Theorie des Schlafs


Wie uns nun ferner der Schlaf in die Glieder die heilsame Ruhe

Träufelt und unsere Brust von den seelischen Sorgen erlöset,

Dies will ich jetzt dir in kurzen, doch lieblichen Worten verkünden;

Kurz ist der Schwanengesang, doch er klingt weit besser als jenes

Kranichgeschrei, das den Äther erfüllt, aus den Wolken des Südwinds.

Leih mir nur weiter ein feines Gehör und witternden Spürsinn,

Daß du nicht das für unmöglich erklärst, was ich sage, und rückwärts

Schreitest, indem du mit trotzigem Sinn dich der Wahrheit verschließest,

Wenn du durch eigene Schuld dir selber die Augen verbindest.

     Schlaf entstehet zum ersten, wenn die in den Gliedern zerstreute

Seelische Kraft sich zum Teil nach außen getrieben entfernte,

Teils auch zusammengedrückt sich mehr in das Innre zurückzog.

Dann erst lösen sich nämlich die Glieder und fallen in Schlaffheit.

Denn unzweifelhaft ist es der Seele allein zu verdanken,

Daß wir Empfindung besitzen. Und wenn nun der Schlaf wie verhindert,

Dann ist die Seele in uns als verwirrt und nach außen vertrieben

Anzusehn, doch nicht ganz; sonst läge der menschliche Körper

Leblos da und auf ewig vom Froste des Todes umfangen.

Denn wenn im Körper versteckt nicht zum Teile die Seele verbliebe,

Wie sich noch glimmendes Feuer verbirgt in dem Haufen der Asche:

Woher könnte denn sonst die Empfindung plötzlich im Körper

Wieder erstehn, wie die Flamme aus heimlichen Gluten emporschlägt?

 

Aber wodurch dem Gefühl nun diese Erneurung zuteil wird,

Wie der Seele Verwirrung entsteht und die Schlaffheit des Körpers,

Will ich erklären. Doch laß mir mein Wort nicht im Winde zerflattern!

     Erstlich, da rings den Körper umspült ein beständiger Luftstrom,

Müssen wir ganz notwendig auch Stöße von außen empfangen

Und durch häufige Schläge der Luft Erschütterung leiden.

Drum ist zum Schutze der Körper fast aller Geschöpfe mit Leder

Oder mit Schalen und Schwarten gepanzert oder mit Rinde.

Auch die inneren Teile bestreicht beim Atmen der Luftstrom,

Zieht man ihn ein in die Brust und stößt man ihn wieder nach außen.

Da nun von beiden Seiten der Körper erleidet den Ansturm

Und da die Stöße so weit durch die winzigen Poren gelangen,

Daß sie den Grundstoff treffen und dessen Urelemente,

Tritt allmählich Zerfall fast überall auf in den Gliedern.

Denn es verwirrt sich die Lage der Urelemente im Körper

Wie in der Seele. So kommt's, daß diese zum Teil wird nach außen

Ausgestoßen, zum Teil sich versteckt und nach innen zurückweicht,

Während der übrige Teil, durch die Glieder zerstreut, nicht imstand ist,

Einig in sich mit anderm in Wechselwirkung zu treten.

Denn die Verbindungswege versperrt die Natur ihm im Schlafe.

Drum mit veränderter Richtung verzieht das Gefühl sich rasch nach innen.

     Weil es fast nichts mehr gibt, was unsre Gelenke noch stützet,

Wird auch der Körper nun schwach, es erschlaffen sämtliche Glieder,

Arme und Lider, sie sinken, ja häufig schon knicken die Knie

Trotz dem Liegen uns ein, da die Kraft der Bänder sich lockert.

Ferner erfolget der Schlaf auf die Mahlzeit; denn wie die Luft wirkt,

Wirkt auch die Speise, sobald sie in sämtliche Adern verteilt wird.

Und in der Tat bei weitem der allerfesteste Schlaf ist,

Der uns satt und ermattet befällt. Denn groß ist die Arbeit,

Die dann Erschöpfung und Wirrung erzeugt bei den meisten Atomen.

Eben deshalb verzieht sich ein Teil der Seele ins Innre,

Reichlicher noch ist der Teil, der hinaus aus dem Körper gedrängt wird,

Und was im Innern verbleibt, zerstreut sich noch mehr und verteilt sich.


 © textlog.de 2004 • 27.07.2024 07:57:12 •
Seite zuletzt aktualisiert: 14.09.2005 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright