Die Kirche


Dem Schloß gegenüber, hinter einem uralten Maulbeerbaum halb versteckt, liegt die Kirche, ein weit zurückgehender Bau, dessen Alter bei den vielen Wandlungen, die er durchzumachen hatte, schwer zu bestimmen ist. Dabei stellen wir die letzten Renovierungen, weil diese seinen Stil wenigstens unverändert ließen, nicht einmal mit in Rechnung. Eine letzte gründliche Wandlung erfuhr die Kirche wahrscheinlich verhältnismäßig spät, in Jahren, da der Protestantismus schon die Oberhand im Lande hatte; – einige Glasbilder tragen die Zahl 1539. Um eben diese Zeit, so schließen wir, oder doch nicht viel früher, erfolgte die Gotisierung des Baues, der vorher längst vorhanden und, wie alle die zahlreichen Feldsteinkirchen in der Mark, romanisch war.

Wie jetzt das Kirchlein sich präsentiert, sticht es jedenfalls sehr vorteilhaft von dem gegenüber gelegenen Schloßbau ab, mit dem es nur das Alleräußerlichste und Gleichgültigste, die gelbe Tünche, gemein hat. Wieviel Anheimelndes in dieser gotischen Formenfülle, in diesem Reichtum von Details, und wieviel Erkältendes in dieser bloß durchfensterten Fläche, die sich nirgends zu einem Ornament erhebt! Eine indifferente Alltagsschönheit, die den Dünkel hat, keinen Schmuck tragen zu wollen. Erst die Phantasie, die geschichtskundig das Schloß mit Leben und Gestalten füllt, macht es uns lieb und wert, hebt über den ersten Eindruck der Nüchternheit hinweg.

An dem Maulbeerbaum vorbei treten wir jetzt in die Kirche ein. Wir wählen das Westportal. Der Eindruck besonderer Gefälligkeit, den schon das Äußere übt, er wiederholt sich hier; die Restaurierung ist pietätvoll zuwege gegangen. Alles Anmutige und Zierliche, alles, was in Form oder Farbe auch das Laienauge angenehm berühren konnte, man ließ es der Kirche und sorgte nur, wie es sein soll, für Luft und Licht, für Raum und Bequemlichkeit. Die nördliche Hälfte des Querschiffs wurde zum »Königsstuhl«, der Raum hinter dem Altar, also der hohe Chor, zu einer Art Kunstkammer hergerichtet.

Um diese beiden Punkte drehte sich das Interesse der Kirche. Zuerst der Chor. Mannigfach sind die Geschenke, womit königliche Munifizenz ihn bedachte. Auf engem Raume drängen sich hier die Bilder, meist Jugendarbeiten des trefflichen Wach: »Johannes der Täufer«, »Christus mit Johannes und Matthäus«, »Christus auf Gethsemane«. Das größte und bedeutendste aber, das sich hier findet, ist eine »Grablegung« von Schumann; die ohnmächtig niedersinkende Maria gilt als vorzugsweise gelungen. – Reich geschmückt, wie dieser Raum hinter dem Altar, ist vor allem auch der Altar selbst; eine schwere, grüne Damastdecke, mit eingestickten goldenen Kreuzen, deckt den Abendmahlstisch; Kruzifix und Altarleuchter, größer und reicher, als sie sonst in Dorfkirchen heimisch sind, deuten auf den königlichen Geber; zu Füßen des Kruzifixes aber liegt die sogenannte Kurfürstenbibel, mit vielen Stichen und Bildern, prächtig gebunden. Der breite Goldschnitt zeigt oben und unten, wie auch in Front, drei zierliche Aquarellbilder: die Taufe, das Abendmahl, die Himmelfahrt, – eine Art der Ornamentierung, der wir hier zum ersten Male begegneten. Es sind Arbeiten (ihrem Kunstwert nach unsern Porzellanmalereien verwandt), wie sie damals in Dresden nach berühmten Poussins und Carraccis gut und mannigfach ausgeführt wurden.

Durch eine Balustrade vom Kirchenschiff getrennt ist der »Königsstuhl«. Er hat die Dimensionen eines kleinen Zimmers; die Herrichtung ist einfach; an der Westwand erhebt sich, in das Mauerwerk eingelassen, eine durch den Stich mannigfach bekannt gewordene Arbeit Schadows: »Die Apotheose der Königin Luise«. Mehr eigentümlich, als schön. In ihrer Mischung von christlicher und heidnischer Symbolik ist uns die Arbeit kaum noch verständlich, jedenfalls unserem Sinne nicht mehr adäquat. Sie gehört, ihrer Grundanschauung nach, jener wirren Kunstepoche an, wo der große Fritz in Gefahr war, unter die Heiligen versetzt zu werden, wo er im Elysium, mit Sternenkranz und Krückstock angetan, die der Zeitlichkeit entrückten preußischen Helden wie zur Parade empfing. Eine Art Sanssouci auch dort oben.

Schadow, sonst von so gutem Geschmack, vergriff sich in diesem Falle, wie uns scheinen will, und die Inschrift eines von einem Engel gehaltenen Schildes gibt Auskunft darüber, wie er sich vergriff. Diese Inschrift lautet: »Hohenzieritz, den 19. Juli 1810, vertauschte Sie die irdische Krone mit der himmlischen, umgeben von Hoffnung, Liebe, Glaube und Treue, und in tiefe Trauer versinken Brennus und Borussia.« Wir haben hier Kunstmengerei und Religionsmengerei, alles beieinander. Die Verdienste der Arbeit sind nichtsdestoweniger bedeutend, aber sie sind mehr technischer Natur und greifen zum Teil auf das Gebiet der Kunstindustrie hinüber.

Die anderweitigen Schätze, die die Paretzer Kirche, weit über diese großen Schildereien hinaus, in ihrer Mitte birgt, sind zwei Erinnerungsstücke, alt und neu, das eine aus der Zeit der kirchlichen, das andere aus der Zeit der politischen Umgestaltung, die dieses Land erfuhr, beinahe dreihundert Jahre liegen dazwischen. Aus dem Jahre 1539, wie die eingebrannte Jahreszahl zeigt, stammt das Bildnis des heiligen Mauritius, das aus dem Spitzbogen des Chorfensters in die Kirche hinein grüßt; zu Füßen des alten Schutzpatrons dieser Lande aber steht ein zierlicher, mit Tapisseriebildern versehener Kasten, in dem ein blauseidenes, silbergesticktes Tuch zusammengefaltet liegt. Es ist das Tuch, das Königin Luise bei ihrem letzten Besuch an dieser Stelle trug. Der König, nach ihrem Tode, breitete es, als das Liebste, was er hatte, über den Altartisch, bis es, halb zerfallen in seinem leichten Gewebe, durch den Damast abgelöst wurde, der, mit goldenen griechischen Kreuzen geschmückt, jetzt dieselbe Stelle ziert.

Aber in dem Kästchen liegen doch, wie verkörpert, die Erinnerungen dieser Stätte.




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 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 09:09:00 •
Seite zuletzt aktualisiert: 26.10.2007 
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