Abteilung XI.
Über die besondere Vorsehung und ein zukünftiges Leben.
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Giebt es in der Welt ein Zeichen für eine verteilende Gerechtigkeit? Wenn Ihr mit Ja antwortet, so schliesse ich, dass die Gerechtigkeit, wie sie hier sich äussert, auch sich genügt; wenn Ihr Nein sagt, so schliesse ich, dass Ihr dann keinen Grund habt, die Gerechtigkeit in unserm Sinne den Göttern zuzuschreiben. Wollt Ihr Euch in der Mitte zwischen Ja und Nein halten und sagen, dass die Gerechtigkeit der Götter sich jetzt zwar zum Teil, aber nicht in ihrem vollen Umfang äussere, so antworte ich, dass Ihr kein Recht habt, ihr eine andere Ausdehnung zu geben, als in der Ihr seht, dass sie selbst jetzt sich geltend macht.
So bringe ich, o Athener! den Streit mit meinen Gegnern zu einem schnellen Ende. Der Lauf der Natur liegt offen vor meinen Augen, wie vor den ihrigen. Die wahrgenommene Folge der Begebenheiten ist der grosse Maassstab, nach dem wir Alle unser Benehmen einrichten. Nichts weiter kann in das Feld oder in die Beratung geführt werden. Von nichts Anderem darf man im Hörsaale und im Zimmer hören. Unser beschränkter Verstand kann diese Grenze nicht durchbrechen, die für unsere verwöhnte Phantasie zu enge ist. Wenn wir aus dem Lauf der Natur den Beweis entnehmen und eine besondere verständige Ursache folgern, welche die Ordnung in der Welt gründete und forterhält, so stellen wir ein Prinzip auf, was sowohl ungewiss als nutzlos ist; ungewiss, weil es ganz jenseit menschlicher Erfahrung liegt; nutzlos, weil unsere Kenntniss dieser Ursache lediglich von dem Naturlauf abgeleitet ist, und wir daher nach den Regeln der gesunden Vernunft nicht rückwärts von der Ursache neue Folgerungen ableiten und neue Grundsätze für ihr Benehmen und Führung dadurch gewinnen können, dass zu dem gewöhnlichen und wahrgenommenen Lauf der Natur Etwas hinzugesetzt wird. -
Ich sehe (sagte ich, wie er seine Rede geendet hatte), dass Sie das Kunststück der alten Demagogen benutzen. Da es Ihnen beliebte, mich zum Volke zu machen, so suchen sie meine Gunst dadurch zu gewinnen, dass sie Grundsätze verteidigen, welchen ich mich, wie sie wissen, immer gern angeschlossen habe. Aber wenn ich Ihnen gestatte, die Erfahrung (wie ich denke, dass Sie getan) zum alleinigen Maassstab unseres Urteiles über diese und alle andern Tatfragen zu machen, so möchte es doch gerade mittelst der Erfahrung, auf die Sie sich berufen, möglich sein, die Beweisführung zu widerlegen, welche Sie dem Epikur in den Mund legen. Wenn Sie z.B. ein halb fertiges Bauwerk mit Haufen von Ziegeln, Steinen und Mörteln und allem Maurerhandwerkzeug sehen, können Sie da nicht aus der Wirkung entnehmen, dass es ein Werk der Absicht und Überlegung ist? Und können Sie dann nicht rückwärts von dieser erschlossenen Ursache neue Zusätze für die Wirkung ableiten und schliessen, dass das Gebäude bald beendet sein und alle die weitern Verbesserungen erhalten werde, welche die Kunstfertigkeit ihm erteilen kann? Wenn Sie am Meeresufer die Spur eines Fusstapfens sehen, würden Sie nicht schliessen, dass ein Mensch diesen Weg gegangen sei, und dass er auch die Spuren von seinem andern Fusse zurückgelassen habe, obgleich sie durch das Spülen des Sandes oder das Überströmen des Wassers verlöscht worden sind? Weshalb wollen Sie also nicht dieselbe Beweisführung für die Ordnung der Natur zulassen? Weshalb wollen Sie nicht die Welt und das jetzige Leben nur als ein unvollendetes Bauwerk betrachten, von dem man auf einen höhern Verstand schliesst, und weshalb wollen Sie nicht den Rückschluss von diesem höhern Verstande, der nichts unvollkommen lassen kann, auf eine vollkommnere Absicht oder Plan ziehn, der seine Erfüllung in einer entferntern Zeit und Ort erhalten wird? Sind dies nicht Beweisführungen, die einander ganz gleich sind? Aus welchem Grunde kann man deshalb die eine annehmen und die andere verwerfen?
Der ungeheure Unterschied in dem Gegenstand, erwiderte er, ist ein genügender Grund für diesen Unterschied in meinen Folgerungen. Bei menschlichen Werken und Einrichtungen ist es gestattet von der Wirkung auf die Ursache zu schliessen, und rückwärts aus dieser neue Folgerungen in Betreff der Wirkung zu ziehen und die Veränderungen zu prüfen, die sie vielleicht erlitten hat oder noch erleiden wird. Denn was ist hier die Grundlage dieser Folgerungen? einfach die, dass der Mensch ein Wesen ist, das wir aus Erfahrung kennen, mit dessen Beweggründen und Absichten wir vertraut sind, und dessen Pläne und Neigungen eine gewisse Verbindung und Zusammenhang mit den Gesetzen haben, welche die Natur für die Leitung eines solchen Geschöpfes festgesetzt hat. Findet man also, dass ein Werk von der Geschicklichkeit und Tätigkeit eines Menschen herrührt, so kann man eine Menge Folgerungen über das daraus ziehen, was man von ihm zu erwarten hat, weil die Natur dieses Wesens bereits von anderwärts her bekannt ist, und alle diese Folgerungen sich auf Erfahrung und Beobachtung stützen. Kennte man aber den Menschen nur aus dem einzigen Werke, welches man vor sich hat, so wäre es unmöglich, in dieser Weise zu schliessen. Da alle Kenntniss der Eigenschaften, die man ihm zuteilt, in diesem Falle nur aus diesem Werke abgeleitet würde, so könnten sie unmöglich zu etwas Neuem führen und zur Grundlage neuer Folgerungen dienen. Die Fussspur im Sande kann für sich allein nur beweisen, dass ein ihr entsprechender Körper dagewesen ist, der sie hervorgebracht hat; aber die Spur eines Menschenfusses beweist ausserdem nach unserer sonstigen Erfahrung, dass wahrscheinlich ein zweiter Fuss dagewesen ist, welcher auch eine Spur hinterlassen hat, die nur die Zeit oder andere Umstände verlöscht haben. Hier steigen wir allerdings von der Wirkung zur Ursache und schliessen wieder rückwärts von der Ursache auf Änderungen in der Wirkung. Aber dieses ist keine Fortsetzung derselben einfachen Schlusskette. Wir fassen in diesem Falle eine Menge Erfahrungen und Beobachtungen rücksichtlich der gewöhnlichen Gestalt und Glieder dieser Art von Geschöpfen zusammen, ohne welches dieses Beweisverfahren als trügerisch und spitzfindig gelten müsste.
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