3. Das menschliche Individuum


Diese Anerkennung der Nichtigkeit der Dinge und das Erheben und Loben Gottes ist es, worin auf dieser Stufe das menschliche Individuum seine eigene Ehre, seinen Trost und seine Befriedigung sucht.

a) In dieser Beziehung liefern uns die Psalmen klassische Beispiele der echten Erhabenheit, allen Zeiten als ein Muster hingestellt, in welchem das, was der Mensch in seiner religiösen Vorstellung von Gott vor sich hat, glänzend mit kräftigster Erhebung der Seele ausgedrückt ist. Nichts in der Welt darf auf Selbständigkeit Anspruch machen, denn alles ist und besteht nur durch Gottes Macht und ist nur da, um zum Preise dieser Macht zu dienen sowie zum Aussprechen der eigenen substanzlosen Nichtigkeit. Wenn wir daher in der Phantasie der Substantialität und ihrem Pantheismus eine unendliche Ausweitung fanden, so haben wir hier die Kraft der Erhebung des Gemüts zu bewundern, die alles fallenläßt, um die alleinige Macht Gottes zu verkündigen. Besonders ist in dieser Rücksicht der 104. Psalm von großartiger Gewalt. »Licht ist dein Kleid, das du anhast; du breitest aus den Himmel wie einen Teppich« usf. - Licht, Himmel, Wolken, die Fittiche des Windes hier nichts an und für sich, sondern nur ein äußeres Gewand, ein Wagen oder Bote zu Gottes Dienst. Weiter dann wird Gottes Weisheit gepriesen, die alles geordnet hat: die Brunnen, die in den Gründen quellen, die Wasser, die zwischen den Bergen hinfließen, an denen die Vögel des Himmels sitzen und singen unter den Zweigen; das Gras, der Wein, der des Menschen Herz erfreut, und die Zedern Libanons, die der Herr gepflanzt hat; das Meer, darinnen es wimmelt ohne Zahl und Walfische sind, die der Herr gemacht hat, daß sie drinnen scherzen. - Und was Gott erschaffen hat, erhält er auch, aber - „Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie, du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub.« Die Nichtigkeit des Menschen spricht ausdrücklicher der 90. Psalm, ein Gebet Mose, des Mannes Gottes, aus, wenn es z. B. heißt: »Du lassest sie dahinfahren wie einen Strom, und sind wie ein Schlaf, gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird ... und des Abends abgehauen wird und verdorrt. Das macht dein Zorn, daß wir so vergehen, und dein Grimm, daß wir so plötzlich dahin müssen.«

b) Mit der Erhabenheit ist deshalb von selten des Menschen zugleich das Gefühl der eigenen Endlichkeit und des unübersteiglichen Abstandes von Gott verbunden.

α) Die Vorstellung der Unsterblichkeit kommt daher ursprünglich in dieser Sphäre nicht vor, denn diese Vorstellung enthält die Voraussetzung, daß das individuelle Selbst, die Seele, der menschliche Geist ein Anundfürsichseiendes sei. In der Erhabenheit wird nur der Eine als unvergänglich und ihm gegenüber alles andere als entstehend und vorübergehend, nicht aber als frei und unendlich in sich angesehen.

β) Dadurch faßt der Mensch sich ferner in seiner Unwürdigkeit gegen Gott, seine Erhebung geschieht in der Furcht des Herrn, in dem Erzittern vor seinem Zorn, und auf durchdringende, ergreifende Weise finden wir den Schmerz über die Nichtigkeit und in der Klage, dem Leiden, dem Jammer aus der Tiefe der Brust das Schreien der Seele zu Gott geschildert.

γ) Hält sich dagegen das Individuum in seiner Endlichkeit gegen Gott fest, so wird diese gewollte und beabsichtigte Endlichkeit das Böse, das als Übel und Sünde nur dem Natürlichen und Menschlichen angehört, in der einen, in sich unterschiedslosen Substanz aber ebensowenig als der Schmerz und das Negative überhaupt irgendeine Stätte finden kann.

c) Drittens jedoch gewinnt innerhalb dieser Nichtigkeit der Mensch dennoch eine freiere und selbständigere Stellung. Denn auf der einen Seite entsteht bei der substantiellen Ruhe und Festigkeit Gottes in betreff auf seinen Willen und die Gebote desselben für den Menschen das Gesetz, andererseits liegt in der Erhebung zugleich die vollständige, klare Unterscheidung des Menschlichen und Göttlichen, des Endlichen und Absoluten, und damit ist das Urteil über Gutes und Böses und die Entscheidung für das eine oder andere in das Subjekt selbst verlegt. Das Verhältnis zum Absoluten und die Angemessenheit oder Unangemessenheit des Menschen zu demselben hat daher auch eine Seite, welche dem Individuum und seinem eigenen Verhalten und Tun zukommt. Zugleich findet es dadurch in seinem Rechttun und der Befolgung des Gesetzes eine affirmative Beziehung auf Gott und hat überhaupt den äußeren positiven oder negativen Zustand seines Daseins -Wohlergehen, Genuß, Befriedigung oder Schmerz, Unglück, Druck - mit seinem inneren Gehorsam oder seiner Widerspenstigkeit gegen das Gesetz in Zusammenhang zu bringen und als Wohltat und Belohnung sowie als Prüfung und Strafe hinzunehmen.


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