Dichter

Dichter. Mit diesem Namen möchten wir nicht gerne ohne Unterschied alle diejenigen beehren, welche in gebundener Rede geschrieben oder Verse gemacht haben,

– Neque enim concludere versum Dixeris esse satis1

 Denn gemeine Gedanken oder Erzählungen in Versen vortragen, macht so wenig den Dichter aus als die gemeine Sprache reden, einen Redner macht. Man muss aller Urteilskraft über Gegenstände des Geschmacks beraubet sein, um sich einbilden zu können, dass gemeine und alltägliche Gedanken durch die Einkleidung in Verse eine schönere Rede machen als wenn sie nach der gemeinen Art vorgetragen wären; da vielmehr das Gegenteil geschieht. Eine außerordentliche Sprache, wie die Sprache des Dichters ist, der in Versen spricht, erfordert notwendig auch außerordentliche Gedanken oder Empfindungen, aus denen man begreifen kann, warum die gemeine Art der Rede verlassen worden.

 Man muss demnach den Charakter des Dichters nicht in der Kunst suchen, die Rede durch wohlabgemessene und wohlklingende Verse fortzuführen, sondern in dem Vermögen den Geist und das Gemüt durch Vorstellungen, die einen ganz außerordentlichen Gang der Rede erfordern, zu reizen. »Die Worte und Sillaben in gewisse Gesetze zu dringen und Verse zu schreiben, sagt Opitz, ist das allerwenigste, was in einem Poeten zu suchen ist. Er muss von sinnreichen Einfällen und Erfindungen sein, muss ein großes unverzagtes Gemüt haben, muss hohe Sachen bei sich erdenken können, soll anders seine Rede eine Art kriegen und von der Erde empor steigen.«2 Eben diese Forderungen macht Horaz, der nur den einen Dichter nennt,

Ingenium cui sit, cui mens divinior, atque os magna sonaturum.3

Einmal die gebundene Rede, die gewöhnliche Sprache der Dichter, hat etwas so außerordentliches und enthusiastisches, dass man sie die Sprache der Götter genannt hat: deswegen sie auch eine außerordentliche Veranlassung haben muss, welche ohne Zweifel in dem Genie und Charakter des Dichters zu suchen ist. Es scheint, dass einerlei Lage des Gemütes Tanz, Musik, Gesang und Poesie hervorgebracht habe. Wir werden also auf die Entdeckung des poetischen Genies geleitet werden, wenn wir den wahrscheinlichen Ursprung dieser Künste vor Augen haben.4 Wir werden daraus abnehmen können, wie die poetische Sprache und die Lust in abgemessenen Versen zu sprechen und aus der Rede einen Gesang zu machen, hat entstehen können. Will man den Ursprung jener drei verschwisterten Künste begreifen, so muss man annehmen, dass in dem Gemüt Empfindungen oder Vorstellungen vorhanden sein, die entweder durch ihre Heftigkeit oder durch einen sanften, aber die ganze Seele einnehmenden Zwang oder durch ihre religiöse oder politische Größe, sich des Gemütes so bemächtigen, dass es in eine heftige oder sanfte Schwärmerei gerät, in welcher die Gedanken und Empfindungen unaufhaltbar durch die Rede herausströmen. Wer auf diese Weise von Gegenständen gerührt wird und zugleich ein zartes Gefühl für abgemessene Bewegung hat, die in der Musik den Takt und den Rhythmus ausmacht, der ist der Mensch, den die Natur zum Dichter gebildet hat.

  Der Grund des poetischen Genies wird also in einer ungewöhnlich großen Fühlbarkeit der Seele zu suchen sein, die mit einer außerordentlichen Lebhaftigkeit der Einbildungskraft begleitet ist. Die Eindrücke von Lust und Unlust sind bei dem Dichter so stark, dass er sich denselben ganz überlässt, alle seine Aufmerksamkeit auf das, was in seinem Gemüte vorgeht, richtet und ihrem Ausbruch einen freien Lauf lässt; darüber vergisst er die äußeren Umstände, die ihn umgeben und Gegenstände der Einbildungskraft wirken eben so stark auf ihn als wenn sie seine Sinne rührten. Er gerät in eine Schwärmerei, die, nach Beschaffenheit der Empfindung, die sie veranlasst hat, sich entweder heftig oder sanft, sowohl in dem Ton der Stimme als in dem Strom der Worte, äußert.

