Drama - (Einheit von Ort, Zeit, Handlung)


Drama. Dramatische Dichtkunst. Man ist schon gewohnt, ein zu wirklicher Vorstellung einer Handlung verfertigtes Gedicht, mit dem griechischen Worte Drama, (eine Handlung) zu benennen; daher ist die dramatische Dichtkunst der Teil der Kunst, der sich mit Verfertigung des Dramas beschäftigt.

 Die Handlungen der Menschen, bei denen das Genie und das Herz sich in so mannigfaltigem Lichte zeigen, sind ohne Zweifel der interessanteste Gegenstand der Dichtkunst. Die Epopöe erzählt dieselben, doch so, dass sie uns in den wichtigsten Vorfällen die handelnden Personen gleichsam abmalt und dass wir uns einbilden, sie handeln zu sehen; die Schaubühne aber stellt uns wirklich handelnde Menschen vors Gesicht und das Drama enthält ihre Reden und jede Äußerung ihrer Gedanken und Empfindungen. Wenn also gleich beide Gattungen einerlei Materie behandelten, so müsste die Art zu verfahren notwendig sehr verschieden sein. Denn der Hauptumstand, dass wir bei der dramatischen Vorstellung bei der Handlung gegenwärtig sind, erfordert, dass sie kurz sei, dass alles in einem ununterbrochenen Zusammenhang in Ansehung der Zeit und des Orts geschehe.

 Das dramatische Schauspiel gibt einem versammelten Volk eine interessante Handlung von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende zu sehen. Untersucht man nun, wie dieses auf die beste und natürlichste Art geschehen könne, so entdeckt man die Regeln, sowohl für die Beschaffenheit des Theaters als für die Einrichtung des Drama.

 Natürlicher Weise ist die Handlung auf eine gewisse Kürze der Zeit eingeschränkt, weil niemand tagelang auf einer Stelle stehen und einer Handlung mit unverwandten Augen zusehen kann. Ein paar Stunden hält man dieses aus; währe es länger, so müssen viele davon gehen, ohne das Ende der Handlung abwarten zu können. Daher ist die Einrichtung des Drama gekommen, die überall beobachtet wird, dass ein paar Stunden hinlänglich sind, die ganze Handlung zu sehen: und wenn es wahr ist, dass die Chinesen Schauspiele haben, die Tagelang währen, so sind sie barbarisch und können nicht einmal als eine Ausnahme dieser Regel angesehen werden. So lang also muss das Spiel der Handlung oder die Vorstellung währen.

 Aber die Handlung selbst kann aus verschiedenen Umständen so beschaffen sein, dass sie mehr Zeit erforderte. So bald einige dazu gehörige Dinge nicht vor den Augen des Zuschauers geschehen, so kann man die dazu erforderliche Zeit merklich abkürzen. Wo zum Fortgang der Handlung nötig ist, dass gewisse Personen herbei gerufen oder dass gewisse Nachrichten von anderen Orten her eingeholt werden oder wo sonst etwas außer dem Gesicht des Zuschauers geschehen soll, da kann man immer eine kürzere Zeit dazu setzen als in der Natur nötig ist. Der Bote, der eine Meile weit weggeschickt wird, um Nachrichten einzuziehen, kann in wenigen Minuten wieder kommen, weil der Zuschauer das Unmögliche dieser Schnelligkeit zwar erkennt, aber nicht fühlt. Aus diesem Grund hat man gefunden, dass die Handlung, wozu ein ganzer Tag nötig wäre, in ein paar Stunden kann vorgestellt werden, ohne die Zuschauer das Unnatürliche dieser Kürze fühlen zu lassen.

