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Abteilung IX.
 
Über die Vernunft der Tiere.

 

     Zweitens: Unmöglich kann diese Folgerung des Tieres sich auf einen Beweisgrund und einen Vorgang Innerhalb der Vernunft gründen, wodurch es schlösse, dass gleiche Folgen sich mit gleichen Gegenständen verbinden, und dass die Natur in ihren Vorgängen immer regelmässig sei. Denn wenn wirklich Beweisgründe dieser Art bestehen sollten, so liegen sie doch für die Beobachtung und für einen so schwachen Verstand zu versteckt; nur die äusserste Sorgfalt und Aufmerksamkeit eines philosophischen Geistes kann sie entdecken und bemerken. Die Tiere werden deshalb bei diesen Folgerungen nicht durch Vernunftgründe geleitet, so wenig wie die Kinder und die meisten Menschen; bei ihren gewöhnlichen Handlungen und Folgerungen, ja selbst die Philosophen nicht, welche für den tätigen Teil des Lebens sich in der Hauptsache von der Menge nicht unterscheiden und nach gleichen Regeln verfahren. Die Natur musste für ein breiteres, allgemeiner anwendbares und nutzbares Prinzip sorgen, und ein Verfahren von so ungeheurer Wichtigkeit für das Leben konnte nicht den unsichern Folgerungen aus Gründen und Beweismitteln anvertraut werden. Sollte dies bei dem Menschen noch zweifelhaft sein, so ist es doch bei der unvernünftigen Schöpfung unfraglich, und wenn dieser Satz in dem einen Falle vollständig gelten muss, so hat man nach den Regeln der Analogie allen Grund, zur Annahme, dass er allgemein und ohne Ausnahme und Vorbehalt gelte. Nur die Gewohnheit ist es, welche die Tiere veranlasst, bei jedem wahrgenommenen Gegenstande dessen gewöhnlichen Begleiter zu erwarten; diese führt ihr Vorstellen bei dem Auftreten des Einen zur Vorstellung des Andern in der besondern Weise, welche ich Glauben nenne. Keine andere Erklärung ist von diesem Vorgange möglich, und dieses gilt sowohl für die hohen, wie niedern Klassen der lebendigen Wesen, so weit wir sie kennen und beobachten.A7

Obgleich indess die Tiere einen grossen Teil ihres Wissens durch Erfahrung erlangen, so verdanken sie doch einen andern Teil der ursprünglichen Verleihung der Natur. Er ist der, welcher den Grad ihrer Fähigkeiten für gewöhnliche Fälle übersteigt, und wo die längste Übung und Erfahrung sie wenig oder gar nicht weiter bringt. Man nennt diesen Teil Instinkt und bewundert ihn als etwas Ausserordentliches, was durch keine Untersuchung unseres Verstandes erklärt werden kann. Indess wird diese Bewunderung vielleicht aufhören oder sich vermindern, wenn man bedenkt, dass das Folgern aus Erfahrung, was wir mit den Tieren gemein haben, und von welchem alles Verhalten im Leben abhängt, nur eine Art von Instinkt oder mechanischer Kraft ist, welche in uns, und zwar uns selbst unbewusst, tätig ist und in seiner Hauptwirksamkeit nicht durch solche Beziehungen und Vergleichungen der Begriffe geleitet wird, welche den eigentlichen Gegenstand unserer geistigen Fähigkeiten ausmachen. Die Instinkte sind vielleicht verschieden; aber es ist ein Instinkt, welcher den Menschen heisst, das Feuer zu meiden, wie es ein Instinkt ist, welcher dem Vogel die richtige Art des Brütens und die Einrichtung und Ordnung in Aufziehung seiner Jungen zeigt.

 

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A7 Wenn alles Folgern von Tatsachen oder Ursachen sich nur auf Gewohnheit stützt, so entsteht die Frage, weshalb die Menschen die Tiere im Begründen so übertreffen, und weshalb ein Mensch hierin den andern übertrifft? Die gleiche Gewohnheit müsste doch den gleichen Einfluss auf Alle haben!Ich will hier kurz den grossen Unterschied in dem Verstande der einzelnen Menschen erklären; daraus ergibt sich dann leicht der Grund für denselben Unterschied zwischen Menschen und Tieren.

1. Wenn man einige Zeit gelebt und sich an die Gleichförmigkeit der Natur gewöhnt hat, so neigt man dann allgemein dazu, das Bekannte auf das Unbekannte zu übertragen und letzteres als dem erstern gleich vorauszusetzen. Vermittelst dieser allgemeinen Neigung genügt schon ein Experiment für die Folgerung, und man erwartet mit grosser Gewissheit den gleichen Erfolg, wenn der Versuch genau und frei von allen ungehörigen Nebenumständen vorgenommen worden ist. Die Beobachtung der Folgen der Dinge istdeshalb eine Sache von grosser Wichtigkeit, und da ein Mensch den andern in Aufmerksamkeit, Gedächtniss und Beobachtung übertrifft, so macht dies für ihre Folgerungen einen grossen Unterschied.

2. Wenn mehrere Ursachen zur Hervorbringung einer Wirkung zusammenwirken, so ist ein Verstand umfassender als der andere und fähiger, den ganzen Zusammenhang der Gegenstände zu begreifen und ihre Folgen richtig abzuleiten.

3. Einer kann die Kette der Schlüsse weiter ziehen als der Andere.

4. Wenige Menschen können lange denken, ohne die Vorstellungen zu verwirren und zu verwechseln, und diese Schwäche hat ihre verschiedenen Grade.

5. Der Umstand, von dem die Wirkung abhängt, ist oft in andern, anscheinend fremden und äusserlichen Umständen verhüllt; seine Trennung erfordert oft grosse Genauigkeit, Aufmerksamkeit und Scharfsinn.

6. Einzelne Beobachtungen gleich zu allgemeinen Regeln zu erheben, ist ein angenehmes Geschäft, und es ist sehr häufig, dass man aus Hast oder Geistesbeschränktheit die Sache nicht allseitig betrachtet und deshalb in Missgriffe gerät.

7. Wenn die Analogie bei den Folgerungen benutzt wird, so ist der im Vorteil, der das Meiste erfahren hat oder am geschicktesten in Auffindung von Ähnlichkeiten ist.

8. Vorurteile, Erziehung, Gefühle, Parteiungen beirren den Einen mehr als den Andern.

9. Nachdem man Vertrauen in menschliches Zeugniss gewonnen hat, erweitern Bücher und Unterhaltung den Gesichtskreis des Einen in seinem Wahrnehmen und Denken mehr als den des Andern.

So liessen sich noch manche andere Umstände auffinden, aus welchen der Unterschied in den Verstandeskräften der Einzelnen hervorgeht.

 


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