 Dieses lebhafte Gefühl aber ist zugleich mit einer eben so außerordentlichen Vorstellungskraft verbunden, welche nach dem besonderen Genie des Dichters verschieden ist. Er beurteilt alles nach der ihm eigenen Art, sieht in dem Gegenstand, der ihm interessant ist, Beziehungen und Verhältnisse, die ein gesetzter Sinn nicht würde entdeckt oder kaum würde bemerkt haben.

 Die Erzählungen von dem, was die Griechen vor Troja getan hatten, machten auf Homers Gemüt so lebhafte Eindrücke, dass seine ganze Seele davon eingenommen wurde. Mit einer außerordentlichen Wirksamkeit des Geistes bestrebte er sich, Begebenheiten und Taten, die ihn so sehr reizten, sich auf das Lebhafteste vorzustellen, strengte seine Einbildungskraft an, die großen Männer, die den Streit führten, vor sich zu sehen, stellte sich selbst vor Troja, zog mit ihnen in den Streit, hörte das Gerassel der Waffen, fühlte jeden Eindruck, den die Umstände auf jede dabei interessierte Hauptperson machten. Um jeden Eindruck desto lebhafter zu fühlen, war er jetzt Achilles, dann Hector; redete und handelte als wenn er jetzt wirklich in diese Personen wäre verwandelt worden; jetzt mit Heftigkeit und Wut, dann mit Gelassenheit. Mit gleicher Leichtigkeit wurde er jetzt von dem Interesse der Griechen, dann der Trojaner beseelt. Die Gefahren oder Hoffnungen, in denen er sich jedesmal befand, reizten jede Fähigkeit seiner Seele zur äußersten Anstrengung ihrer Kräfte. Wenn er aus solchen Entzückungen wieder zu sich selbst kam, so fühlte er eine unwiderstehliche Begierde, das was er gesehen und empfunden hatte, wieder zu erzählen, weil er in diesen Sachen eine Wichtigkeit sah, die der Größe seiner Empfindungen angemessen war; er wünschte alle Stämme der Griechen vor sich zu versammeln, um ihnen alles, was er selbst gefühlt hat, mitzuteilen. Dieser Wunsch begeistert ihn aufs Neue; und nun fängt er in dem feierlichen enthusiastischen Ton eines Menschen, der seiner Nation die wichtigsten Dinge zu erzählen hat, an.

 Diese Eigenschaften, das Feuer der Einbildungskraft, die Lebhaftigkeit des Gefühls und die unwiderstehliche Begierde, das, was man selbst so lebhaft fühlt, gegen andere zu äußern, sind die wahren Anlagen zum poetischen Genie; sie können aber auch die Anlagen zu einer fatalen Verwirrung des Gemütes sein, wenn sie nicht einen scharfen Verstand, eine sehr gesunde Beurteilungskraft und überhaupt eine hinlängliche Stärke des Geistes, sich seiner selbst und der Umstände, darin man ist, bewusst zu sein, zur Unterstützung haben. Ohne diese Eigenschaften arten jene in bloße Ausschweifungen aus. Wie der Maler, der durch eine natürliche Richtigkeit seines Auges und durch eine sehr lange Übung eine völlige Fertigkeit in der richtigen Zeichnung besitzt, mitten im heftigsten Feuer der Einbildungskraft, darin er sich selbst vergisst, keinen Pinselstrich zieht, der über die Grenzen des richtigen Umrisses heraustritt, so verlässt auch den guten Dichter das richtige Urteil niemals, obgleich die Lebhaftigkeit des Gefühls, das Nachdenken zu unterdrücken scheint. Er ist so sehr gewohnt richtig zu urteilen, an jedem Ort und bei jeder Gelegenheit das zu sagen, was sich schickt, jeden Gegenstand in Beziehungen, die eine gesunde Vernunft bestimmt, zu sehen, dass ihn auch denn, wenn er außer sich ist, die Vernunft nicht verlässt.

