5. Kapitel
Liebenberg unter den Eulenburgs von 1867 bis jetzt
Am 27. Februar 1867 war Karl von Hertefeld gestorben und in Gemäßheit einer vorher festgesetzten Erb- oder Sukzessionsordnung folgten im Besitze von Liebenberg die Eulenburgs. In dieser Sukzessionsordnung aber hieß es: »Das von mir unterm 3. November 1866 gestiftete Fideicommiß fällt zunächst an meine Großnichte Alexandrine Freiin von Rothkirch, seit 1848 vermählt mit dem Grafen Philipp zu Eulenburg, zur Zeit (1866) Major im 3.Ulanen-Regiment zu Potsdam. Danach aber an den ältesten Sohn dieser Ehe, den Grafen Philipp zu Eulenburg den jüngeren, geboren 1847, zur Zeit Lieutnant im Regiment Garde du Corps. Da mein Geschlecht und Name mit meinem Ableben erlischt, so stelle ich anheim, ob die Besitzer dieses von mir gestifteten Fideicommisses ihrem eigenen Namen den Namen Hertefeld beifügen wollen oder nicht.«
Friedrich Leopold von Hertefeld
Alexandrine von H., geb. 1774; verm. m. Graf Dankelmann 1792. | Karl v H., geb. 1794 (Letzter Hertefeld) |
Luise, Komtesse Dankelmann, geb. 1801;
verm. m. Baron Rothkirch 1821.
Elise von R., geb. 1822;
Alexandrine von R., geb. 1824;
Klara von R., geb. 1828;
Antoinette von R., geb. 1830.
Diese vier Baronessen Rothkirch waren also Enkelinnen von Alexandrine von Hertefeld (geb. 1774) und Großnichten von Karl von Hertefeld, dem »letzten Hertefeld«. An sie kam das Erbe, und zwar an die zweite Schwester Alexandrine, vermählt mit Philipp Graf Eulenburg. Auch die drei andern Schwestern vermählten sich: Elise mit dem österreichischen Baron Diller, Adjutanten des Feldmarschalls Heß, Klara mit dem Baron von Esebeck, Major im Garde- Füsilierregiment, und Antoinette mit dem Grafen von Montault zu Paris. Alle drei sind jetzt verwitwet.
Es war hiernach Liebenberg, als Frauenerbe, an die bis dahin ausschließlich in Ostpreußen begüterte Familie der Eulenburgs übergegangen.
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Die Eulenburgs, ein uraltes meißnisches Geschlecht, das sich nach der jetzigen Stadt Eilenburg an der Mulde (zwei Meilen von Leipzig) die »Ileburgs« nannte, leitet seinen Ursprung von den Wettiner Burggrafen ab. Otto von Ileburg, gest. 1234, Herr und Vogt der Herrschaft Eilenburg, auch im Saalkreise begütert, war, nach alter, inzwischen historisch bestätigter Tradition des Hauses, ein Enkel des Burggrafen Ulrich von Wettin. Etwa hundertundfünfzig Jahre nach dem Tode jenes Otto von Ileburg hatte das Geschlecht den Höhepunkt seiner Macht und seines Besitzes erreicht, welcher letztere 250 Rittergüter und mehr als 20 Städte, meist in Lausitz und Sachsen gelegen, umfaßte. Es waren: Eilenburg, Mühlberg, Liebenwerda, Wahrenbrück, Übigau, Dahlen, Strehla, Sonnenwalde, Senftenberg, Kalau, Lübbenau, Forst, Finsterwalde, Drebkau, Lieberose, Muskau, Ruhland, Hoyerswerda, Zossen. Dazu in Böhmen: Elbogen, Klösterle, Bürgstein und Drum.
Um eben diese Zeit war es auch, daß die »Ileburgs« in nähere Beziehungen zum deutschen Orden traten. Einer von ihnen, Botho der Jüngere, focht in der Schlacht bei Tannenberg, 1410, und ward, in Anerkennung seiner dabei geleisteten Dienste, mit dem Gute Sickau, Kreis Schwetz in Westpreußen, belehnt. Aber dieser Besitz war ein bloß vorübergehender. Schon in der zweitfolgenden Generation erlosch der westpreußische Zweig wieder und anstelle desselben trat Wend von Eulenburg, der dem Orden in der Eigenschaft eines Söldnerhauptmanns gedient, als nunmehriger Stammvater aller ostpreußischen Linien. Es sind dies zur Zeit drei: die Gallingensche, die Leunenburg-Prassensche und die Wickensche Linie, von denen die Gallingensche die älteste, die Leunenburg- Prassensche die begütertste ist. Ein vierter Zweig ist neuerdings (1867), eben durch Antritt des großen Hertefeldschen Erbes, in unsere Mark verpflanzt worden und repräsentiert seitdem eine neue, brandenburgische Linie des alten ostpreußischen Hauses.
Ein Blick auf die Geschichte dieses Hauses erweist auf jeder Seite die hohen Ehren, in denen es durch alle Jahrhunderte hin stand, und doch blieb es ihm mit Ausnahme zweier Fälle42 versagt, seinen Namen, über die heimatliche Provinz hinaus, in die Gesamtgeschichte Brandenburg-Preußens epochemachend eintragen zu können. Erst die neueste Zeit schuf hierin einen Wandel, aber nun auch in so glänzender Weise, daß wir bis auf das Siebengestirn der Dankelmanns oder doch wenigstens bis auf das modernere Dreigestirn der Manteuffels zurückgehen müssen, um einem ähnlichen plötzlichen Aufleuchten zu begegnen.
Unter den zwölf oder dreizehn Eulenburgs43, die den gegenwärtigen Familienstand ausmachen, befinden sich oder befanden sich bis ganz vor kurzem: zwei Minister, ein Landtagsmarschall und Regierungspräsident, ein Hofmarschall und Vizezeremonienmeister, ein Stiftshauptmann und ein Pariser Gesandschaftssekretär. Einer (gestorben 1875) war mit Gräfin Marie von Bismarck verlobt und ein anderer Adjutant beim Prinzen Albrecht von Preußen. Es wird sich in kaum einem anderen Hause, für den Augenblick wenigstens, ein gleiches »in Front stehen« erkennen lassen.
Aus der Reihe dieser ihrem Amt und Titel nach aufgeführten Eulenburgs ist es ausschließlich der Stiftshauptmann Graf Philipp Eulenburg, auf den ich hier, als auf den Erben und Inhaber der Hertefeldschen Güter (Liebenberg usw.), des Näheren einzugehen habe.
Graf Philipp zu Eulenburg
Oberstleutnant a. D., Stiftshauptmann zu Zehdenick
Graf Philipp zu Eulenburg wurde den 25. April 1820 in Königsberg in Preußen geboren und trat im Dezember 1838 in das 3. (Ostpreußische) Kürassierregiment, die späteren Wrangel-Kürassiere. Das Avancement ging nicht rasch und erst 1851, nach beinahe dreizehnjährigem Dienst, ward er Premierleutnant und Adjutant der 1. Kavalleriebrigade. Vier Jahre später (1855) erbat ihn sich General von Wrangel ebenfalls als Adjutanten, welchen General er nun auf allen Inspizierungen in der Mark, sowie bei den großen Kavalleriemanövern begleitete. 1860 schied er aus dieser Stellung und wurde bald danach Rittmeister und Eskadronchef im 3. Gardeulanenregiment. 1864, bei Beginn des Krieges gegen Dänemark, berief ihn Wrangel ins Hauptquartier, in welchem er nunmehr als Adjutant der Kavallerie fungierte. Wie bei den voraufgehenden Gefechten, so war Graf Eulenburg auch mit vor Düppel, und hatte (worin er einem speziellen Befehle des Generalfeldmarschalls Folge leistete) den Sturm auf Schanze IV in der westfälischen Sturmkolonne des Obersten von Buddenbrock mitzumachen. Im folgenden Jahre zum Major aufgerückt, nahm er 1866 an dem Kriege gegen Österreich teil, war mit bei Königgrätz, und schied bald danach als Oberstleutnant aus dem Dienst, um die Bewirtschaftung der ihm, wie mehrfach erwähnt, inzwischen als Frauenerbe zugefallenen Güter zu übernehmen. 1869 zum Rechtsritter des Johanniterordens ernannt, ging er 1870, im Dienste dieses Ordens, bis vor Paris. 1872 Stiftshauptmann von Zehdenick. Schon unmittelbar nach der Düppeler Affäre mit dem Roten Adlerorden mit Schwertern dekoriert, empfing er 1875 den Hohenzollerschen Hausorden und 1876 die Kammerherrnwürde. Er ist, wie schon hervorgehoben, der Begründer einer neuen Linie seines Hauses: der Grafen zu Eulenburg in der Mark.
Im wesentlichen sind diese kurzen Angaben einem vom Geheimen Archivrat von Mülverstedt herausgegebenen Urkunden- und Geschichtsbuche des Hauses Eulenburg entnommen. Ich versuche diesen Angaben einiges Weitere hinzuzufügen, insonderheit aus den Wrangeltagen des Grafen.
Es läßt sich unschwer erkennen, daß Graf Philipp Eulenburg in besonderer Gunst bei Wrangel stand. Aber so gewiß dies einerseits etwas Erfreuliches war, so war es doch andererseits ein gefährlicher und nicht immer beneidenswerter Vorzug. Es scheint nämlich in der Tat, daß der alte Feldmarschall sich vorgesetzt hatte, sein soldatisches Leben auch soldatisch zu beschließen und daß er während der ganzen dänischen Kampagne mit einer Art von Freudigkeit auf eine dänische Kugel wartete. Nichts war ihm daher anheimelnder, als mit seinen Adjutanten und Ordonnanzoffizieren im Schußbereiche des Feindes, am liebsten aber um Schanzen und Festungswerke herumzureiten und auf die Frage nach dem »Warum« entweder elegisch oder sarkastisch zu replizieren. Im elegischen Falle hieß es: »der alte Mann wird tot geschossen«, im sarkastischen: »ei, mein Sohn, wenn du lieber nach Hause reitest, so reite nach Hause«. Doch verlautet nicht, daß er über solche Zwischenfälle jemals ernstlich böse geworden wäre. Sein bon sens war zu groß, als daß er nicht das Berechtigte solcher Vorstellungen erkannt haben sollte.
Noch in demselben Jahre 1864, oder vielleicht auch früher schon, unternahm Wrangel in Begleitung Graf Eulenburgs eine Reise nach Schweden, um die dortige Vetterschaft zu begrüßen und den großen Erinnerungen aus der Zeit des schwedischen Feldmarschalls nachzugehen. Einer seiner ersten Besuche galt denn auch dem ehemaligen Wrangelschlosse Skokloster am Mälarsee. Die zeitige Besitzerin, eine alte Gräfin Brahe, machte die Honneurs des Hauses und übernahm selbst die Führung ihres berühmten Gastes. Überall, in allen Bilder- und Waffenkammern, waren die Schätze gesammelt und aufgetürmt, die der Wrangel »vom blauen Regimente Südermannland« seiner Zeit in Deutschland hatte mitgehen heißen, und immer wenn die alte Brahe sagte: »Sehen, Herr Graf, ein wie schönes Tableau« replizierte der alte Wrangel: »Wissen, Frau Gräfin, alles gestohlen«. Aber die Gräfin war eine Dame von Welt, und hörte nichts und lächelte nur, und so kam es, daß man sich nicht bloß in aller Freundschaft trennte, sondern sich auch Geschenke zusagte, wobei seitens des alten Wrangel sein Wrangelküraß in Aussicht gestellt wurde. Und in der Tat, als er kaum wieder in seinem Hotel zurück war, wandte er sich an Eulenburg und sagte: »Schick' ihr meinen Küraß.« »Exzellenz, Ihren Küraß haben wir gar nicht mitgenommen.« »Dann schick' ihr deinen.« Und so kam der Eulenburgküraß als Wrangelküraß ins alte Wrangelschloß. Unter den Eulenburgs ist anläßlich dieser Geschichte gelegentlich die Frage verhandelt worden, ob es sich nicht gezieme, der Gräfin Brahe, beziehungsweise deren Erben, über diese Dinge Mitteilung zu machen und ihnen den echten Wrangelküraß, der zufällig viele Jahre später als Erbstück an Graf Eulenburg kam, auf Austausch anzubieten. Es ist aber schließlich Abstand davon genommen worden, wohl in Erwägung, daß es als »preußische Kriegslist« zur Rückeroberung eines »doch vielleicht echten« Wrangelküraß angesehen werden könnte.