 Darin waren die Alten mehr eingeschränkt als wir. Die Schaubühne wurde bei ihnen nie leer, weil der Chor immer zugegen war; wir aber lassen nach jedem Aufzug die Bühne leer, dadurch verliert man einigermaßen das Gefühl des Zeitmasses der Dinge, die inzwischen geschehen. Allein auf der anderen Seite scheint diese völlige Unterbrechung der Handlung gegen die Natur der dramatischen Vorstellung zu sein; weil der Zuschauer dadurch leichter aus der Täuschung herauskommt. Noch ungeschickter aber ist es, dass der Zwischenraum, in welchem man von der Handlung nichts sieht, mit ganz fremden Gegenständen, dergleichen die Ballette sind, angefüllt werden. Dieses ist eine Barbarei, die unwidersprechlich beweist, dass es uns bei dem Schauspiel mehr um Lustbarkeit und Zeitvertreib als um den Nutzen zu tun ist, den man daraus ziehen kann, dass man ein Zeuge merkwürdiger Handlungen ist.

 Die Regel also, welche befiehlt die Handlung so einzurichten, dass man ohne etwas Unnatürliches zu empfinden, sie in ein paar Stunden als ein Augenzeug ansehen könne, ist nicht eine bloß willkürliche Einschränkung der dramatischen Kunst, sondern in der Natur der Sache gegründet und ist das, was die Kunstrichter die Einheit der Zeit nennen.

 Soll die Handlung natürlich vorgestellt werden, so muss sie so beschaffen sein, dass auch in dem Orte, wo wir die handelnden Personen sehen, nichts Widersprechendes sei. Was seiner Natur nach auf einem öffentlichen Platz geschehen muss, soll nicht in einem Zimmer und was in geheim geschehen soll, nicht auf öffentlichem Platz vorgestellt werden. Man muss eine sehr genaue Übereinkunft der Dinge, die geschehen, und der Orte, da sie geschehen, beobachten. Darin waren die Alten sehr streng und man wird schwerlich etwas Unschickliches in dieser Art bei ihnen antreffen. Die Neueren beobachten hierin, wegen der insgemein sehr schlechten Einrichtung des Theaters, weniger Genauigkeit. Man sieht bisweilen, dass eine offene Galerie oder der Flur eines Hauses, wo jedermann durchgeht, die Stelle eines geheimen Konferenzkabinetts und im Gegenteil ein Kabinett die Stelle eines Durchganges oder einer Galerie vertritt, wo jedermann unangemeldet hinkommen darf. Dergleichen Unrichtigkeiten können so anstößig werden, dass sie die Aufmerksamkeit auf die Hauptsachen merklich schwächen.

 Die Alten beobachteten in ihren dramatischen Vorstellungen in Ansehung des Orts diese Regel unverbrüchlich, dass die Schaubühne einen Ort vorstellte, an welchem alles, was vor den Augen des Zuschauers geschah, natürlicher Weise geschehen müsste; diesen einzigen Ort behielten sie unverändert die ganze Vorstellung hindurch und was als geschehen erkennt werden musste, das doch an diesem Orte nicht geschehen konnte, kam in Erzählung vor. Dieses nennen die Kunstrichter die Einheit des Orts. Die Neueren binden sich weniger an diese Regel; sie stellen oft dem Auge des Zuschauers die Handlung so vor, dass es unmöglich wird denselben Ort durch die ganze Handlung beizubehalten. Man sieht bisweilen einen Teil derselben auf einem öffentlichen Platz und einen anderen in einem geheimen Zimmer, deswegen wird die Szene währender Handlung oft verändert. Man kann sich endlich über das, was hierin unnatürlich ist, wegsetzen; aber bei der Einheit des Orts ist doch der ganze Faden der Vorstellung ununterbrochen; die Reihe unserer Vorstellungen hat nicht so viel zweifelhaftes, das man mit Gewalt wegräumen muss und die Aufmerksamkeit wird beständig auf die Hauptsache geheftet. Und dann scheint es doch einigen Mangel an Dichtungskraft anzuzeigen, dass man nötig hat den Zuschauer bald an diesen, bald an einen anderen Ort zu führen. Der ist unstreitig geschickter, der die Zuschauer auf einer Stelle mit einem wichtigen Schauspiel unterhalten kann als der, welcher nötig hat, sie in einem ganzen Haus oder gar in einer Stadt herum zu führen.