  Also könnte man in wenig Worten sagen, der große Dichter sei ein Mensch von starker und weit ausgebreiteter Beurteilungskraft, von feinem Geschmack, von sehr lebhafter Einbildungskraft und starken Empfindungen. Die ungleiche Mischung und die durch vielerlei Grade veränderte Verhältnisse dieser Eigenschaften, machen nebst dem Temperament die Verschiedenheit des dichterischen Genies aus. Anakreon ist in seiner Art so gut ein Dichter als Homer, aber des Thejers Seele wird nur von Gegenständen einer sanften Wollust gereizt; sie zünden darin ein Feuer an, das eine helle Flamme gibt, die sanft wärmt, ohne zu brennen. Von dieser Wollust trunken schwärmet er mit feinem Geschmack, wie eine Biene auf den blumigen Szenen seiner leichten Einbildungskraft herum, um überall Honig zu saugen; und indem er diese angenehme Trunkenheit fühlt, wünscht er, der ganzen Welt sein Gefühl mitzuteilen. Der Sänger des Achilles wird vornehmlich von großen Gegenständen gerührt. Er sieht alles in Beziehung auf starke, männliche Tugend, weil er selbst einen hohen Geist hat, mit patriotischem Eifer, mit kriegerischem Mut und mit Begierde zu jeder großen oder merkwürdigen Unternehmung angefüllt: da er die Menschen immer von der Seite ihrer größten Stärke ansieht, so gerät er bei jedem wichtigen Unternehmen in ein starkes Feuer, sieht alles auf der ernsthaftesten oder kühnsten und wichtigsten Seite an, wird selbst ein Held, ein Patriot, ein Staatsmann. Mit diesen großen Empfindungen und mit dieser starken Wirksamkeit verbindet er einen durchdringenden Verstand, einen unerschöpflichen Reichtum, die eigentlichen Mittel, um zum Zweck zu gelangen, aufzufinden, eine lebhafte und mit solchem Genie verbundene Einbildungskraft, dass er jede sinnliche Szene mit den lebhaftesten Farben, mit Lieblichkeit oder Größe als ein wahres Gemälde sichtbar darstellt. Also zeigt er das dichterische Genie in seiner höchsten Größe.

Mit diesen Talenten kann ein Mensch sich selbst zum Propheten, zum Lehrmeister und Wohltäter seiner Nation und so gar aller gesitteten Nationen machen; denn unter allen Menschen von Genie ist es keinem so leicht, sich um das menschliche Geschlecht verdient zu machen als dem Dichter. Seine lebhafte Phantasie gibt jedem Gegenstand einen unwiderstehlichen Reiz, die Schärfe seiner Beurteilungskraft und die Stärke seiner Empfindungen, die er auf das nachdrücklichste äußert, überzeugen den Verstand und reißen das Herz unaufhaltbar fort.

 Ihm stehen mancherlei Wege offen, in das Innere der Seele zu dringen, nachdem es die Umstände mit sich bringen; die Epopee, das Drama, die Ode, das Lied und manch andere Gestalt, in die er feine Materie einkleiden kann. Was irgend zum Nutzen der Menschen entdeckt oder gesagt worden; Wahrheiten, Lebensregeln, Muster der Sitten, der Tugenden, großer Taten, dieses alles legt er wirksam in den Geist und die Gemüter der Menschen. Noch nirgends sind die Menschen weder so verständig, noch so gut, noch so gesittet als sie es sein könnten. Also stehen dem Dichter noch überall Wege offen, sich um sie verdient zu machen.

  Wer aber dieses Verdienst erlangen will, der muss auch jene große Talente, von denen vorher gesprochen worden, auf die edelste Weise anwenden. Er muss sie als Mittel brauchen, nützlich auf die Gemüter der Menschen zu wirken. Der liebliche Klang der Worte, die angenehmen Bilder der Phantasie, die lebhafte Rührung der Empfindung müssen angewendet werden, die Menschen mit sanfter Gewalt zur Tugend zu lenken, ihnen jede Pflicht süß zu machen, sie von ihrem wahren Interesse zu überzeugen, die unvermeidlichen Schläge des Schicksals leichter zu machen, die Bitterkeit des Kummers zu versüßen, die Leidenschaften zu zähmen, die Begierde nach wahrem Ruhm anzufachen. Wie Orpheus, mache er wilde Menschen zahm; wie Thales , bringe er die Bürger zur Eintracht und zum willigen Gehorsam der Gesetze; wie Tyrtäus, mache er sie gegen die Feinde des Staates unüberwindlich und gewinne Schlachten durch seine Gesänge; wie Homer, werde er der vertraute Lehrer des Staatsmanns, des Helden und jedes Privatmannes. Dieses sind die Wege zur Ehrenkrone für Dichter.

 Wer sich aber begnügt, seine poetischen Talente bloß anzuwenden, unserer Phantasie lachende und tanzende Bilder vorzumalen; Vorstellungen, die uns keine Pflicht erleichtern, mit Reiz zu bekleiden, den wollen wir zwar als einen guten Gesellschafter freundschaftlich unter uns beherbergen und wie eine Nachtigall, deren Gesang uns belustiget, ernähren; aber unser Vertrauter soll er nie werden. Wir werden seinen Gesang mit Vergnügen hören, aber einander ins Ohr sagen, dass es kaum der Mühe wert ist, eine so außerordentliche Sprache anzunehmen, in Entzückung und so gar in eine Art Raserei zu geraten, bloß um andere zu ergötzen; wir werden eine Vergleichung zwischen ihm und dem Solon anstellen, der vor seinen Bürgern auch als ein Schwärmer, in einer Art Raserei erscheint und ihnen eine Elegie vorsingt, dabei aber die große Absicht hat und auch erreicht, ihnen heilsame und sehr wichtige Entschlüsse beizubringen.5 Wir wollen ihm sagen, dass auch Werke von großem und ernsthaften Inhalt von der Seite der Annehmlichkeit betrachtet, große Vorzüge haben können. Dass der lehrreiche Homer,

Qui quid sit pulchrum; quid turpe, quid utile, quid non, Plenius ac melius Chrysippo et Crantore dicit6.

reizende Annehmlichkeiten zur Ergötzung der Einbildungskraft habe.7

 Wenn wir bloß angenehmen Dichtern einen ehrenhaften Platz unter wohl gesitteten und verständigen Menschen gerne gönnen, so erstreckt sich dieses nicht auf diejenigen, die uns mit eben so unwitzig als unsittlichen Gesängen, gleich Fröschen, die aus Sümpfen quaken, beschwerlich fallen. Die Zahl solcher Undichter ist so groß, dass sie die Poesie überhaupt in die Gefahr setzen, als etwas verächtliches angesehen zu werden; sie sind es, die der edelsten aller edlen Künste die schweren Vorwürfe zugezogen haben, darüber Opitz klagt und die noch jetzt diese göttliche Kunst drücken. Der Vater der deutschen Dichter sagt, dass einige »aus der Poeterei, nicht weiß ich, was für ein geringes Wesen machen und sie wo nicht gar verwerfen, doch nicht sonderlich achten, auch wohl vorgeben, man wisse einen Poeten in öffentlichen Ämtern wenig oder gar nicht zu gebrauchen, weil er sich in dieser angenehmen Torheit und ruhigen Wollust so vertiefe, dass er die anderen Künste und Wissenschaften, von welchen man rechten Nutz und Ehre schöpfen kann, gemeiniglich hintan setze. Ja wenn sie einen gar verächtlich haben wollen, so nennen sie ihn einen Poeten: Wie denn Erasmo Koterodamo von groben Leuten geschehen – Sie wissen ferner viel von ihren Lügen, ärgerlichen Schriften und Leben zu sagen und erinnern, es sei keiner ein guter Poet, er müsse denn zugleich ein böser Mensch sein.8« Diese Vorwürfe scheinen einen groben Unverstand oder tollkühne Schmähsucht zum Grund zu haben, so bald man sich erinnert, dass Homer, Sophokles, Euripides und Männer von dieser Art, Dichter gewesen sind; aber was für eine große Liste von alten und neuen Dichtern könnte man nicht geben, auf die diese Beschuldigung mit Recht kann gelegt werden? Man kann sowohl zur Beschimpfung der schlechten als zur Ehrenrettung der guten Dichter, nichts nachdrücklicheres anführen als die folgenden Worte eines der feinsten Kenner.9 Ich muss gestehen, sagt er, dass schwerlich eine abgeschmacktere Gattung Menschen irgend wo zu finden ist als die, denen man in den neueren Zeiten wegen einiger Fertigkeit, wohltönend zu sprechen, wegen eines unüberlegten abgeschmackten Witzes und einiger Einbildungskraft, den Namen der Dichter gegeben hat. Der Mann, der den Namen eines Dichters wahrhaftig und in dem eigentlichen Sinn verdient, der als ein wahrer Künstler oder Baumeister in dieser Art, so wohl Menschen als Sitten schildern, der einer Handlung ihre gehörige Form und ihre Verhältnisse geben kann, ist, wo ich nicht irre, ein ganz anders Geschöpf. Denn ein solcher Dichter ist in der Tat ein anderer Schöpfer, ein wahrer Prometheus unter Jupiter. Gleich jenem obersten Künstler oder der allgemeinen bildenden Natur, formt er ein Ganzes, wohl zusammenhängend und in sich selbst wohl abgemessen, mit richtiger Anordnung und Zusammenfügung seiner Teile. Er bezeichnet das Gebiet jeder Leidenschaft und kennt genau jeder derselben Ton und Maß, wodurch er sie mit Richtigkeit schildert; er zeichnet das Erhabene der Empfindungen und der Handlung und unterscheidet das Schöne von dem Hässlichen, das Liebenswürdige von dem Verächtlichen. Der sittliche Künstler, der auf diese Weise dem Schöpfer nachahmen kann und eine solche Kenntnis der inneren Gestalt und des Baues seiner Mitgeschöpfe hat, wird, wie ich denke, schwerlich sich selbst misskennen oder über diejenigen Verhältnisse unwissend sein, die die Harmonie der Seele ausmachen; denn eine niederträchtige Sinnesart macht die eigentliche Dissonanz und Disproportion aus. Und ob gleich nichtswürdige Menschen auch ihren hohen Ton und natürliche Fähigkeit zu handeln haben können; so ist es doch nicht möglich, dass richtige Urteilskraft und sittliches Gefühl sich da finden sollten, wo Harmonie und Redlichkeit mangeln.«

