9. Kapitel

Des Prinzen Friedrich Karl letzte Tage.
Tod. Begräbnis. Charakter


Als der Prinz von seiner Orientreise zurück war, trat er sein Erbe an. Dies bestand im wesentlichen aus: dem Palais am Wilhelmsplatz, einem bedeutenden Barvermögen und der in Westpreußen gelegenen Herrschaft Flatow und Krojanke, wodurch die bis dahin ziemlich bescheidene Geldlage des Prinzen in eine vergleichsweise glänzende verwandelt wurde. Trotzdem aber sollten die Verstimmungen, an denen sein Leben so reich gewesen war, nicht enden. Ja, man darf sagen, daß er sich von Stund an nur noch bedrückter fühlte. Zum Teil war es körperlich. Er litt – was ihm auch ein beinah ängstliches Maßhalten bei Tische vorschrieb – an Blutandrang nach dem Kopf, das aber, worunter er schwerer litt, war ein mehr und mehr zutage tretender Mangel an Freiheit auf Gebieten, auf denen auch der Schlichteste freie Bewegung zu haben pflegt, beispielsweise auf dem Gebiete der Erziehung und des Bestimmungentreffens innerhalb der Familie. So war es ihm ein Schmerz, seinem Sohne Friedrich Leopold die seemännische Karriere, von der er, der Vater, so hoch dachte, durch einen kaiserlichen Befehl verschlossen zu sehen. Dazu kamen direkte Zurücksetzungen: er hatte mit dem Palais des Johanniterordens auch zugleich die Herrenmeisterschaft zu erben gehofft und mußte, als sich Orden und Kaiser in dieser heiklen Frage schlüssig gemacht hatten, dies hohe und ehrenvolle Amt auf seinen Vetter Albrecht, den jetzigen Regenten von Braunschweig, übergehen sehen. Das alles empfand er als eine tiefe Kränkung,56 und wenn diese Kränkung einerseits an seiner Seele zehrte, so steigerte sie zugleich auch sein körperliches Leiden und zog ihm in der Nacht vom 13. zum 14. Juni 1885 einen Schlaganfall zu, zu dem freilich ein hohes Maß von Unvorsichtigkeit die direkte Veranlassung gegeben hatte.

Was darüber erzählt wird, ist das Folgende.

Der Prinz war im Mai 1885 wie gewöhnlich nach Marienbad gegangen und befand sich noch in der Nachkur, als er am 13. Juni einige seiner besten Freunde zur Tafel nach Dreilinden lud. Bei Tische ließ er es an einer nötigen Abstinenz nicht fehlen und hütete sich vor jedem Verstoß. Als er aber, nach Aufhebung der Tafel, seine Gäste bis in die Vorhalle begleitet hatte, kam ihm, bei der herrschenden Schwüle, plötzlich die Lust, noch ein Schwimmbad zu nehmen. Er fuhr denn auch nach dem Wannsee hinaus und schwamm eine gute Weile. Jedenfalls zu lang. Als er aus dem Bade kam, empfand er sofort ein starkes Frösteln und eilte nach Dreilinden zurück, um sich hier niederzulegen und vor allem für Wiederherstellung einer normalen Temperatur Sorge zu tragen. Aber schon zwischen 2 und 3 Uhr rief er seinen im Nebenzimmer schlafenden Leibdiener: »Goerz, Goerz, nun ist es zu Ende; jetzt muß ich sterben.« Und es war so. Der Prinz überdauerte noch den nächsten Tag, starb aber am 15. Juni vormittags. »Gott sei mir gnädig«, waren seine letzten Worte. 57

 

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Drei Tage später, am 18. Juni, hielt ihm Generalsuperintendent Kögel die Parentation in der Garnisonkirche zu Potsdam.

»Trauer und Bestürzung«, so hieß es in der Kögelschen Rede, »hat uns ergriffen. Ein Schwert ist über Nacht zerbrochen, ein Schild von Erz jählings zersprungen, von uns geschieden ein ritterlicher Prinz, der dem Sinn seiner Ahnen verwandt war, jenen gewaltigen Soldatenkönigen, die hier in der Grabkammer unter der Kanzel ruhn. Ein Führer und Feldherr des preußischen, des deutschen Heeres ist heimgegangen, ein Held mit dem Lorbeer dreier Feldzüge. Die Fahnen senken sich umflort. Unser greiser Kaiser und König sieht in ihm den einzigen Sohn seines letztabberufenen Bruders in ein frühes Grab dahinsinken. Und mit dem Kaiser trauert das Heer, das er so oft und so glänzend zum Siege führte. Stand doch der Dahingeschiedene da, wie das Symbol unerschrockener Mannhaftigkeit, wagenden Reitermuts, unbeugsamer Beharrlichkeit, war er doch, um ein an ihn gerichtetes Dichterwort zu zitieren, ›Dem roten Aare gleich im Schilde von Brandenburg‹.« So Kögel. Nach dieser Feier in der Garnisonkirche zu Potsdam, wohin man die Leiche des Prinzen von Dreilinden bzw. von Neu-Glienicke her gebracht hatte, setzte sich der Trauerzug in Bewegung und führte den Toten zu seiner letzten Ruhestätte nach Nikolskoe.

 

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Was noch erübrigt, ist ein Wort über den Charakter des Prinzen. »Der Prinz«, so schreibt Dr. Paul Güßfeldt, dem ich hier zunächst und mit allem Vorbedachte das Wort gebe, »war doch in vielem anders, als die Welt sich ihn vorzustellen pflegt und empfand beispielsweise (um nur eines zu nennen) eine große Freude daran, sich zu belehren. Er las nie flüchtig und hielt streng an der Gewohnheit fest, bemerkenswerte Stellen mit Bleistift anzustreichen. Eine besonders wert gehaltene Lektüre war ihm Rankes Weltgeschichte. Gern verlieh er Bücher an nahestehende Freunde und brachte dann abends das Gespräch auf den Inhalt derselben. Hätte seine Neigung den Ausschlag gegeben, so wär' er sehr wahrscheinlich Seefahrer oder Forschungsreisender geworden. So wie viele Seeleute bekannt sind durch ihre Reiterpassion, so stak in dem prinzlichen Reitergeneral eine bis zur Schwärmerei gesteigerte Passion für die See. Ich glaube, daß – abgesehen von den großen historischen Momenten erfochtener Siege – der Prinz seine schönsten Stunden an Bord deutscher Kriegsschiffe verlebt hat; auch begegnete man an seiner kleinen Tafelrunde häufig der dunkelblauen Uniform der Marineoffiziere. Er liebte die See an sich und alles, was die streng militärische Zucht und unablässige Pflichterfüllung in diesem tief empfindenden Herzen verschlossen gehalten hatte, das durfte beim Spiel der Meereswellen in Träumereien ans Licht treten. Er liebte die See aber auch als die Brücke zu fernen Weltteilen, die von seinem Tatendrang und seiner Phantasie mit unverlöschlichen Reizen ausgeschmückt wurden. Wenn dem Prinzen Friedrich Karl nicht eine höhere Mission, seinem eigenen Lande gegenüber, zugefallen wäre, so wüßt' ich auch in der Tat nicht, wo sein Löwenmut, sein großer Verstand, seine Empfindsamkeit und sein gestählter Körper bessere Ziele hätten finden können, als in der Erforschung unbekannter Länderabschnitte. Doch in diesem Punkt mußt' er Entsagung üben. Er erkannte die Notwendigkeit der Schranken an und konnte doch die Wünsche nicht vergessen. Und da lagerte sich denn wohl die Wolke des Unmuts auf seine Stirn.

