b. Die komische Behandlung der Zufälligkeit


Was wir somit überhaupt, besonders auf dem Gebiete des Weltlichen, im Rittertum und in jenem Formalismus der Charaktere, vor uns haben, ist mehr oder weniger die Zufälligkeit sowohl der Umstände, innerhalb welcher gehandelt wird, als auch des wollenden Gemüts. Denn jene einseitigen individuellen Figuren können das ganz Zufällige zu ihrem Inhalt nehmen, das nur durch die Energie ihres Charakters getragen und unter von außen her bedingten Kollisionen durchgeführt wird oder mißlingt. Ebenso ergeht es dem Rittertum, das in der Ehre, Liebe und Treue eine höhere, dem wahrhaft Sittlichen ähnliche Berechtigung in sich enthält. Einerseits wird es durch die Einzelheit der Umstände, auf welche es reagiert, direkt eine Zufälligkeit, indem statt eines allgemeinen Werkes nur partikulare Zwecke zu vollbringen sind und an und für sich seiende Zusammenhänge fehlen; andererseits findet eben damit auch in Ansehung des subjektiven Geistes der Individuen Willkür oder Täuschung in betreff auf Vorhaben, Pläne und Unternehmungen statt. Konsequent durchgeführt, erweist sich deshalb diese ganze Abenteuere! in ihren Handlungen und Begebenheiten wie in deren Erfolg als eine sich in sich selbst auflösende und dadurch komische Welt der Ereignisse und Schicksale.

Diese Auflösung des Rittertums in sich selbst ist sich vornehmlich in Ariost und Cervantes und jener in ihrer Besonderheit individuellen Charaktere in Shakespeare zum Bewußtsein und zur gemäßesten Darstellung gekommen.

α) In Ariosto ergötzen besonders die unendlichen Verwicklungen der Schicksale und Zwecke, die märchenhafte Verschlingung phantastischer Verhältnisse und närrischer Situationen, mit denen der Dichter bis zur Leichtfertigkeit hin abenteuerlich spielt. Es ist lauter blanke Torheit und Tollheit, mit der es den Helden Ernst sein soll. Hauptsächlich ist die Liebe von der göttlichen Liebe des Dante, von der phantastischen Zärtlichkeit des Petrarca häufig zu sinnlichobszönen Geschichten und lächerlichen Kollisionen heruntergesunken, während die Heldenschaft und Tapferkeit bis zu einer Spitze heraufgeschraubt erscheint, auf welcher sie nicht mehr zu einem gläubigen Erstaunen, sondern nur zu einem Lächeln über die Fabelhaftigkeit der Taten erregt. Bei der Gleichgültigkeit aber in Rücksicht auf die Art und Weise, wie die Situationen zustande kommen, wunderbare Verzweigungen und Konflikte herbeiführen, angefangen, abgebrochen, wieder verflochten, durchschnitten und endlich überraschend gelöst werden, sowie bei der komischen Behandlung der Ritterlichkeit weiß dennoch Ariosto das Edle und Große, das in der Ritterschaft, dem Mut, der Liebe, Ehre und Tapferkeit liegt, ganz ebenso zu sichern und herauszuheben, als er andere Leidenschaften, Verschmitztheit, List, Geistesgegenwart und so vieles Sonstige noch treffend zu schildern versteht.

β) Wenn sich nun Ariosto mehr gegen das Märchenhafte der Abenteuerlichkeit hinwendet, so bildet Cervantes dagegen das Romanhafte aus. In seinem Don Quijote ist es eine edle Natur, bei der das Rittertum zur Verrücktheit wird, indem wir die Abenteuerlichkeit desselben mitten in den festen, bestimmten Zustand einer ihren äußeren Verhältnissen nach genau geschilderten Wirklichkeit hineingesetzt finden. Dies gibt den komischen Widerspruch einer verständigen, durch sich selbst geordneten Welt und eines isolierten Gemütes, das sich diese Ordnung und Festigkeit erst durch sich und das Rittertum, durch das sie nur umgestürzt werden könnte, erschaffen will. Dieser komischen Verirrung zum Trotz ist aber im Don Quijote ganz das erhalten, was wir vorhin bei Shakespeare rühmten. Auch Cervantes hat seinen Helden zu einer ursprünglich edlen, mit vielseitigen Geistesgaben ausgestatteten Natur gemacht, die uns immer zugleich wahrhaft interessiert. Don Quijote ist ein in der Verrücktheit seiner selbst und seiner Sache vollkommen sicheres Gemüt, oder vielmehr ist nur dies die Verrücktheit, daß er seiner und seiner Sache so sicher ist und bleibt. Ohne diese reflexionslose Ruhe in Rücksicht auf den Inhalt und Erfolg seiner Handlungen wäre er nicht echt romantisch, und diese Selbstgewißheit, in Ansehung des Substantiellen seiner Gesinnung, ist durchaus groß und genial mit den schönsten Charakterzügen geschmückt. Ebenso ist das ganze Werk einerseits eine Verspottung des romantischen Rittertums, durch und durch eine wahrhafte Ironie, während bei Ariosto die Abenteuerlichkeit gleichsam nur ein leichtfertiger Spaß bleibt; andererseits aber werden die Begebenheiten Don Quijotes nur der Faden, auf dem sich aufs lieblichste eine Reihe echt romantischer Novellen hinschlingt, um das in seinem wahren Wert erhalten zu zeigen, was der übrige Teil des Romans komisch auflöst.

γ) Ähnlich wie wir hier das Rittertum, selbst in seinen wichtigsten Interessen, zur Komik umschlagen sehen, stellt nun auch Shakespeare entweder neben seine festen individuellen Charaktere und tragischen Situationen und Konflikte komische Figuren und Szenen oder hebt jene Charaktere durch einen tiefen Humor über sich selbst und ihre schroffen, beschränkten und falschen Zwecke hinaus. Falstaff z. B., der Narr im Lear, die Musikantenszene in Romeo und Julia sind von der ersten, Richard III. von der zweiten Art.


 © textlog.de 2004 • 14.12.2024 13:33:41 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright