a. Die Parabel


Die Parabel hat mit der Fabel die allgemeine Verwandtschaft, daß sie Begebenheiten aus dem Kreise des gewöhnlichen Lebens aufnimmt, denen sie aber eine höhere und allgemeinere Bedeutung mit dem Zwecke unterlegt, diese Bedeutung durch jenen, für sich betrachtet, alltäglichen Vorfall verständlich und anschaulich zu machen.

Zugleich aber unterscheidet sie sich von der Fabel dadurch, daß sie dergleichen Vorfallenheiten nicht in der Natur und Tierwelt, sondern in dem menschlichen Tun und Treiben, wie es jedem als bekannt vor Augen steht, aufsucht und den erwählten einzelnen Fall, der seiner Partikularität nach zunächst geringfügig erscheint, zu einem allgemeineren Interesse durch Hindeutung auf eine höhere Bedeutung erweitert.

Hierdurch nun kann sich in betreff auf den Inhalt der Umfang und die gehaltreiche Wichtigkeit der Bedeutungen vergrößern und vertiefen, während in Rücksicht auf die Form die Subjektivität des absichtlichen Vergleichens und Herauskehrens der allgemeinen Lehre gleichfalls in einem höheren Grade zum Vorschein zu kommen anfängt.

Als eine Parabel, noch mit einem ganz praktischen Zweck verbunden, kann man die Art und Weise ansehen, welche Kyros (Herodot, l, 126) anwandte, um die Perser zum Abfall zu bewegen. Er schreibt den Persern, sie sollten sich, mit Sicheln versehen, an einen bestimmten Ort verfügen. Dort läßt er sie an dem ersten Tage ein dornenbewachsenes Feld mit saurer Arbeit urbar machen. Am anderen Tage aber, nachdem sie geruht und sich gebadet, führt er sie auf eine Wiese und bewirtet sie reichlich mit Fleisch und Wein. Dann, als sie vom Gastmahl sich erhoben hatten, fragt er sie, welcher Tag ihnen erfreulicher sei, der gestrige oder der heutige. Alle stimmten für den gegenwärtigen, der ihnen nur Gutes gebracht hätte, während der kaum verflossene ein Tag der Mühe und Anstrengung gewesen wäre. Da rief Kyros aus: »Wollt ihr mir folgen, so vervielfältigen sich die guten Tage, die dem heutigen ähnlich sind; wollt ihr mir aber nicht folgen, so warten eurer unzählige Arbeiten, welche den gestrigen gleichen.«

Von verwandter Art, jedoch ihren Bedeutungen nach vom tiefsten Interesse und der weitesten Allgemeinheit sind die Parabeln, die wir im Evangelium finden. Die Parabel vom Sämann z. B., eine Erzählung, für sich von geringfügigem Gehalt und wichtig nur durch die Vergleichung mit der Lehre vom Himmelreich. Die Bedeutung in diesen Parabeln ist durchweg eine religiöse Lehre, zu der sich die menschlichen Vorfallenheiten, in denen sie vorgestellt ist, etwa verhalten wie in der Äsopischen Fabel das Tierische zu dem Menschlichen, das dessen Sinn ausmacht.

Von der gleichen Weite des Inhalts ist die bekannte Geschichte des Boccaccio, welche Lessing im Nathan zu seiner Parabel von den drei Ringen benutzt. Die Erzählung ist auch hier, selbständig genommen, ganz gewöhnlich, wird aber auf den weitesten Gehalt, den Unterschied und die Echtheit der drei Religionen - der jüdischen, mohammedanischen und christlichen - gedeutet. Ebendasselbe ist auch, um an neueste Erscheinungen dieser Sphäre zu erinnern, in Goetheschen Parabeln der Fall. In der »Katzenpastete« z. B., wo ein braver Koch, um sich auch als Jäger zu gerieren, auszog, aber einen Kater statt eines Hasen schoß, welchen er dennoch mit viel künstlicher Würze den Leuten vorsetzte - was auf Newton gehen soll -, ist die dem Mathematiker verunglückte Wissenschaft der Physik wenigstens immer noch ein Höheres als eine vom Koch vergeblich zum Hasen verpastetete Katze. - Diese Parabeln Goethes haben wie das, was er in der Art der Fabel gedichtet hat, häufig einen spaßhaften Ton, durch welchen er sich das im Leben Verdrießliche von der Seele losschrieb.


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