Allgemein gekannt und gewürdigt ist nur das, was der Prinz als Heerführer leistete, sein inneres Wesen aber hat sich nur Wenigen erschlossen und ist deshalb fast ein Geheimnis geblieben. Daß es so war, lag in dem Charakter des Prinzen. Popularität war ihm wesenloser Schein. Nicht in der Akklamation der Menge sah er den Lohn seiner Taten, sondern in dem Bewußtsein erfüllter Pflicht. Ja mehr, er gehörte zu denen, die eine verhängnisvolle Freude daran haben, ihre edlen Seiten hinter schroffem Auftreten zu verbergen und im Bewußtsein ihres Wertes und ihrer Taten fremdes Urteil entbehren zu können glauben, während sie doch in Wirklichkeit davon affiziert werden. Derartigen Charakteren wird man nur gerecht, wenn Ehrerbietung, Treue, Dankbarkeit dem Verständnis den Weg bahnen. Aus meiner Gesinnung habe ich das Recht, aus meinen Erlebnissen die Möglichkeit entnommen, über den Prinzen Friedrich Karl zu sprechen. Ein banaler Panegyrikus würde sich nicht ziemen.

Ein starker Wille und ein weiches Gemüt bildeten die Angelpunkte in dem Charakter des Prinzen. Diesen Willen an großen Taten zu erproben, war ihm ebenso sehr Bedürfnis, wie sein Gemüt in Sympathie zu sonnen. Alles was er tat, tat er mit Energie. Festhalten und Durchführung einmal gefaßter Entschlüsse, das war der vielleicht hervortretendste seiner Züge. Seiner Antipathien Herr zu werden, ward ihm schwer. Aber wie leicht wog das neben der Treue, die er übte. Wen er seiner Freundschaft oder seines Schutzes wert erkannt hatte, den konnte nichts aus seinem Herzen reißen. Sein rascher Geist forderte schnelles Verständnis und wenn er dies nicht fand, so verbarg er seinen Unmut nicht immer. Für sein Handeln und Denken war stets das aut aut maßgebend. ›Triumph oder Untergang, aber kein Kompromiß‹, das wäre das Feldgeschrei des Prinzen in dem Kampf des irdischen Daseins gewesen, wenn nicht ein zwiefaches Pflichtgefühl: das des preußischen Soldaten und das des preußischen Prinzen, diesen Ruf unterdrückt hätte, wo es galt, einem höheren Willen Folge zu leisten. Aus diesem Pflichtgefühl zog er aber auch alle Konsequenzen. Er faßte den königlichen Dienst so auf, daß die Sache der Person übergeordnet sei. Manche militärische Karriere hat der Prinz mit ruhiger Hand gebrochen, sobald die schlagfertige Tüchtigkeit der Armee ihm ein solches Opfer abforderte, dieselbe Hand, welche in stiller Heimlichkeit bedrängten Offiziersfamilien, den Witwen und Waisen alter Soldaten so reichlich gab! Denn der Wohltätigkeitssinn des Prinzen übersprang nur zu gern die Grenzen, welche schließlich auch einem fürstlichen Haushalte gezogen sind. Hier waren sie sogar enger gezogen, als gemeinhin bekannt ist, und erst von 1883 ab trat eine Wandlung zum Besseren ein. Zu allen Zeiten aber stand des Prinzen Bereitwilligkeit zu helfen im Bunde mit der Scheu, daß die Welt um seine Wohltaten wisse.