 Die genaue Beobachtung der Einheit des Orts wurde den Alten viel leichter als den Neueren; weil jene insgemein einfachere Handlungen vorstellten, als die sind, die von den Neueren gewählt werden. Äschylus, Sophokles und Aristophanes sahen, dass eine sehr einfache Handlung, wo alles auf einer Stelle geschieht, durch die Personen und die sich dabei äußernden Gedanken und Empfindungen höchst interessant sein könne und sie wussten in der Tat den Mangel des mannigfaltigen, in Ansehung des Äußerlichen der Handlung, durch desto größere Mannigfaltigkeit und durch die Wichtigkeit dessen, was innerlich in den Gemütern vorgeht, reichlich zu ersetzen. Drei oder vier Personen konnten fast ohne von der Stelle zu rücken, den Zuschauern ein wichtiges Schauspiel vor Augen stellen. Die Neueren scheinen aus Misstrauen in ihr Genie oder auch aus wirklichem Unvermögen, in die Notwendigkeit gesetzt zu sein, einen weitläufigen Stoff zu wählen. Sie haben mehr Personen, mehr Vorfälle und so gar Nebenhandlungen oder so genannte Episoden nötig, um ihre Zuschauer in einer ununterbrochenen Aufmerksamkeit zu unterhalten. Sie getrauen sich selten eine oder zwei Hauptpersonen so groß zu bilden, dass man sich mit ihrer Art bei einem einzigen Vorfall zu denken und zu handeln, hinlänglich beschäftigen könnte; sie haben noch andere Personen nötig, um der sinkenden Aufmerksamkeit aufzuhelfen; mehrere Vorfälle, um ihrem Schauspiel Leben zu geben und können daher sich auch nicht allemal an einen Ort binden. Aber dieser Reichtum der Materie ist im Grund nichts als Armut, die durch die Menge gemeiner Sachen das zu ersetzen sucht, was den wenigen Hauptsachen an innerlichem Wert mangelt; ein Hilfsmittel der Dichter, die nicht Genie genug haben oder die zu lebhaft und zu ungeduldig sind ihre Vorstellungen in abgemessenen Schranken zu halten. In diesem letztern Fall scheint es Shakespeare gewesen zu sein, der bei dem größten Vermögen, eine sehr einfache Handlung höchst interessant zu machen, sich die Mühe nicht hat geben wollen, einfach zu sein.

 Diese Einfalt der Handlung, da nur ein einziges Interesse von Anfang bis zum Ende vorkommt, das durch keine episodische Nebenhandlung und zufällige Vorfälle unterbrochen wird, ist die Einheit der Handlung genannt worden und macht also mit den Einheiten des Orts und der Zeit, deren bereits Erwähnung geschehen, das aus, was man die drei Einheiten des Drama zu nennen pflegt.1 Ohne sie kann die Handlung nicht natürlich genug sein, und deswegen halten viele sie für eine wesentliche Eigenschaft des dramatischen Gedichts. Wie sie aber seinen eigentlichen Wert, von dem sogleich soll gesprochen werden, nicht ausmachen, so ist auch nicht zu leugnen, dass die Neueren interessante Stücke gemacht haben, denen dieser Vorzug mangelt. Man kann aber immer gewiss behaupten, dass diese Stücke noch mehr Verdienst haben und noch besser gefallen würden, wenn ihre Verfasser sich die Mühe gegeben hätten, alles so einzurichten, dass die Übertretung der Einheiten nicht nötig gewesen wäre. Es wäre gar nicht unmöglich, die Zuschauer ein paar Stunden lang überaus angenehm, durch bloß einzelne Szenen aus ganz verschiedenen Trauerspielen oder Komödien genommen, zu unterhalten. Aber dieses wäre denn kein Drama. Da wir also, indem wir von der Natur dieser Dichtungsart sprechen, sagen, die drei Einheiten müssen darin beobachtet werden, so wird dieses dadurch nicht widerlegt, dass man auch Stücke gern sieht, darin sie nicht beobachtet worden; denn diese Stücke würden noch gefallen, wenn man gar alle Nebenszenen wegließe und nur die vornehmsten ohne Verbindung vorstellte. Dann aber wäre ein solches Stück kein Drama mehr, sondern es wären einzelne Teile eines Dramas.

 

________________

1 S. Einheiten.

 


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 09:53:25 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.11.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z