos.

 

Melissos von Samos, der 441 in der Nähe seiner Vaterstadt die Flotte der Athener besiegte, vertrat den Standpunkt der Eleaten mit der Einschränkung bezw. Ergänzung, dass er die zeitliche wie räumliche Unendlichkeit des einen Seienden behauptete, und dass er als Konsequenz derselben die Unmöglichkeit eines leeren Raumes folgert. Ob er zu der Rücksichtnahme auf das letztere Problem durch die später (§ 9) zu behandelnden Atomstiker angeregt war (Zeller) oder sie angeregt hat (Natorp), ist zweifelhaft. Das Eine ist ihm nicht bloß unbewegt, sondern auch völlig gleichartig mit sich selbst, es wird weder größer noch kleiner, es - empfindet weder Lust noch Schmerz, ist überhaupt unkörperlich. Die sinnliche Wahrnehmung ist ebendarum trügerisch, weil sie uns statt des einen und dauerhaften Seins eine Vielheit veränderlicher Dinge vorspiegelt.

Beide, Heraklit und die Eleaten, sind großartig in ihrer Einseitigkeit, und die Einseitigkeit beider ist fruchtbar gewesen, von ihrer Zeit an bis zur Gegenwart. In Heraklits Werden keimt nicht nur der sophistische Zweifel an allem Bestehenden, sondern auch alles entwicklungsgeschichtliche Denken, während die Eleaten in ihrem Sein den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht gesucht haben und so die Urheber des Gedankens der Gesetzlichkeit geworden sind. Beider Denken haftet freilich noch am Kosmos, der sinnlich wahrnehmbaren Welt der Wirklichkeit.

Der weitere Fortgang des philosophischen Denkens ist nun der, dass die jüngeren Naturphilosophen des 5. Jahrhunderts, insbesondere Anaxagoras und Empedokles, eine Vermittlung zwischen dem eleatischen Sein und dem heraklitischen Werden anstreben, wie sie anderseits eine ebensolche zwischen der älteren Naturphilosophie und den Anfängen des Atomismus darstellen.


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