In reicher Fülle hatte die Vorsehung dem Prinzen ihre Gaben verliehen; nicht allein dadurch, daß sie ihn auf eine Höhe stellte, wo nur Wenige wandeln, sondern auch dadurch, daß sie eine Summe herrlicher Kräfte in ihn legte. Aber seine Tugenden waren so gewählt, daß sie ihrem Träger oft Leiden bereiteten. Er empfand die Wirkungen um so schmerzlicher, je tiefer, je zarter besaitet sein sonst so starkes Gemüt war und ›so mischten sich die Element' in ihm, daß die Natur aufstehen konnt' und sagen: dies war ein Mann.‹

Und dennoch geht ein wehmütiger Zug durch den Lebensabend dieses Helden und das letzte Telegramm, das er einem Freunde sandte, lautete: ›Bedenke, Mensch, daß Du von Staub und Asche bist und wieder Staub und Asche werden sollst!‹«

 

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So Güßfeldt. Man wird ihm in allem, was er pietätvoll zum Lobe des Prinzen sagt, zustimmen und doch zugleich der Meinung sein dürfen, daß (eben aus Pietät) manches Wichtige verschwiegen oder mit leichter Hand berührt worden sei. Der Prinz erinnert in vielen Stücken an den Rheinsberger Prinzen Heinrich. Dieser hatte freilich die Formen des vorigen Jahrhunderts, aber dies schuf mehr einen scheinbaren als einen wirklichen Unterschied. Ich mag mich nicht in Einzelpunkte verlieren (unter denen übrigens einige wichtig genug sind) und beschränke mich darauf, dem tiefsten Quell seines Unmuts nachzugehen: dem ihn verzehrenden Gefühl, in seinem militärischen Verdienste nicht ausreichend gewürdigt worden zu sein. Ich möchte behaupten, daß der Prinz – so guten Grund er haben mochte, sich anderweitig bedrückt und zurückgesetzt zu fühlen – in speziell dieser bitteren Empfindung in seinem Rechte war. Er war durch Jahrzehnte hin der Abgott der Armee, der eigentliche Soldatenprinz, und die höchsten Ehren, die seinem unbestreitbaren Verdienste verliehen werden konnten, wurden ihm verliehen: er war Feldmarschall und Armeeführer und trug Ordensauszeichnungen, die für ihn und seinen Mitbewerber im Ruhm, den Kronprinzen, eigens ins Leben gerufen waren. Heer und Kaiser sind ihm nichts schuldig geblieben. Aber er verlangte mehr. Mit dem feinen Ohr aller Hoch- und Höchststehenden, unterschied er in dem Zujauchzen der Menge die Grade der Verehrung und mußte sich sagen, was auch tatsächlich zutraf, daß es ein »Mehr« gab, das ihm nicht zuteil wurde. Dies war und blieb der schmerzliche Punkt. Es war ihm nicht genug, als ein wiedererstandener Blücher, der »Verwalter des Schlachtfeldes« (wie es im Liede heißt) zu sein, er rang auch nach dem Ruhme des Schlachtendenkers und litt unter der Vorstellung, auf diesem Gebiete günstigstenfalls als ein zweiter angesehen zu werden. Aller Ruhm, der der Schärfe seines Blickes und der Raschheit und Energie seiner Entschlüsse gezollt wurde, ließ ihn nicht vergessen, daß die Welt mehr Bewunderung für die große Strategie von Sedan, als für die Kühnheiten und Opferritte von Mars la Tour hatte. Solche Gefühle gehegt zu haben, ist menschlich verzeihlich, aber es ist größer und glückbringender, sie bezwungen zu haben. Auch sein Vetter, der Kronprinz, war kein erster in der Welt der Strategen, aber es ist nicht bekannt geworden, daß ihm das Gefühl, von einem Genius überflügelt zu sein, jemals die Freude des Daseins getrübt hätte.

Diese Bemerkungen, die meiner dankbaren Verehrung für den Prinzen wahrlich keinen Abbruch tun, decken sich, soviel ich weiß, mit den Anschauungen weitester militärischer Kreise. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so werd' ich, wenn ich von besser unterrichteter Seite her in diesem heiklen Punkte rektifiziert werden sollte, gerne Veranlassung nehmen, meinem irrtümlichen Urteile das fachmännisch richtige gegenüberzustellen.




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 © textlog.de 2004 • 03.12.2024 00:12:26 •
Seite zuletzt aktualisiert: 12.11.2007 
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