Einleitung
Vom Symbol überhaupt

 

b) In Ansehung dieser Unsicherheit nun handelt es sich nicht etwa bloß um beschränkte Fälle, in denen sie uns begegnet, sondern um ganz ausgedehnte Kunstgebiete, um den Inhalt eines ungeheuren Stoffes, der vor uns liegt: um den Inhalt fast der gesamten morgenländischen Kunst. In der Welt der altpersischen, indischen, ägyptischen Gestalten und Gebilde ist uns deshalb, wenn wir zunächst hineintreten, nicht recht geheuer; wir fühlen, daß wir unter Aufgaben wandeln; für sich allein sagen uns diese Gebilde nicht zu und vergnügen und befriedigen nicht nach ihrer unmittelbaren Anschauung, sondern fordern uns durch sich selber auf, über sie hinaus zu ihrer Bedeutung fortzugehen, welche noch etwas Weiteres, Tieferes als diese Bilder sei. Anderen Produktionen hingegen sieht man es auf den ersten Blick an, daß sie, wie Kindermärchen z. B., ein bloßes Spiel mit Bildern und zufälligen seltsamen Verknüpfungen sein sollen. Denn Kinder begnügen sich mit solcher Oberflächlichkeit von Bildern und deren geistlosem, müßigem Spiel und taumelnder Zusammenstellung. Die Völker aber, wenn auch in ihrer Kindheit, forderten einen wesentlicheren Gehalt, und diesen finden wir in der Tat auch in den Kunstgestalten der Inder und Ägypter, obschon in den rätselhaften Gebilden derselben die Erklärung nur angedeutet und dem Erraten große Schwierigkeit in den Weg gelegt ist. Wieviel nun aber, bei solcher Unangemessenheit von Bedeutung und unmittelbarem Kunstausdruck, der Dürftigkeit der Kunst, der Unreinheit und Ideenlosigkeit der Phantasie selbst zuzuschreiben, wie vieles dagegen so beschaffen sei, weil die reinere, richtigere Gestaltung für sich nicht fähig wäre, die tiefere Bedeutung auszudrücken, und das Phantastische und Groteske eben vielmehr zum Behufe einer weiterreichenden Vorstellung gemacht worden sei - dies ist es eben, was zunächst in sehr weitem Umfange als zweifelhaft erscheinen kann.

Selbst bei dem klassischen Kunstgebiete tritt noch hin und wieder eine ähnliche Ungewißheit ein, obschon das Klassische der Kunst darin besteht, seiner Natur nach nicht symbolisch, sondern in sich selber durchweg deutlich und klar zu sein. Klar nämlich ist das klassische Ideal dadurch, daß es den wahren Inhalt der Kunst, d. i. die substantielle Subjektivität erfaßt und damit eben auch die wahre Gestalt findet, die an sich selbst nichts anderes ausspricht als jenen echten Inhalt, so daß also der Sinn, die Bedeutung keine andere ist als diejenige, welche in der äußeren Gestalt wirklich liegt, indem sich beide Seiten vollendet entsprechen; während im Symbolischen, im Gleichnis usf. das Bild immer noch etwas anderes vorstellt als nur die Bedeutung, für welche es das Bild abgibt. Aber auch die klassische Kunst hat noch eine Seite der Zweideutigkeit, indem es bei den mythologischen Gebilden der Alten zweifelhaft erscheinen kann, ob wir bei den Außengestalten als solchen stehenbleiben und sie nur als ein anmutreiches Spiel einer glücklichen Phantasie bewundern sollen, weil ja die Mythologie nur überhaupt ein müßiges Erfinden von Fabeln sei, oder ob wir noch nach einer weiteren tieferen Bedeutung zu fragen haben. Diese letztere Forderung kann hauptsächlich da bedenklich machen, wo der Inhalt jener Fabeln das Leben und Wirken des Göttlichen selbst betrifft, indem die Geschichten, die uns berichtet werden, sodann als des Absoluten schlechthin unwürdig und als bloß inadäquate, abgeschmackte Erfindung anzusehen wären. Wenn wir z. B. von den zwölf Arbeiten des Herkules lesen oder gar hören, daß Zeus den Hephaistos vom Olymp auf die Insel Lemnos herabgeworfen habe, so daß Vulkan hiervon sei hinkend geworden, so glauben wir nichts als ein märchenhaftes Bild der Phantasie zu vernehmen. Ebenso können uns die vielen Liebschaften des Jupiter als bloß willkürlich ersonnen erscheinen. Umgekehrt aber, weil solche Geschichten gerade von der obersten Gottheit erzählt werden, wird es ebensosehr wieder glaublich, daß noch eine andere, weitere Bedeutung, als sie die Mythe unmittelbar gibt, darunter verborgen liege.

