Große Schreibe- und Pressefreiheit in Machiavelli’s Zeitalter


Es dürfte auf Veranlassung des vorigen Abschnittes, und indem vielleicht einer oder der andere unserer Leser sich wundert, wie dem Macchiavelli das so eben Gemeldete habe hingehen können, der Mühe wert sein, zu Anfange des 19ten Jahrhunderts aus den Ländern, die sich der höchsten Denkfreiheit rühmen, einen Blick zu werfen auf die Schreibe- und Pressefreiheit, die zu Anfange des 16ten Jahrhunderts in Italien und in dem päpstlichen Sitze Rom Statt fand. Ich führe von Tausenden nur zwei Beispiele an. Macchiavelli’s florentinische Geschichte ist auf die Aufforderung des Papstes Clemens VII. geschrieben, und an denselben überschrieben. In derselben befindet sich gleich im ersten Buche folgende Stelle: »So wie bis auf diese Zeit keine Meldung geschehen ist von Nepoten oder Verwandten irgend eines Papstes, so wird von nun an von solchen die Geschichte voll sein, bis wir sodann auch auf die Söhne kommen werden; und so ist denn den künftigen Päpsten keine Steigerung mehr übrig, als dass sie, so wie sie bisher diese ihre Söhne in Fürstentümer einzusetzen gesucht haben, denselben auch den päpstlichen Stuhl erblich hinterlassen.«  

Dieser florentinischen Geschichte, nebst dem Buche vom Fürsten, und den Diskursen, stellt derselbe Clemens, honesto Antonii (so hieß der Drucker) desiderio annuere volens, ein Privilegium aus, in welchem allen Christen bei Strafe der Exkommunikation, den päpstlichen Untertanen noch überdies bei Konfiskation der Exemplare und 25 Dukaten Strafe, verboten wird, diese Schriften nachzudrucken.  

Derselbe Machiavelli hat eine Komödie geschrieben, Mandragola, welche übrigens ein sehr geistreiches Werk ist. Wir schweigen von der Beziehung dieser Komödie auf die öffentlichen Sitten, und merken nur Folgendes an, was am Nächsten zum Ziele trifft. Eine Hauptrolle hat in diesem Stücke ein Mönch und Beichtiger, der an seiner heiligen Stätte zuerst durch ein verstelltes Vertrauen, und, damit man sich seiner versichere, beredet wird, und sich versteht, bei der Äbtissin zu vermitteln, dass diese einer Geschwängerten einen Abführungstrank eingebe, Alles zu größerer Ehre Gottes, und um dem Nächsten allerlei Ärgernisse zu ersparen, der sodann, als es Ernst wird, eine rechtschaffene und tugendhafte Frau überredet, und es ihr zur Gewissenssache macht, indem sie dadurch Mutter einer seligen Seele werde, einem Anderen, denn ihrem Manne, sich Preis zu geben; der zuletzt, in einer zufolge dieser Intrige Statt findenden Verkleidung eine lächerliche Rolle übernehmen muss. Dieses Stück wurde zu Florenz mit ausnehmendem Beifalle aufgeführt, und kaum hatte Pabst Leo davon gehört, so hatte er nichts Angelegneres, als die Aufführung desselben auch zu Rom zu verordnen.  

Zu erklären ist dies allerdings. Die Päpste und die Großen der Kirche betrachteten selber ihr ganzes Wesen lediglich als ein Blendwerk für den niedrigsten Pöbel, und, wenn es sein könnte, für die Ultramontaner, und sie waren liberal genug, jedem feinen und gebildeten italienischen Manne zu erlauben, dass er über diese Dinge eben so dächte, redete und schriebe, wie sie selbst unter sich darüber redeten. Den gebildeten Mann wollten sie nicht betrügen, und der Pöbel las nicht. Eben so leicht ist zu erklären, warum späterhin andere Maasregeln nötig wurden. Die Reformatoren lehrten das deutsche Volk lesen, sie beriefen sich auf solche Schriftsteller, die unter den Augen der Päpste geschrieben hatten, das Beispiel des Lesens wurde ansteckend für die andern Länder, und jetzt wurden die Schriftsteller eine furchtbare, und eben darum unter strengere Aufsicht zu nehmende Macht.  

Auch diese Zeiten sind vorüber, und es werden dermalen, zumal in protestantischen Staaten, manche Zweige der Schriftstellerei, z.B. philosophische Aufstellung allgemeiner Grundsätze jeder Art, gewiss nur darum der Zensur unterworfen, weil es bedenklich sein dürfte, eine auf den Gegenstand der Schriften sich gründende Ausnahme von der allgemein eingeführten Zensur zu verstatten, und schwierig, die Grenzen dieser Ausnahme zu bestimmen, und über dieselben zu halten. Da nun bei dergleichen Gegenständen häufig sich findet, dass denen, welche nichts zu sagen wissen, als das was Jedermann auch schon auswendig weiß, in alle Wege erlaubt wird, so viel Papier zu verwenden, als sie irgend wollen; wenn aber einmal wirklich etwas Neues gesagt werden soll, der Zensor, der das nicht sogleich zu fassen vermag, und vermeinend, es könne doch ein nur ihm verborgen bleibendes Gift darin liegen, um ganz sicher zu gehen, es lieber unterdrücken möchte; so wäre es vielleicht manchem Schriftsteller vom Anfange des 19ten Jahrhunderts in protestantischen Ländern nicht zu verdenken, wenn er sich einen schicklichen und bescheidenen Teil von derjenigen Pressfreiheit wünschte, welche die Päpste zu Anfange des 16ten ohne Bedenken allgemein zugestanden haben.


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