Zweiter Teil

Erstes Kapitel.
Vom Vertrag überhaupt und von seiner Verbindlichkeit nach dem Rechtsgesetze


(Als Einleitung in die beiden Hauptabschnitte vom Eigentums- und Bürgerrechtsvertrag)

 

Auch hier werden wir genetisch zu Werke gehen.  

Ist unter der Herrschaft des Sittengesetzes ein Vertrag möglich ? Kann dort Einer um des Anderen willen etwas tun, und kann er auch ihm auch versprechen, Etwas zu tun, damit er in seinem eignen Handeln auf diese Unterstützung rechnen könne? Aus welchem Grunde könnte dies geschehen? Doch nur um Sittlichkeit überhaupt zu befördern, den Andern in diese Rücksicht fortzuhelfen, und aus keinem anderen; denn Alle sind nur durch das Sittengesetz belebt, und dessen Werkzeuge. Fällt der Grund weg, so fällt das Begründete weg. Kann er also, ohne Gefühl für die allgemeine Sittlichkeit, seiner, oder der des Anderen, es nicht mehr tun, kann er ohne diese Gefahr sein Versprechen nicht halten; so wird er es notwendig nicht tun, denn dieses Gesetz, Jeder soll die Sittlichkeit befördern, gebietet allein. Auch wird der Andere sodann nicht begehren, dass er sein Versprechen halte, denn auch er will bloß die Herrschaft des Sittengesetzes. Auf diesem Gebiete tut überhaupt Keiner Etwas für den Andern, indem auch Keiner Etwas für sich tut. Die Individuen sind da gar nicht da, Alle sind nur für den gemeinsamen Zweck. Und da tut denn Jeder Alles für den Andern, was in diesem gemeinschaftlichen Zwecke liegt, schlechthin und ohne Weiteres, ohne es besonders zu versprechen, oder sich dazu zu verbinden, und ohne einen Gegendienst zu verlangen. Weit entfernt darum, dass etwa der Vertrag nur auf dem Gebiete des Sittengesetzes gelte, gibt es da vielmehr gar keinen.  

Das Wesen des Vertrages besteht darin, dass Jemand für den Anderen Etwas unterlasse oder tue (ich bediene mich hier noch der zunächst sich darbietenden Rede, tiefer unten werden wir auch darüber nachforschen) lediglich, damit dieser wieder für ihn Etwas unterlasse oder tue, dass darum Jeder nicht eigentlich für den Andern handelt, sondern für sich, und für den Andern nur handelt, weil er außerdem nicht für sich handeln kann; also in der Unterlassung - um der Unterlassung willen, und der Leistung - um der Leistung willen.  

Weitere Analyse.  

Jeder Vertrag hebt an von zweien Willen, die mit einander streiten, weil Jeder von beiden Ein und dasselbe Objekt für die Wirkungssphäre seiner Freiheit begehrt. Die Wirkungssphäre ist allgemein: Alle haben Anspruch auf Alles. Dabei besteht nun aber die Freiheit der Einzelnen nicht, und Einer beschränkt den Andern in seiner Freiheit; sie müssen darum Jeder von seinem Teile nachgeben, bis ihr Wille nicht weiter streitet. So entsteht der gemeinsame Wille beider, das Beisammen ihrer Willen ohne Widerstreit. Ihr sich Vertragen, oder das sich Vertragen ihres Willens.  

Muss nun ein solcher Vertrag sein aus irgend einem Grunde? Ja, und zwar aus dem Rechtsgrunde, des Beisammenstehens der Freiheit Aller. Die Freiheit soll gesichert sein; das kann sie nicht, wenn sich nicht die ihr widerstreitenden Willen vereinigen; also, sie sollen sich vereinigen. Und somit ist der Vertrag überhaupt um des Rechts willen.

Nun aber wird die Freiheit durch die bloße Erklärung, dass man gegenseitig des einem Jeden zugestandenen Eigentums, oder der ihm ausschließlich angehörigen Wirkungssphäre der Freiheit sich enthalten wolle, Nichts erlangt; denn es ist ungewiss, ob sie den Vertrag halten werden. Also sie müssen ihn halten, sie müssen sich’s unmöglich machen, ihn zu brechen. Warum? Alles um des Rechts willen.  

Nun kann aber das Recht sich nicht widersprechen; es kann nicht als Recht fordern, was sein Gegenteil ist: also nur gerechte, dem Rechtsgesetze gemäße Verträge sollen geschlossen werden; nur sie sind Verträge, und sollen gehalten werden, und andere sind nichtig. - Der Inhalt des Vertrages in Beziehung auf die Rechtsgemäßheit, entscheidet über seine Form.  

Also ein Vertrag ist verbindlich, nur inwiefern er durchaus dem Rechte gemäß ist. Wo die Sätze: ich will mein Wort halten, und daran mich binden, ob es gleich unbillig sei, liegen, und in welcher Denkart, geht uns hier nicht an; auf dem Boden des Rechts liegen sie nicht, ich binde und verbinde mich nicht durch dein Recht, sondern ich verbinde mich durch mein mir teures Ehrenwort. Auf dem Boden des Sittengesetzes liegen sie auch nicht, denn da gibt es keinen Vertrag und kein Band, und es geschieht Alles bloß um der Sittlichkeit willen, der Irrtum aber muss von uns zurückgenommen, und von den Andern uns erlassen werden; Niemand wird da ein solches Halten des übereilten Wortes zugeben. Dies hat aber gar keine Anwendung; denn oft fällt der Sittliche auf den Boden des Rechts zurück, und da muss er den Vertrag halten, denn das Recht ist eher als die Sittlichkeit, und ihre Bedingung. Indessen kann ich anzeigen, wo diese Sätze liegen. Sie liegen in dem Mittelstandpunkte der Vorbereitung des Willens zur Sittlichkeit, wo es Gebot ist, sich selbst und Anderen Wort zu halten, und seinen Willen erst an die Unwandelbarkeit und Unverbrüchlichkeit zu gewöhnen. Aus diesem Satze sind keine gefährlichen Folgen zu befürchten; wie etwa die, dass Jemand sich selbst zum Richter, und zwar zum bestochenen und parteiischen Richter der Rechtsgültigkeit seiner abgeschlossenen Verträge mache. Wenn man es in dem Zusammenhange denkt, in welchem es vorgetragen ist; so ist dies unmöglich. Denn der Wille des Rechts ist ja niedergelegt und errichtet im Staate. Dieser setzt, dass Verträge sein sollen, und wie sie sein sollen; er bestimmt die Bedingungen ihrer Gültigkeit. In concreto darum ist die Frage nach der Rechtsgültigkeit jedes Vertrages immer auf allgemeine Weise zu beantworten: der Vertrag ist gültig, und ist verbindend, inwiefern er den Vorschriften des Staates über Verträge gemäß ist. Ist er denselben nicht gemäß, so ist er nichtig: er hätte nicht geschlossen werden sollen, und soll nicht gehalten werden: beides ist strafbar und verboten. Es versteht sich darum, dass wir hier nur im Allgemeinen von der Form des Vertrags reden wollten. Die materielle Rechtmäßigkeit der Verträge jeder Art, d.i. was in einem rechtsgemäßen Staate über Verträge gesetzlich sein soll, werden wir einzeln bei den Materien, zu denen es gehört, abzuhandeln haben.  


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