In dieser Beziehung haben sich deshalb besonders zwei entgegengesetzte Vorstellungen geltend gemacht. Die eine nimmt die Mythologie als bloß äußerliche Geschichten, welche mit Gott verglichen unwürdig wären, wenn sie auch für sich betrachtet zierlich, lieblich, interessant, ja selbst von großer Schönheit sein könnten, aber zu weiterer Erklärung tieferer Bedeutungen keinen Anlaß geben dürften. Die Mythologie sei deshalb bloß historisch - nach der Gestalt, in welcher sie vorhanden ist -zu betrachten, indem sie sich einerseits von ihrer künstlerischen Seite her, in ihren Gestaltungen, Bildern, Göttern und deren Handlungen und Begebenheiten, für sich als hinreichend zeige, ja in sich selber schon durch das Herausheben von Bedeutungen die Erklärung abgebe, andererseits ihrer historischen Entstehung nach sich aus Lokalanfängen sowie aus der Willkür der Priester, Künstler und Dichter, aus historischen Begebenheiten, fremden Märchen und Traditionen hervorgebildet habe. Die andere Ansicht dagegen will sich nicht mit dem bloß Äußeren der mythologischen Gestalten und Erzählungen begnügen, sondern dringt darauf, daß ihnen ein allgemeiner tiefer Sinn einwohne, den in seiner Verhüllung dennoch zu erkennen das eigentliche Geschäft der Mythologie als wissenschaftliche Betrachtung der Mythen sei. Die Mythologie müsse deshalb symbolisch gefaßt werden. Denn symbolisch heißt hier nur, daß die Mythen, als aus dem Geiste erzeugt - wie bizarr, scherzhaft, grotesk usf. sie auch aussehen können, wie vieles auch von zufälligen äußerlichen Willkürlichkeiten der Phantasie eingemischt sein möge -, dennoch Bedeutungen, d. h. allgemeine Gedanken über die Natur Gottes, Philosopheme in sich fassen.

In diesem Sinne hat besonderes Creuzer in neuerer Zeit wieder angefangen, in seiner Symbolik*) die mythologischen Vorstellungen der alten Völker nicht in der gewöhnlichen Manier äußerlich und prosaisch oder nach ihrem künstlerischen Werte durchzunehmen, sondern er hat darin eine innere Vernünftigkeit der Bedeutungen gesucht. Er ließ sich dabei von der Voraussetzung leiten, daß die   Mythen und sagenhaften Geschichten aus dem menschlichen Geiste ihren Ursprung gewonnen haben, der zwar mit seinen Vorstellungen von den Göttern zu spielen vermag, aber mit dem Interesse der Religion ein höheres Bereich betritt, in welchem die Vernunft die Gestaltenerfinderin wird, wenn sie auch mit dem Mangel behaftet bleibt, zunächst ihr Inneres noch nicht in adäquater Weise exponieren zu können. Diese Annahme ist wahr an und für sich: die Religion findet ihre Quelle in dem Geist, der seine Wahrheit sucht, sie ahnt und sich dieselbe in irgendeiner Gestalt, welche mit diesem Gehalt der Wahrheit engere oder weitere Verwandtschaft hat, zum Bewußtsein bringt. Wenn aber die Vernünftigkeit die Gestalten erfindet, dann entsteht auch das Bedürfnis, die Vernünftigkeit zu erkennen. Diese Erkenntnis allein ist des Menschen wahrhaft würdig. Wer sie beiseite läßt, erhält nichts als eine Masse äußerer Kenntnisse. Graben wir dagegen nach der inneren Wahrheit der mythologischen Vorstellungen, so können wir, ohne dabei die andere Seite, die Zufälligkeit nämlich und Willkür der Einbildungskraft, die Lokalität usf., von der Hand zu weisen, die verschiedenen Mythologien rechtfertigen. Den Menschen aber in seinem geistigen Bilden und Gestalten zu rechtfertigen, ist ein edles Geschäft, edler als das bloße Sammeln historischer Äußerlichkeiten. Nun ist man zwar über Creuzer mit dem Vorwurfe hergefallen, daß er nach dem Vorgange der Neuplatoniker dergleichen weitere Bedeutungen nur erst in die Mythen hineinerkläre und in ihnen Gedanken suche, von denen es nicht nur nicht historisch begründet sei, daß sie wirklich darin lägen, sondern von denen sich sogar historisch erweisen lasse, daß man sie, um sie zu finden, erst hineintragen müßte. Denn das Volk, die Dichter und Priester - obschon man nach der anderen Seite wieder viel von großer geheimer Weisheit der Priester spricht - hätten nichts von solchen Gedanken gewußt, welche der ganzen Bildung ihrer Zeit unangemessen gewesen wären. Mit diesem letzteren Punkt hat es allerdings seine volle Richtigkeit. Die Völker, Dichter, Priester haben in der Tat die allgemeinen Gedanken, welche ihren mythologischen Vorstellungen zugrunde liegen, nicht in dieser Form der Allgemeinheit vor sich gehabt, so daß sie dieselben absichtlich erst in die symbolische Gestalt eingehüllt hätten. Dies wird aber auch von Creuzer nicht behauptet. Wenn sich jedoch die Alten das nicht bei ihrer Mythologie dachten, was wir jetzt darin sehen, so folgt daraus noch in keiner Weise, daß ihre Vorstellungen nicht dennoch an sich Symbole sind und deshalb so genommen werden müssen, indem die Völker zu der Zeit, als sie ihre Mythen dichteten, in selbst poetischen Zuständen lebten und deshalb ihr Innerstes und Tiefstes sich nicht in Form des Gedankens, sondern in Gestalten der Phantasie zum Bewußtsein brachten, ohne die allgemeinen abstrakten Vorstellungen von den konkreten Bildern zu trennen. Daß dies wirklich der Fall sei, haben wir hier wesentlich festzuhalten und anzunehmen, wenn es auch als möglich einzugestehen ist, daß sich bei solcher symbolischen Erklärungsweise häufig bloß künstliche, witzige Kombinationen wie beim Etymologisieren ein-schleichen können.

