2. Die Geschichte der Philosophie. Ihre Methode, Quellen und Hilfsmittel. Einteilung des Stoffes.

 

Erstes Erfordernis aller Geschichtsschreibung ist gewissenhafte Erforschung der Tatsachen nach den Grundsätzen kritisch-historischer Methode, die hier als bekannt vorausgesetzt werden darf. Sind die Tatsachen auf solche Weise sorgfältig ermittelt, so handelt es sich um ihre Verbindung zu einem Ganzen geschichtlicher Darstellung. Eine gewisse Subjektivität ist hierbei unvermeidlich; ohne sie würde ein farbund blutloses Machwerk entstehen. Insbesondere muß der Verfasser einer Philosophiegeschichte, gerade so wie der Autor einer Geschichte der Mathematik oder der Naturwissenschaften Mathematiker oder Naturforscher sein muß, selbst bis zu einem gewissen Grade Philosoph sein, d. i. zu philosophieren verstehen, denn er hat nicht, wie man es noch vor 100 Jahren verstand, eine philologische Literargeschichte oder eine anekdotenhafte Sammlung merkwürdiger Meinungen zu geben. Wie die Behandlung, so ist auch die Abgrenzung des Stoffes nicht leicht. Das Verhältnis zur Kulturgeschichte, die Entwicklung und die Probleme der positiven Wissenschaften erfordern Berücksichtigung, ferner neben dem systematischen der persönliche (biographische) Faktor.

Die zuverlässigsten Quellen für die Feststellung des Tatsächlichen sind natürlich in erster Linie die Werke der Philosophen selbst. Für die Neuzeit, seit der Erfindung der Buchdruckerkunst, fließen diese Quellen reichlich genug. Neuere und neueste Entdeckungen und Veröffentlichungen einzelner Schriften und namentlich brieflicher Äußerungen haben zwar manche wertvolle Ergänzungen und Berichtigungen im einzelnen, aber im Verhältnis zur Gesamtmasse des bereits Bekannten doch nicht allzuviel Neues von grundstürzender Bedeutung gebracht. Auch über die christliche Scholastik des Mittelalters sind wir durch die zum größten Teile noch erhaltenen Originalwerke ziemlich zuverlässig unterrichtet. Am ungünstigsten steht es in dieser Beziehung mit der Philosophie des Altertums. Aus ihrer ältesten, der vorsokratischen Periode sind uns leider nur zufällig erhaltene Bruchstücke aufbewahrt, aus der nacharistotelischen Philosophie der Griechen nicht viel mehr. Um so erfreulicher ist die Tatsache, dass wenigstens die Werke ihrer Klassiker, Plato und Aristoteles, fast vollständig erhalten sind, aus der späteren Zeit die Schriften des Lukrez, Cicero, Seneka, Plutarch, Epiktet, der wichtigsten Neuplatoniker und Kirchenväter. Für die fehlenden Teile besitzen wir immerhin eine Art sekundärer Quellen in den, freilich meist erst aus nachchristlicher Zeit stammenden, literarhistorischen Berichten (s. unten S. 14 f.). Die einzige Sammlung von Hauptwerken der Philosophie, die wir bisher in Deutschland besitzen, bildet die von v. Kirchmann begründete, später in den Verlag von Dürr (jetzt F. Meiner) in Leipzig übergegangene Philosophische Bibliothek. Sie enthält die sämtlichen philosophischen Schriften von Descartes, Plato, Spinoza und Kant; die Hauptwerke von Aristoteles, Bacon, Berkeley, Bruno, Cicero, Comte, Condillac, Eriugena, Fichte, Grotius, Hegel, Hume, Julian, La Mettrie, Leibniz, Lessing, Locke, Macchiavelli, Schelling, Schiller, Schleiermacher, Sextus Empiricus, Shaftesbury, einzelnes von d'Alembert, Fries, Herbart, Lotze, Wolff, - die fremdsprachlichen in deutscher Übersetzung - und wird noch weiter vervollständigt werden, bezw. in zeitgemäßer Neuauflage erscheinen (vgl. unter der Literatur zu den einzelnen Philosophen).

Die Geschichtsschreibung der Philosophie ist eine verhältnismäßig junge Wissenschaft.. Die ältesten historischen Darstellungen, wie die des Engländers Stanley (London 1655) oder des Deutschen Brucker (1731 bis 1737 und 1742 bis 1744), sind heute für uns völlig wertlos. Ein systematisches Interesse für sie erwacht erst nach der großen Erneuerung der Philosophie durch Kant. Indessen sind die Darstellungen aus dem Ende des 18. und dem Anfang des 19. Jahrhunderts (von Tiedemann, Buhle, Tennemann, Fries u. a.) jetzt teils veraltet, teils leiden sie, wie namentlich die geistvollen Vorlesungen von Hegel (Bd. XIII - XV der S. W., Berlin 1833-36), unter der Konstruktionssucht ihrer Verfasser. In Frankreich machte sich in den 40er Jahren namentlich Victor Cousin und seine Schule um die Durchforschung der Geschichte der Philosophie verdient. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden die Gesamtdarstellungen derselben immer häufiger; die Bibliographie in Bd. I, § 4 des gleich zu erwähnenden Werkes von Ueberweg zählt in ihrer neuesten Auflage nicht weniger als 59 seit diesem Zeitraum auf. Wir heben an dieser Stelle nur die wichtigsten hervor:

A). F. Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie (4 Bände), seit Ueberwegs Tod (1871) fortgeführt und bedeutend erweitert von Prof. M. Heinze-Leipzig, nach dessen Tode (1909) von Praechter, Baumgartner, Frischeisen-Köhler und Oesterreich, jetzt in 10. bezw. 11. Auflage vorliegend; zwar trocken, aber als reichhaltige Stoffsammlung und Nachschlagebuch (mit ausführlicher Bibliographie) für den Fachmann unentbehrlich.

W. Windelband, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 7. Aufl. 1916; mehr eine Geschichte der Probleme, scharf, geistvoll, eigenartig, dem Fortgeschritteneren sehr zu empfehlen.

J. E. Erdmann, Grundriß der Geschichte der Philosophie, 2 Bände, 1866 (in 4. Aufl. von Benno Erdmann, 1896), namentlich für das Mittelalter und die Zeit von 1830-1860.

Stöckl, Lehrbuch der Geschichte der Philosophie (3. Aufl. 1889) einseitig konfessionell (katholisch), ein kürzerer Grundriß desselben, 2. Aufl. hrsg. von Kirstein, Mainz 1911.

Allgemeine Geschichte der Philosophie von Wundt, Oldenberg, Goldziher, H. v. Arnim, Bäumker, Windelband, 1909 (Bd. I, 5 der Teubnerschen Kultur der Gegenwart).

P. Deussen, Allgemeine Geschichte der Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Religionen, 6 Bde., Lpz. 1894-1918. Schopenhauerscher Standpunkt. Besondere Berücksichtigung der indischen Philosophie.

 


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