 Es ist zu wünschen, dass diejenigen, die das Richteramt im Reich des Geschmacks auf sich genommen haben, die Dichter öfter und ernstlicher als sie es tun, an die Würde ihres Berufs erinnern. Gar zu oft loben sie den feinen Witz, den fließenden und angenehmen Ausdruck, ohne darauf zu sehen, ob diese, an sich zwar angenehme und nötige Teile der poetischen Kunst, auf eine Materie angewendet worden, die Menschen, denen es nicht bloß um angenehmen Zeitvertreib oder um unbestimmte und leicht wieder vorübergehende Aufwallungen der Empfindung zu tun ist, interessant sein können. Es gehört wahrlich viel dazu, dem feinsten und verständigsten Teil einer Nation etwas zu sagen, das auf seine Art zu denken und zu handeln vorteilhaften Einfluss habe. Der Dichter, der sich eines solchen Erfolges schmeicheln

will, muss notwendig über Menschen, Sitten, Handlungen und Geschäfte, entweder schärfer und richtiger gedacht haben als die, für welche er schreibt; oder er muss wenigstens, wenn er sie darin nicht übertrifft, dem, was sie schon wissen und denken, in ihren Gemütern einen höheren Grad der Lebhaftigkeit und Wirksamkeit zu geben wissen, wenn sie anders auf seinen Gesang hören sollen. Dazu gehören nicht bloß Talente, wenn sie auch mit jeder zum Ausdruck nötigen Fertigkeit verbunden sind; nur eine große Kenntnis des menschlichen Herzens, eine scharfsinnige Beobachtung der Sitten, ein feines und richtiges Gefühl des Guten und eine gesunde Beurteilungskraft des wahren und falschen in den Maßregeln des gemeinen und öffentlichen Lebens, mit jenen zur Kunst gehörigen Talenten und Fertigkeiten verbunden, machen einen Dichter aus, der gerechten Anspruch auf die Hochachtung seiner Nation machen kann.

 

______________

1 Horat. ferm. I. 4.

2 Opitz von der deutschen Poeterei.

3 Hor. l. c.

4 S. Vers, Singen, Tanz, Musik.

5 S. Plutarch im Solon.

6 Hor. Epist. I. 2.

7 Ha grand' obligazione l'animo mio a quel poeta, a quel dipintore, il quale col arte sua mi conduce à rimmirar, come con gli occhi propri, la famosa caduta di Troja, le prodezze d'Achille, o d'Enea, e tanti maravigliosi giri d'Ulysse ramingo sul mare. Muratori della perfetta poesia L. I. c. 14.

8 Opitz von der deutschen Poeterei im III. Cap. Die Klagen, die der Jesuit Strada über den Mißbrauch der Poesie zu seiner Zeit führt, sind auch jetzt nicht unzeitig. Adeo deformia et foeda carminum portenta nostra hæc ætas videt, adeo postremi quique poetarum lutulenti fluunt hauriuntque de fæce; ut sanctum poetæ olim nomen timide jam à bonis usurpetur, perinde quasi honesto ingenuoque viro poetam salutari convicio ac dehonestamento sit. Strada Prolus. Acad. L. I. prol. 3.

9 S. Shaftesbury Advice to an Author, Part. I. sect. 3.

 


 © textlog.de 2004 • 19.03.2024 08:43:03 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z