c) Wie sehr wir nun aber der Ansicht beipflichten mögen, daß die Mythologie mit ihren Göttergeschichten und weitläufigen Gebilden einer fort und fort dichtenden Phantasie einen vernünftigen Gehalt und tiefe religiöse Vorstellungen in sich schließe, so fragt es sich dennoch in betreff der symbolischen Kunstform, ob denn alle Mythologie und Kunst symbolisch zu fassen sei; wie Friedrich von Schlegel z. B. behauptete, daß in jeder Kunstdarstellung eine Allegorie zu suchen sei. Das Symbolische oder Allegorische wird dann so verstanden, daß jedem Kunstwerke und jeder mythologischen Gestalt ein allgemeiner Gedanke zur Basis diene, der dann für sich, in seiner Allgemeinheit hervorgehoben, die Erklärung dessen abgeben soll, was solch ein Werk, solche Vorstellung eigentlich bedeute. Diese Behandlungsweise ist gleichfalls in neuerer Zeit sehr gewöhnlich geworden. So hat man in neueren Ausgaben des Dante z. B., bei dem allerdings vielfache Allegorien vorkommen, jeden Gesang durchweg allegorisch erklären wollen, und auch die Heyneschen**) Ausgaben alter Dichter suchen in den Anmerkungen den allgemeinen Sinn jeder Metapher in abstrakten Verstandesbestimmungen klarzumachen. Denn besonders der Verstand eilt schnell zum Symbol und zur Allegorie, indem er Bild und Bedeutung trennt und dadurch die Kunstform zerstört, um welche es bei dieser symbolischen Erklärung, welche nur das Allgemeine als solches herausziehen will, nicht zu tun ist.

Solche Ausdehnung des Symbolischen auf alle Gebiete der Mythologie und Kunst ist keineswegs dasjenige, was wir hier bei der Betrachtung der symbolischen Kunstform vor Augen haben. Denn unser Bemühen geht nicht darauf, auszumitteln, inwiefern Kunstgestalten in diesem Sinne des Worts symbolisch oder allegorisch könnten gedeutet werden, sondern wir haben umgekehrt zu fragen, inwiefern das Symbolische selbst zur Kunstform zu rechnen sei. Wir wollen das Kunstverhältnis der Bedeutung zu ihrer Gestalt, insoweit dasselbe symbolisch im Unterschiede anderer Darstellungsweisen, vornehmlich der klassischen und romantischen ist, feststellen. Unsere Aufgabe muß deshalb darin bestehen, statt jener Verbreitung des Symbolischen über das gesamte Kunstgebiet  umgekehrt den Kreis dessen, was an sich selbst als eigentliches Symbol dargestellt und deshalb als symbolisch zu betrachten ist, ausdrücklich zu beschränken. In diesem Sinne ist bereits oben die Einteilung des Kunstideals in die Form des Symbolischen, Klassischen und Romantischen angegeben.