An Ereignissen, wie die eben geschilderten, waren die Wrangeltage reich, am reichsten, wenn sie zugleich Inspizierungstage waren. Es gab dann Anekdoten über Anekdoten, in denen der Adjutant oft in aller direktester Weise mitzuspielen hatte.
Wrangel inspizierte Truppen in Ruppin (auch andere Städte werden genannt) und die Ruppiner hatten ihren Jungfrauenflor in drei Gliedern aufgestellt. Die hübschesten natürlich in der Front. Wrangel küßte die ganze Frontreihe durch und sagte dann, auf den Rest deutend: »Eule, küsse weiter«.
In der Regel indes war der Adjutant nur Augen- und Ohrenzeuge dessen, was vorfiel. So bei folgender Gelegenheit. Ein Bataillon genügte nicht, auf welche Wahrnehmung hin der Alte spöttisch und zweideutig bemerkte: »Das nächste Jahr, Herr Major, werd' ich Ihnen woll nich wiedersehn.« »Aber Exzellenz sind ja noch so rüstig«, antwortete dieser. Und Wrangel, der Geistesgegenwart liebte, drohte nur lächelnd mit dem Finger und ließ es für diesmal bei dem bloßen Avis bewenden.
Auf derselben Inspektionsreise, wenn ich nicht irre, sah der Alte, daß ein junger Offizier unvorschriftsmäßige Sporen trug, und gab ihm ohne weiteres vierundzwanzig Stunden Arrest. »Aber Exzellenz tragen ja eben solche.« »Jut, mein Sohn. Da kannst du jleich noch vierundzwanzig Stunden vor mir mit absitzen.«
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Es waren interessante Jahre, die Wrangeljahre, wichtiger aber im Leben des Grafen wurde doch die Zeit (1867), als er die Bewirtschaftung von Liebenberg antrat. Er erwies sich sofort als ein ebenso tüchtiger wie passionierter Landwirt und hob den ihm zugefallenen großen Besitz weit über das hinaus, was er vorher gewesen war. Auch der »alte Hertefeld« hatte seiner Zeit für einen ausgezeichneten Landwirt gegolten und nicht ohne Grund, aber ausgerüstet mit einer wahren Probier- und Experimentalmanie, war ihm der praktische Gewinn immer nur ein Wünschenswertes, nie die Hauptsache gewesen. Die Hauptsache war ihm das beständige Suchen und Versuchen, und wenn ihm dabei hohe Summen verloren gingen, so hielt ihn das Interesse schadlos, das der Versuch als solcher ihm eingeflößt hatte.
So der alte Hertefeld.
Aber mit dieser Form einer mehr oder weniger genialen Agrikultur war es von dem Augenblick an vorbei, wo Graf Philipp Eulenburg die Zügel übernahm und dem »bloßen Experimentieren um des Experimentierens willen« ein für alle mal ein Ende machte. Jeder Neuerung ein gleiches Interesse schenkend wie sein Vorgänger, unterließ er es doch nie, den Wert oder Unwert dieser Neuerungen erst im kleinen festzustellen, und wußte dadurch eine bis dahin mehr theoretisierend-wissenschaftliche Wirtschaftsführung in eine praktisch-wissenschaftliche zu verwandeln. In eine praktisch-wissenschaftliche, der denn auch, anstelle von ehedem meist unsicheren Resultaten, alsbald die gesichertsten zur Seite standen.
Insonderheit erfuhr der Viehstand eine sich beständig steigernde Pflege, Mastvieh wurde Liebenberger Spezialität, und die Prämiierung dafür eine Selbstverständlichkeit. Wie denn auch wirklich ein mit mehr als zwanzig Preismedaillen angefülltes Schubfach von ebenso vielen Ausstellungssiegen erzählt.