a) Neuplatonismus und Mystik in der griechischen Kirche (Dionysius Areopagita)


Ein Zeit- und Amtsgenosse des Augustin, aber von ganz entgegengesetzter Sinnesart, war der schon S. 202 erwähnte Bischof Synesios von Kyrene (370-412). Ein Schüler von Hypatia, blieb er auch als Bischof mehr Neuplatoniker als Christ, in Hymnen die unaussprechliche »Monade der Monaden« verherrlichend, die kirchlichen Dogmen dagegen teils für Allegorien, teils für Mythen erklärend, deren das Volk bedürfe, das die hüllenlose Wahrheit nicht ertragen könne (vgl. R. Volkmann, Jena 1897). Ähnlich wie Synesios, lehrte Nemesios, Bischof von Emesa (Phönizien), im Widerspruch mit der Kirchenlehre, dagegen im Anklang an Plato, die Präexistenz der Seele und die ewige Fortdauer der Welt im Anschluß an Aristoteles die Freiheit des menschlichen Willens, während andere ihren Neuplatonismus dem christlichen Dogma unterordneten.

Noch inniger als bei Synesios verschmelzen sich der neuplatonische und der christliche Gedankenkreis in den sogenannten areopagitischen Schriften, die unter dem Namen »Dionysios des Areopagiten«, angeblich ersten Bischofs von Athen und unmittelbaren Apostelschülers, gingen und als dessen Geheimlehre sich gaben, in Wirklichkeit aber erst gegen Ende des 5. Jahrhunderts abgefaßt worden sind. Der unbekannte Verfasser schrieb für Gemüter, die sich durch das kirchliche Dogmen- und Zeremonienwesen nicht befriedigt, nach religiöser Hingabe, mystischer Vereinigung mit der Gottheit sehnten. Erhalten sind, abgesehen von zehn Briefen, folgende von seinen Schriften: 1. Über die göttlichen Namen, 2. Von der himmlischen Hierarchie, 3. Von der kirchlichen Hierarchie, 4. Von der mystischen Theologie. Gott ist der unaussprechliche Weltgrund und Urquell alles Seienden, der Namenlose oder auch »Allnamige« Die Vermittlung zwischen ihm und uns erfolgt - ganz wie bei den späteren Neuplatonikern (§ 50) - durch eine in Dreiheiten abgeteilte »himmlische Hierarchie« von Engeln, von den alttestamentlichen Seraphim und Cherubim bis herab zu den Erzengeln und einfachen Engeln. Dieser himmlischen entspricht auf Erden die kirchliche Hierarchie, von dem obersten Priester bis zu den Mönchen und dem Volke. Lehrt uns die bejahende Theologie diese absteigende Linie vom Himmel zu uns, so erhebt uns die höhere, verneinende, oder mystische mit Hilfe des uns mit göttlicher Kraft erfüllenden Logos, durch die aufeinander folgenden Stufen der Reinigung, Erleuchtung, Weihung myêsis und Gottähnlichkeit homoiôsis bis zur völligen »Vergottung« theôsis. Dem namenlosen Gotte allein kommt positives Sein zu; das Böse ist nur Mangel und Schwäche, ein vorübergehendes und zu überwindendes Moment der in sich harmonischen göttlichen Weltordnung.

Die tiefsinnigen Schriften des »Areopagiten« - die zu seiner Zeit allerdings nicht als Fälschung empfundene Fiktion ist erst in der Zeit der Renaissance entdeckt worden - haben eine bedeutende Einwirkung auf die Spekulation des gesamten Mittelalters geübt, in erster Linie auf Johannes Eriugena (§ 59) und die Mystiker, als deren Grundbuch; dann aber auch auf die Scholastik, z.B. Thomas von Aquino. Hierzu trug nicht wenig bei die mehr kirchliche Auslegung derselben durch den 580-662 lebenden Abt Maximus Confessor. Das Hinaufsteigen der Seele zu Gott und dessen Hinabsteigen zu uns gelten diesem als bewußte Akte der Liebe.


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