Das Symbolische in unserer Bedeutung des Worts nämlich hört da sogleich auf, wo statt unbestimmt allgemeiner, abstrakter Vorstellungen die freie Individualität den Gehalt und die Form der Darstellung ausmacht. Denn das Subjekt ist das Bedeutende für sich selbst und das sich selbst Erklärende. Was es empfindet, sinnt, tut, vollbringt, seine Eigenschaften, Handlungen, sein Charakter ist es selbst, und der ganze Kreis seines geistigen und sinnlichen Erscheinens hat keine andere Bedeutung als das Subjekt, das in dieser Ausbreitung und Entfaltung seiner nur sich selbst als Herrscher über seine gesamte Objektivität zur Anschauung bringt. Bedeutung und sinnliche Darstellung, Inneres und Äußeres, Sache und Bild sind dann nicht mehr voneinander unterschieden und geben sich nicht wie im eigentlich Symbolischen als bloß verwandt, sondern als ein Ganzes, in welchem die Erscheinung kein anderes Wesen, das Wesen keine andere Erscheinung mehr außer sich oder neben sich hat. Manifestierendes und Manifestiertes ist zu konkreter Einheit aufgehoben. In diesem Sinne sind die griechischen Götter, insoweit die griechische Kunst sie als freie, in sich selbständig beschlossene Individuen hinstellt, nicht symbolisch zu nehmen, sondern genügen für sich selbst. Die Handlungen des Zeus, des Apollo, der Athene gehören gerade für die Kunst nur diesen Individuen an und sollen nichts als deren Macht und Leidenschaft darstellen. Wird nun von solchen in sich freien Subjekten ein allgemeiner Begriff als deren Bedeutung abstrahiert und neben das Besondere als Erklärung der ganzen individuellen Erscheinung gestellt, so ist das unberücksichtigt gelassen und zerstört, was an diesen Gestalten das Kunstgemäße ist. Deshalb haben sich auch die Künstler mit solcher symbolischen Deutungsweise aller Kunstwerke und deren mythologischer Figuren nicht befreunden können. Denn was noch etwa als wirklich symbolische Andeutung oder als Allegorie bei der eben erwähnten Art der Kunstdarstellung übrigbleibt, betrifft Nebensachen und ist dann auch ausdrücklich zu einem bloßen Attribut und Zeichen herabgesetzt, wie z. B. der Adler neben Zeus steht und der Ochs den Evangelisten Lukas begleitet, während die Ägypter in dem Apis die Anschauung des Göttlichen selber hatten.

Der schwierige Punkt bei dieser kunstgemäßen Erscheinung der freien Subjektivität liegt nun aber darin, zu unterscheiden, ob das, was als Subjekt vorgestellt ist, auch wirkliche Individualität und Subjektivität hat oder nur den leeren Schein derselben als bloße Personifikation an sich trägt. In diesem letzteren Falle ist die Persönlichkeit nichts als eine oberflächliche Form, die in besonderen Handlungen und der leiblichen Gestalt nicht ihr eigenes Inneres ausdrückt und somit die gesamte Äußerlichkeit ihrer Erscheinung nicht als die ihrige durchdringt, sondern für die äußere Realität als deren Bedeutung noch ein anderes Inneres hat, das nicht diese Persönlichkeit und Subjektivität selber ist.

Dies macht den Hauptgesichtspunkt in betreff auf die Abgrenzung der symbolischen Kunst aus.

Unser Interesse nun also geht bei der Betrachtung des Symbolischen darauf, den inneren Entstehungsgang der Kunst, insoweit derselbe sich aus dem Begriff des sich zur wahren Kunst hin entwickelnden Ideals herleiten läßt, und somit die Stufenfolge des Symbolischen als die Stufen zur wahrhaften Kunst zu erkennen. In wie engem Zusammenhange nun auch Religion und Kunst stehen mögen, so haben wir dennoch nicht die Symbole selbst und die Religion als Umfang der im weiteren Sinne des Worts symbolischen oder sinnbildlichen Vorstellungen durchzunehmen, sondern das allein an ihnen zu betrachten, wonach sie der Kunst als solcher angehören. Die religiöse Seite müssen wir der Geschichte der Mythologie überlassen.

 

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*) Friedrich Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen, 4 Bde., 1810-12

**) Christian Gottlob Heyne, 1729-1812, klassischer Philologe

 


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